Wirkungsgeschichte der UN-Menschenrechts-Charta von 1948 analysiert
Die „Universale Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 hat die Politik nach dem II. Weltkrieg global und nachhaltig geprägt. Zu diesem Ergebnis kommen Jenaer Politikwissenschaftler um Prof. Dr. Klaus Dicke, die die Wirkungsgeschichte analysiert haben. Die „UN-Menschenrechts-Charta“ ist z. B. Bestandteil vieler Nachkriegsverfassungen – u. a. auch des deutschen Grundgesetzes – geworden, und sie bildet die Grundlage für friedensstiftende und -sichernde Missionen der UN. Große Nachhaltigkeit erzielt sie außerdem durch das Wirken zahlreicher Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs), wie z. B. Amnesty International.
„Globalisierung“ ist für den Jenaer Politikwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Dicke kein Reizwort mit negativem Zungenschlag. „In unserem politischen Denken und Urteilen gehen wir längst ganz selbstverständlich von globalen Normen aus“, erörtert er „Ohne den global weitgehend anerkannten Kanon der Menschenrechte als ethisches Fundament wäre heute politisches Handeln und eine weltweite Verständigung über dessen Grundlagen kaum denkbar.“
Dicke erinnert an das Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft in Kuwait, Haiti und im ehemaligen Jugoslawien, aber auch an das unblutige Ende des Ost-West-Gegensatzes. Hier waren Normen handlungsleitend, deren Wurzeln in der „Universalen Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948 und ihrer Wirkungsgeschichte begründet sind. Diese haben Dicke und sein Jenaer Forscher-Team jetzt in einem umfassenden Projekt analysiert. Die Volkswagen-Stiftung Hannover förderte diese Arbeit mit knapp 200.000 Mark.
Der Völkermord jungtürkischer Potentaten an den Armeniern in der Zeit des Ersten Weltkrieges, vor allem aber die Verbrechen im ,Dritten Reich’ stellen den Erfahrungshorizont dar, vor dem die Vereinten Nationen 1948 einen Katalog fundamentaler Menschenrechte als „gemeinsam zu erreichendes Ideal“ aller Staaten formulierten. „Wir haben mit dieser Erklärung ein globales Gestaltungsprogramm, das einerseits auf die Ideen der Aufklärung zurückgreift“, erläutert Dicke, „schon Immanuel Kant ging von einem solchen ’Weltbürgerrecht’ aus. Andererseits waren dessen Verfasser aber peinlich darauf bedacht, die Anerkennung durch alle Kulturen sicherzustellen“. So ist dieses Programm nach 1948 in völkerrechtlichen Verträgen und in zahlreichen Verfassungen, nicht zuletzt im deutschen Grundgesetz, umgesetzt worden.
„Die internationale Politik hat in den letzten 50 Jahren die Menschenrechte immer weniger als eine innerstaatliche und immer mehr als eine weltpolitische Aufgabe begriffen“, beschreibt Klaus Dicke die Entwicklung. Der Sicherheitsrat der UN hat bereits 1992 erklärt, er werde massive Menschenrechtsverletzungen als Friedensbedrohung werten und notfalls eingreifen. Damit haben zwar die Konflikte auf der Welt keineswegs abgenommen, wohl aber begreifen sich die Staaten doch in sehr viel stärkerem Maße als eine Wertegemeinschaft, „die um ihrer Wertordnung willen solche Konflikte zu verhindern und die Austragung von Konflikten in rechtliche Bahnen zu lenken versucht“, so der Jenaer Politikwissenschaftler.
Er erinnert etwa an die vom Sicherheitsrat eingerichteten Strafgerichtshöfe, um die in Jugoslawien und Ruanda begangenen Kriegsverbrechen zu ahnden: „Damit haben sich seit 1990 neue Möglichkeiten eröffnet, den Weg zu einer friedlicheren Welt durch die Errichtung einer demokratischen, rechtsstaatlichen und die Menschenrechte schützenden Weltordnung zu begehen, wie ihn die Erklärung von 1948 vorzeichnete.“
China führt Dicke als ein Beispiel an, wie das seit 1948 gewachsene Menschenrechtsbewusstsein in totalitär strukturierte Systeme hineinwirkt und eine Oppositionsbewegung in Gang setzt. „Der chinesischen Staatsmacht fällt es zunehmend schwerer auf diesem brodelnden Topf den Deckel zu halten“, analysiert er. „Das liegt auch daran, dass globale Kommunikationsnetze wie das Internet Informationen darüber geradezu subversiv verbreiten.“
Und der Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen wäre in den meisten ost- und mitteleuropäischen Staaten kaum so friedlich verlaufen, wenn nicht bereits interne Oppositionen mit den Idealen von Demokratie und Menschenrechten so starken Einfluss entwickelt hätten. Dicke: „Ohne die mehr als 20-jährige Arbeit von kirchlichen und Menschenrechtsgruppen in der DDR wäre der Umbruch 1989 so, wie wir ihn erlebt haben, kaum vonstatten gegangen.“
Parallel dazu hat sich das Gedankengut aus der Menschenrechts-Charta aber auch auf einer nichtstaatlichen Ebene entfaltet. Zivilcouragiertes Handeln wird heute grenzüberschreitend von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) wie „amnesty international“ oder „Greenpeace“ propagiert und exemplarisch vorgelebt – und das mit erheblichen realpolitischen Konsequenzen. Klaus Dicke: „Globale Vereinbarungen zum Umweltschutz wie etwa das Kyoto-Protokoll, der Den Haager Strafgerichtshof, die Anti-Personenminen-Konvention oder das Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention wären ohne Beteiligung der NGOs so nicht zustande gekommen. Der Einfluss reicht sogar bis auf die kommunalpolitische Ebene, wenn ich etwa an die Agenda-21-Programme denke.“
Für die Zukunft prophezeit der Jenaer Politikwissenschaftler sogar eine weitere Einflusszunahme dieser transnational vernetzten Gruppierungen: „Sie haben sich zu den eigentlichen Hauptträgern des Menschenrechtsgedankens entwickelt.“ In dieser weit entfalteten Unabhängigkeit von einzelstaatlicher Regierungspolitik sieht Dicke heute eine der nachhaltigsten Wirkungen der Menschenrechtspolitik der Vereinten Nationen und der Universalen Erklärung von 1948: „Sie war ein Initial zur rechten Zeit. Heute wird uns kaum noch bewusst, wie sehr sie das politische Handeln – global und lokal – leitet.“
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Klaus Dicke
Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Tel.: 03641/945430, Fax: 945432
E-Mail: s6woma@rz.uni-jena.de
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