Transatlantisches Bündnis in der Globalisierungsforschung
Rund eine Million DM von der VW-Stiftung für Kooperation von SOFI und MIT
(pug) Seit Mitte der 80er Jahre schon zählen Forscher vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) zu den bevorzugten Diskussionspartnern des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen. Wenn Politikwissenschaftler und Ökonomen vom MIT in Europa Ausschau hielten nach Alternativen zum amerikanischen Modell industrieller Massenproduktion, dann setzten sie gerne auf die industriesoziologische Expertise der Göttinger Sozialwissenschaftler. Und wenn Forscher vom SOFI die innovativen Praktiken in der amerikanischen Elektronikindustrie studierten, dann konnten sie auf die intime Branchenkenntnis amerikanischer Kollegen am „Industrial Performance Center“ des MIT zählen. „Wir kennen und schätzen uns seit langem“, so Dr. Volker Wittke, Direktor am SOFI.
Mit Unterstützung durch die Volkswagen-Stiftung wird die Kooperation der beiden Institute nun auf eine noch breitere Grundlage gestellt. In seiner Frühjahrssitzung bewilligte das Kuratorium der Stiftung ein von Prof. Suzanne Berger vom MIT und Dr. Volker Wittke vom SOFI beantragtes Forschungsprojekt zum Thema „Globalization and the Future of National Systems: Relocation and Reorganization in European Economies“. Die Fördersumme beläuft sich auf rund eine Million DM, die Projektlaufzeit wird zwei Jahre und drei Monate betragen. „Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten“, so Dr.Wittke. „Nun können wir unsere jeweiligen komparativen Stärken in die kontinuierliche Arbeit an einem gemeinsamen Gegenstand einbringen. Dies ist bei dem Thema auch dringend gefordert, denn es steht quer zu den traditionellen Spezialisierungsmustern der wissenschaftlichen Disziplinen und verlangt ein interdisziplinär besetztes Team.“ Das Interesse der Forscher richtet sich auf die Globalisierung von westeuropäischen Unternehmen und die Effekte dieser Aktivitäten für das jeweilige nationale Sozialmodell. Das Projekt startet mit der Hypothese, dass die Veränderungsdynamik vor allem deshalb so groß ist, weil westeuropäische Unternehmen seit Mitte der 90er Jahre verstärkt Reorganisations- und Relokalisierungsstrategien miteinander kombinieren. Unternehmen in Deutschland, Frankreich oder Italien folgen damit einem Trend, der in Japan und den USA schon länger wirksam ist. Einst vertikal integrierte Unternehmen brechen ihre traditionellen Organisationsstrukturen auf, konzentrieren sich auf Kernkompetenzen und verlagern wachsende Anteile auf externe Zulieferer. Die Forscher sprechen hier von einer „organisatorischen Fragmentierung von Wertschöpfungsketten“. Standorte für einzelne Teile („Fragmente“), also für Forschung und Entwicklung, Fertigungs- oder Serviceaktivitäten, können leichter über nationale Grenzen hinweg verlagert werden, neuartige Produktionsnetzwerke entstehen.
Für westeuropäische Unternehmen haben sich die Möglichkeiten zum Aufbau und zur Nutzung solcher produktiver Strukturen über Organisations- und Ländergrenzen hinweg massiv erweitert, seit sich der europäische Wirtschaftsraum zunehmend nach Osten ausdehnt. Statistiken belegen, dass Standorte insbesondere in Polen, Ungarn und der Tschechischen Republik zunehmend von westlichen Unternehmen genutzt werden. Aber auch nordamerikanische Zulieferer der Auto- und der Elektronikindustrie – sogenannte „global supplier“, suchen über diese Standorte den Einstieg nach Westeuropa. Die Optionen an östlichen Standorten sind groß, bieten sie doch neben niedrigen Löhnen ein breites Reservoir an industrieerfahrenen, gut ausgebildeten, teilweise hoch qualifizierten Arbeitskräften und ein sehr offenes und gestaltbares institutionelles Umfeld. Äußerst lückenhaft und vorläufig ist allerdings das Wissen darüber, wie westliche Unternehmen diese Optionen nutzen. Welchen Stellenwert haben Standorte in Mittel- und Osteuropa in den Reorganisations- und Relokalisierungsstrategien westeuropäischer Unternehmen? Welche Arten von paneuropäischen Wertschöpfungsnetzwerken entstehen dabei? Wie sieht die Ost-West-Arbeitsteilung in diesen Produktionsstrukturen aus? Und welcher Anpassungsdruck auf die nationalen Institutionengefüge im Westen geht von diesen Entwicklungen aus?
Die Forschungsfragen sollen mit einer breit angelegten Empirie in deutschen, französischen und italienischen Unternehmen der Auto-, der Elektronik- sowie der Textil- und Bekleidungsindustrie geklärt werden. Dabei greift das Forschungsteam sowohl auf die industrie- und arbeitssoziologischen Traditionen des SOFI und seine Erfahrungen in der Transformationsforschung zurück als auch auf die von den MIT-Forschern wesentlich mit geprägte Tradition der amerikanischen „political economy“ und der Wirtschaftsgeographie.
Weitere Informationen:
Soziologisches Forschungsinstitut (SOFI)
Dr. Volker Wittke Tel: 0551/ 52205-0
E-Mail: vwittke@gwdg.de
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