DFG richtet 14 neue Sonderforschungsbereiche ein
Zum 1. Juli 2002 wird die Deutsche Forschungsgemeinschaft 14 neue Sonderforschungsbereiche, darunter einen Transregio und ein Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg, einrichten. Dies beschloss der zuständige Bewilligungsausschuss in seiner Frühjahrssitzung.
Forschungskollegs und Transregio sind Varianten herkömmlicher Sonderforschungsbereiche. Abweichend von der weiterhin bestehenden Form des ortsgebundenen Sonderforschungsbereichs, der einer lokalen Profilbildung dient, sind Transregio durch mehrere Standorte gekennzeichnet. Hier werden Kooperationspartner, auch aus dem Ausland, zusammengeführt, deren Beiträge sich auf hohem wissenschaftlichem Niveau zwingend ergänzen. Kulturwissenschaftliche Forschungskollegs sollen dazu beitragen, isolierende Fächergrenzen zu überwinden und die internationale Zusammenarbeit zu unterstützen. Spezielle forschungs- und projektbezogene Studienprogramme dienen dabei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Insgesamt wird die DFG im Jahr 2002 292 Sonderforschungsbereiche an 61 Hochschulen fördern, für die rund 353 Millionen Euro zur Verfügung stehen.
Sonderforschungsbereiche ermöglichen bei zeitlicher Begrenzung – in der Regel zwölf Jahre – und regelmäßiger strenger Begutachtung die Durchführung aufwendiger Forschungsvorhaben an den Hochschulen. Die Wissenschaftler können mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen und auch mit der Wirtschaft kooperieren.
Geistes- und Sozialwissenschaften
Ziel des Sonderforschungsbereichs/Kulturwissenschaftlichen Forschungskollegs „Medienumbrüche – Medienkulturen und Medienästhetik zu Beginn des 20. Jahrhunderts und im Übergang zum 21. Jahrhundert“ an der Universität Siegen ist der Vergleich der beiden strukturell prägenden Medienumbrüche, die sich als Umbruch zu den „analogen“ Medien zu Beginn des 20. Jahrhunderts und als Umbruch zu den „digitalen“ Medien im Übergang zum 21. Jahrhundert bestimmen lassen. Ist die Geschichte der „analogen“ audiovisuellen Medien – Fotografie, Film, Rundfunk und Fernsehen – als eine Epoche der Repräsentation gegenständlicher Wirklichkeit mit Hilfe audiovisueller Medien zu bestimmen, so ist die gegenwärtige Phase der Digitalisierung – mit ihren qualitativ neuen Möglichkeiten der Vernetzung, der Kommunikation und der Vermarktung, insbesondere durch PC und Internet – als eine Epoche neu entstehender Realitätsmodelle und Medienkulturen zu sehen. Das Kulturwissenschaftliche Forschungskolleg verbindet Fragen, die den interkulturellen Vergleich zu Nordamerika, zu Indien und zu Ostasien (Japan, Korea) einschließen, mit historisch vergleichenden Analysen der Medienanthropologie, der Mediendifferenzierung und der Mediennutzung. Zudem werden Probleme avantgardistischer Medienästhetik und politischer Kultur, der Intermedialität, der Genderspezifik und der digitalen Virtualisierung untersucht.
Der Sonderforschungsbereich „Ritualdynamik: Soziokulturelle Prozesse in historischer und kulturvergleichender Perspektive“ an der Universität Heidelberg widmet sich dem Entstehen und Vergehen ritueller Praktiken, der Dynamik rituellen Handelns und den Veränderungen und Transfers innerhalb und zwischen Gesellschaften. Dabei sollen verschiedene Ritualtypen verglichen werden: Toten- und Initiationsrituale, Alters-, Sterbe- und Ahnenrituale, Macht- und Herrschaftsrituale, Rituale des höfischen Zeremoniells, Tempel- und Festrituale, Gebets-, Weihe- und Trancerituale, Ritualisierungen und Re-Ritualisierungen des Kulturtransfers, des Holocaustgedenkens, der literarischen Kanonbildung, des jugendlichen Drogenkonsums und der Internetpräsentation. Die Wissenschaftler hoffen, damit alte Fragen nach einem – allen Menschen gemeinsamen – Inventar von Mustern des Ritualverhaltens neu beantworten zu können.
Biologie und Medizin
An der Universität Freiburg wird ein neuer Sonderforschungsbereich „Immundefizienz: Klinik und Tiermodelle“ eingerichtet. Die Wissenschaftler wollen die Grundlagen von Immunerkrankungen erforschen und die gewonnenen Erkenntnisse in die klinische Anwendung bringen. Viele menschliche Immunerkrankungen werden durch Gendefekte hervorgerufen, sodass entsprechende Tiermodelle Aufschluss über die Entwicklung und Regulation des Immunsystems sowie die Entstehung und Therapie von Immunstörungen geben können. Dabei sollen tierexperimentelle Befunde eine direkte Anwendung für klinisch bedeutsame Fragestellungen finden.
„Immunreaktionen der Lunge bei Infektion und Allergie“ stehen im Mittelpunkt eines neuen Sonderforschungsbereichs an der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Lunge mit ihrer großen Kontaktfläche zur Außenwelt braucht Schutzmechanismen, die Infektionen verhindern. Fehlgesteuerte Immunreaktionen können zu Allergien, wie etwa dem Asthma bronchiale, führen. Die Wissenschaftler wollen zum einen die Wechselwirkungen zwischen Erregern (Viren, Bakterien, Pilzen) und den Zellen des Respirationstrakts untersuchen, zum anderen wollen sie die zellulären und humoralen Abwehrmechanismen bei infektiösen Schädigungen und Allergien aufklären.
Ebenfalls an der Medizinischen Hochschule Hannover ist der neue Sonderforschungsbereich „Pathobiologie der intestinalen Mukosa“ angesiedelt. Die intestinale Mukosa, die Grenzzellschicht des Darms, ist ein empfindlicher Seismograph für Störungen von außen (infektiös) und innen (immunologisch). Die Wissenschaftler wollen die zellulären und molekularen Mechanismen von mukosalen Störungen bei Autoimmun- und Infektionskrankheiten erforschen. Wie heften sich Erreger im Darm an, über welche Strategien zur Ausmanövrierung der Wirtsabwehr verfügen sie und welche Auswirkungen haben diese Störfaktoren auf die Funktion und den Stoffwechsel der Zellen der intestinalen Mukosa?
Obwohl Körperoberflächen, die Epithelien, ständig krankheitserregenden Mikroorganismen ausgesetzt sind, kommt es überraschenderweise nur selten zu Infektionen. Allerdings sind unsere Kenntnisse über diesen Infektionsschutz noch sehr lückenhaft. Gerade im Hinblick auf das Problem antibiotikaresistenter Erreger ist weltweit das Interesse an körpereigenen antimikrobiell wirksamen Peptiden und Proteinen gestiegen, da sie möglicherweise Alternativen zu bislang bekannten Antibiotikaklassen darstellen könnten. Die Wissenschaftler im Sonderforschungsbereich „Molekulare Mechanismen der epithelialen Abwehr“ an der Universität zu Kiel wollen daher die Abwehrmechanismen unterschiedlicher Körperoberflächen sowie die Wechselwirkungen zwischen den verschiedenartigen Epithelzellen des Wirtes und Mikroorganismen untersuchen, um neue Erkenntnisse zu natürlichen Abwehrstrategien gesunder Epithelien zu erhalten.
Angeregt durch neue experimentelle Techniken hat die Biologie in den letzten Jahren ungeahnte Fortschritte erzielen können. Nicht zuletzt aufgrund der Flut zunehmend maschinell erzeugter Daten treten aber auch die Grenzen traditioneller Methoden und Konzepte zutage. Es zeichnet sich ab, dass neue theoretische Konzepte, moderne Methoden der Datenanalyse und verfeinerte mathematische Modelle eine strategische Rolle für die weitere Entwicklung der Biologie im 21. Jahrhundert spielen werden. Der Sonderforschungsbereich „Theoretische Biologie: Robustheit, Modularität und evolutionäres Design lebender Systeme“ an der Humboldt-Universität zu Berlin will dazu beitragen, diese Zukunftsperspektive der Theoretischen Biologie exemplarisch zu realisieren und die Integration biologischen Wissens voranzutreiben. Die Forschungsprojekte umfassen die Ebene der Gene und des Molekularen, der Zellen und zellulären Systeme und der organismischen Systeme und Populationen. Dabei sollen in engem Wechselspiel von Theorie und biologischem Experiment grundlegende Konzepte weiterentwickelt und neue theoretische Zugänge erschlossen werden.
Naturwissenschaften
Zu den Aufgaben der Chemie gehört es, aus Grundstoffen der Natur durch gezielte Synthese neue Moleküle und Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften und hochspezifischen Funktionen verfügbar zu machen. Dabei werden zunehmend Katalysatoren eingesetzt. Der Sonderforschungsbereich „Molekulare Katalysatoren: Struktur und Funktionsdesign“ an der Universität Heidelberg widmet sich daher der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Katalyse. Es sollen strukturelle Voraussetzungen und Details der Funktionsweise molekularer Katalysatoren aufgeklärt werden. Langfristige Ziele sind die Entwicklung neuer Strategien zur Untersuchung katalytischer Elementarschritte, die Optimierung von relevanten Katalysatorsystemen und die Suche nach neuartigen, katalytisch nutzbaren Molekülen oder Basisreaktionen.
Die Umwandlung von Energie einer Form in andere Formen begleitet alle Prozesse in unserer Welt. Häufig finden diese Prozesse – wie chemische Reaktionen an Katalysatoren oder in Sensoren, mechanische Reibung oder Streuung von Ladungsträgern in Mikroprozessoren – an Oberflächen fester Stoffe statt. Damit verbunden ist eine „Dissipation“ der Energie, das heißt eine Verteilung der primär in die Oberfläche eingetragenen Energieform in viele verschiedene Kanäle. Der Sonderforschungsbereich „Energiedissipation an Oberflächen“ an der Universität Essen will die grundlegenden elementaren Vorgänge aufklären und eine Basis schaffen, auf der die bislang weitgehend empirisch begründete materialwissenschaftliche Forschung und Entwicklung aufbauen kann. Das grundlegende Verständnis der Elementarprozesse kann die Ausgangsbasis für die Optimierung etwa von Katalysatoren für chemische Reaktionen an Oberflächen oder von Leiterbahnen in integrierten Schaltungen werden.
Ausgangspunkt für die Arbeit des Sonderforschungsbereichs „Template. Vom Design chemischer Schablonen zur Reaktionssteuerung“ an der Universität Bonn sind molekulare Schablonen (Template). Schablonen werden in der Technik und in der Natur – beispielsweise DNA – in großem Stil zur Informationsübertragung genutzt. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, die Grundlagen und Zusammenhänge zwischen molekularer Erkennung, Präorganisation und Weiterreaktion zu erforschen und dabei die verschiedenen Wechselwirkungs- und Schablonentypen fachübergreifend zu vergleichen. Ziel ist es, durch interdisziplinäre Grundlagenforschung die Kenntnisse über die verschiedenen Typen von Templateeffekten sowohl theoretisch als auch experimentell zu vertiefen, um sie dann für die Steuerung von Reaktionen und Prozessen einzusetzen.
Eigenschaften und Funktionen von Stoffen werden durch die Natur ihrer Bausteine – Atome
und Moleküle – und durch deren Organisation zu komplexen Verbänden auf unterschiedlichen Längenskalen geprägt. Ziel des Sonderforschungsbereichs „Von einzelnen Molekülen zu nanoskopisch strukturierten Materialien“ an der Universität Mainz ist es, das Zustandekommen von Struktur – beginnend mit einzelnen molekularen Bausteinen bis hin zu komplexeren Molekülverbänden – zu verfolgen. Im Vordergrund steht dabei die Entwicklung neuartiger Strukturen durch den gezielten Einsatz strukturell definierter Bausteine zur Erzeugung einheitlicher Überstrukturen, die auch häufig in biologischen Systemen angetroffen werden. Darüber hinaus soll auch geklärt werden, welche Minimalgrößen geordnete Molekülverbände haben müssen, um bestimmte Stoffeigenschaften aufzuweisen oder Funktionen zu erfüllen.
Der Sonderforschungsbereich/Transregio „Physik kolloidaler Dispersionen in äußeren Feldern“ ist eine Kooperation der Universitäten Düsseldorf, Mainz und Konstanz, des Forschungszentrums Jülich, des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz sowie als Kooperationspartner außerhalb Deutschlands der Universität Utrecht. Gegenstand der Untersuchungen ist die Physik der kolloidalen weichen Materie. Kolloide, also Stoffe, die sich in feinster Verteilung in einer Flüssigkeit befinden, reagieren sehr empfindlich auf äußere mechanische Einwirkungen. Im Sonderforschungsbereich/Transregio wird deswegen das Verhalten von kolloider weicher Materie unter äußeren Einwirkungen im Fokus des Interesses stehen. Diese äußeren Einwirkungen sollen durch extern angelegte Felder (Scherfelder, elektrische und magnetische Felder, Lichtfelder) erreicht werden. Weiche Materialien spielen eine Rolle in technischen Anwendungen (Lacke, Kunststoffe), in der Pharmazie als Arzneistoffträger sowie bei biologischen Fragen (DNA-Erkennung, Membrantransport, Proteinkristallisation).
Ingenieurwissenschaften
In dem neuen Sonderforschungsbereich „Nanopositionier- und Nanomessmaschinen“ an der Technischen Universität Ilmenau sollen die wissenschaftlich-technischen Grundlagen zum Entwurf und zur Realisierung solcher Maschinen erarbeitet werden. Nanopositionier- und Nanomessmaschinen sind technologische Ausrüstungen, die eine Bearbeitung von Objekten durch das abgestimmte Zusammenwirken einzelner Systeme mit Nanometerpräzision ermöglichen. Sie werden in zukunftsorientierten Bereichen wie etwa der Halbleitertechnik, der Nanostrukturierung, der Mikromechanik oder der Kristallographie eingesetzt, um dort technische und analytische Operationen mit höchster Präzision und Dynamik auszuführen. Die Herausforderung für den Sonderforschungsbereich besteht darin, dass bei Nanomaschinen immer größere Bewegungsbereiche mit extremen Genauigkeiten und hohen Positioniergeschwindigkeiten gefordert werden.
Künftige Systeme des Maschinenbaus werden aus Konfigurationen von intelligenten Systemelementen bestehen, wobei das Verhalten des Gesamtsystems durch die Kommunikation und Kooperation intelligenter Systemelemente geprägt ist. Dabei ermöglicht Selbstoptimierung handlungsfähige Systeme mit inhärenter „Teilintelligenz“, die in der Lage sind, selbständig und flexibel auf veränderte Umgebungsbedingungen zu reagieren. Ziel des Sonderforschungsbereichs „Selbstoptimierende Systeme des Maschinenbaus“ an der Universität Paderborn ist es, die Ansätze der Selbstoptimierung für Erzeugnisse des Maschinenbaus und artverwandter Branchen nutzbar zu machen. Im Vordergrund stehen Industrieerzeugnisse, die auf einem engen Zusammenwirken von Mechanik, Elektronik, Regelungstechnik und Software beruhen und das Wirkprinzip der Selbstoptimierung nutzen.
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