Dominosteine auf der unendlichen Ebene
Das Spiel mit den zweigeteilten Steinen, die an gleichwertigen Enden aneinandergefügt werden, ist ein Einwanderer aus Fernost: Dominos sind in China schon seit tausend Jahren bekannt. Erst Anfang des 18. Jahrhunderts fanden die gepunkteten Steine den Weg nach Europa, wo sie heute in der Spielesammlung kaum einer Familie fehlen. Triominos – nach demselben Prinzip anlegbare Dreiecke – machen ihnen neuerdings Konkurrenz, und Tüftler kennen Pentominos oder andere Polyominos als ausgefallene Art des Puzzlespiels. Dass Dominosteine mit wenigen einfachen Veränderungen ganz neue, spannende Spielvarianten ermöglichen könnten, ist dagegen ein Einfall, der bisher nicht realisiert wurde. Die Idee stammt von Horst Müller, Professor am Institut für Informatik der Universität Erlangen-Nürnberg, und die Anregung dazu hat er aus seinem Berufsfeld bezogen, der Theoretischen Informatik.
Bunte, flache Klötze, per Hand sorgfältig lackiert – und das auf dem Arbeitstisch eines Wissenschaftlers? Die Antwort auf die Frage, ob diese Holzteilchen zum Zeitvertreib und zur Ablenkung da sind oder vielleicht doch mit Informatik zu tun haben, lautet: beides. Es sind Dominos, wie sie in mathematisch formulierbaren Problemen auftauchen. Anders als bei den gewohnten länglichen Spielsteinen, die zwei Felder mit je einer Punktzahl tragen, wird ihnen für jede der vier Seiten eine bestimmte Eigenschaft zugewiesen.
Die einfachste Variante, die auf Professor Müllers Tisch liegt, trägt deshalb auf der quadratischen Oberfläche vier Farbfelder, wie durch ein Kreuz von Eck zu Eck unterteilt. So wird klar, welche Farbe welcher Seite zugeordnet ist. Wie beim üblichen Dominospiel gleiche Punktwerte zueinander passen, müssen hier gleiche Farben – blau, grün oder gelb – aufeinander treffen. Die Vierfarb-Dominos dürfen jedoch nicht gedreht werden: ein Teil, dem Gelb für den „Norden“ zugewiesen wurde, muss immer mit der gelben Kante nach oben liegen.
Wenn Professor Müller in seiner Vorlesung über „Perlen der Theoretischen Informatik“ über Varianten des Domino-Problems spricht, geht es allerdings nicht um ein Spiel, bei dem die Gegner versuchen, ihre Steine möglichst schnell anzusetzen, um als erster nichts mehr auf der Hand zu haben. Es geht um Entscheidbarkeit, um Berechenbarkeit. In die Anwendung übersetzt, bedeutet das: Kann ein Algorithmus – eine Rechenvorschrift – gefunden werden, mittels derer ein Computer eine bestimmte Aufgabe lösen kann, oder ist das für diese Aufgabe prinzipiell unmöglich? Für Computer, die nur eine begrenzte Anzahl von Rechenoperationen ausführen können, gibt es Probleme, vor denen sie unweigerlich versagen müssen.
Das beschränkte und das uneingeschränkte Domino-Problem sind Fachleuten als Beispiele für Entscheidbarkeit oder Unentscheidbarkeit bekannt. Die Frage lautet: Können derartige Domino-Teile, wenn sie in unbegrenzter Zahl, aber mit festgelegten Eigenschaften zur Verfügung stehen, eine unendliche Fläche völlig ausfüllen? Dass über die Möglichkeit, eine Ebene auf diese Art zu „parkettieren“, nichts gesagt werden kann, wenn die Eigenschaften der Dominos nicht genauer beschrieben werden, lässt sich beweisen. Andernfalls kommt es darauf an, um welche Art von Domino-Steinen es sich handelt.
Für die vierfarbigen Plättchen beispielsweise lässt sich allein durch Ausprobieren relativ schnell eine Anordnung aus wenigen Teilen finden, die – wie eine Wandkachel oder ein Tapetenmuster – in jeder Richtung immer wieder aneinandergesetzt werden könnte und deshalb auch bis ins Unendliche reicht. Sehr viel schwieriger wird es, wenn die Domino-Seiten keine Farbeigenschaft haben, sondern etwa schräg aufgesetzte, herausragende oder eingekerbte Dreiecke darüber bestimmen, ob zwei Seiten aneinandergefügt werden können. Auch wenn sich für konkrete Dominosteine das Problem als nicht berechenbar erweist, bleibt das Ausprobieren noch offen – mit viel Geduld und Glück könnte ja ein Parkett zustandekommen. Nur dann ist tatsächlich die Entscheidung gefallen. „Wenn es nicht funktioniert, kann man nichts darüber sagen, ob es nicht grundsätzlich möglich wäre“, erklärt Professor Müller.
Tiefer in die theoretische Informatik einzudringen, ist jedoch nicht nötig, um deren Definition von Dominosteinen für den Entwurf neuer Spiele zu nutzen. Mathematische Regeln liegen vielen gebräuchlichen Spielen zugrunde, und Spielbegeisterte wenden sie an, ohne dass ihnen dies überhaupt bewusst wird. Professor Müller, der sich auch mit Labyrinthen auskennt, hat mehrere, sowohl einfache wie komplexe Domino-Varianten vorrätig, die zu Puzzles für Denksportler oder zu Legespielen mit Wettbewerbsregeln tauglich wären. Informatik und Mathematik als Quellen für Spiel-Ideen zu benutzen, ist keineswegs ein abwegiger Gedanke. M.C. Escher, als Grafiker für seine Einfälle berühmt, schrieb vor fast dreißig Jahren über die Mathematiker seines Bekanntenkreises: „Wie verspielt die gelehrten Damen und Herren doch sein können!“
Kontakt:
Prof. Dr. Horst Müller, Professur für Theoretische Informatik
Martensstraße 3, 91058 Erlangen
Tel.: 09131/85 -27911, Fax: 09131/85 -27239
E-Mail: mueller@informatik.uni-erlangen.de
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