Zur Situation der Obdachlosen im Ruhrgebiet

Menschen auf der Straße
Zahlungsunfähig – Wohnung weg
RUB-Studierende: Zur Situation der Obdachlosen im Ruhrgebiet

Auf die Straße geschickt hat Prof. Dr. Hans-Dieter Schwind (Lehrstuhl für Kriminologie, Strafvollzug und Kriminalpolitik, RUB) seine Studierenden: Für ein Seminar haben sie in Teams zehn Revierstädte zum Thema „Obdachlose, Nichtsesshafte und Straßenkinder in Großstädten“ untersucht – Bochum, Dortmund, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hagen, Hamm, Oberhausen, Recklinghausen und Wuppertal. Herausgekommen ist dabei ein sehr differenziertes Bild der Obdachlosigkeit im Ruhrgebiet: Die Bochumer Studierenden fanden heruntergekommene Unterkünfte und fehlende Unterstützung für Frauen und Jugendliche – dabei wächst deren Anteil unter den Obdachlosen. Aus vielen Städten berichten sie aber auch Erfreuliches: Hilfsprogramme retten zahlreiche „Problem-Kandidaten“ vor dem Abrutschen auf die Straße. Andere Stadtverwaltungen überlassen die Verantwortung für die Wohnungslosen den Kirchen und privaten Einrichtungen, die einen großen Teil der Hilfsangebote tragen.

Fristlos gekündigt

Seit 1996 ist die Wohnungslosenzahl in NRW um 52,5% gesunken, das macht sich auch in den Revierstädten bemerkbar. Entwarnung gibt es aber nicht – noch immer verlieren Menschen ihr Dach über dem Kopf, häufig, weil der Vermieter fristlos gekündigt hat. Kündigungsgrund ist meist Zahlungsunfähigkeit – z.B. durch Arbeitslosigkeit – oder mietwidriges Verhalten. In Essen ist die Zahl der Wohnungslosen entgegen dem landesweiten Trend seit 1988 von rund 750 auf 1.390 (1999) gestiegen – der Frauenanteil hat sich dabei verzehnfacht. Die Stadtverwaltungen könnten durch ein rechtzeitiges Eingreifen in vielen Fällen das Abrutschen in die Obdachlosigkeit verhindern, viele Städte bemühen sich in dieser Hinsicht. Ein vorbildliches Beispiel ist Duisburg: Der „Wohnungsnotfallplan“ von 1996 (Landesprogramm „Wohnungslosigkeit vermeiden – dauerhaftes Wohnen sichern“) hat hier für einen Rückgang der Obdachlosenzahl um fast 90% gesorgt. Das Konzept: Eine „Zentrale Fachstelle“ berät Hilfsbedürftige und koordiniert Wohnungsvermittlungen. Die Kommune übernimmt unter Umständen sogar Mietschulden; Wohnungsanbieter und Amtsgerichte informieren die Fachstelle unverzüglich über Räumungsklagen oder Mietrückstände, damit die Hilfe rechtzeitig kommt.

Frauen auf der Straße

Einen wesentlichen Anteil an der Betreuung der Wohnungslosen haben die kirchlichen und privaten Einrichtungen (z.B. Caritas, Diakonie, Verein Suppenküche/Bochum). Vor allem die nicht-städtischen Einrichtungen bieten vielfältige Hilfe an, so z.B. in Essen: Übernachtungsmöglichkeiten, Verpflegung, Duschgelegenheiten und sozialen Kontakt – oder auch ärztliche Versorgung durch das „Arztmobil“, das täglich in der Innenstadt steht (ähnlich wie das „Medi-Mobil“ in Wuppertal). „Die Insel“ und das „Café Schließfach“ sind Betreuungsangebote speziell für Frauen – was besonders wichtig ist, denn Frauen lehnen eine gemischte Unterbringung aus Angst vor Belästigungen durch die Männer häufig ab. In einigen Städten fehlen diese speziellen Angebote: In Gelsenkirchen gibt es keine Obdachlosenunterkunft für Frauen, in Bochum bietet das Christopherushaus Unterstützung für wohnungslose Männer, die nicht mehr ohne fremde Hilfe am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen können – eine vergleichbare Einrichtung für Frauen gibt es jedoch nicht.

Kinder auf der Straße

Alkoholsucht ist häufig auch Ursache für Obdachlosigkeit, Prostitution kann eine Folge sein – so begeht beispielsweise ein Großteil der Wuppertaler Straßenkinder Beschaffungsdelikte, um den Drogen- und Alkoholkonsum zu finanzieren. „Die Stadt verschließt ihre Augen vor der bestehenden Problematik und lässt die Kids mit ihren Problemen im Stich“, so Dirk Bönschen, ehrenamtlicher Streetworker vom Allgemeinen Hilfskreis. Dabei gibt es auch Hilfsangebote speziell für diese junge Zielgruppe – z.B. eine Übernachtungsmöglichkeit in der Jugendschutzstelle des städtischen Jugendamtes in Trägerschaft des Caritasverbandes in Wuppertal-Barmen. Wohnungslosigkeit ist also kein „Erwachsenen-Problem“: In Bochum leben nach Schätzungen von Streetworkern bis zu 30 Jugendliche auf der Straße, in Dortmund waren 1999 von rund 190 Wohnungslosen 15% Kinder und Jugendliche.

Begegnung in der Innenstadt

Die Öffentlichkeit begegnet den Wohnungslosen oft in der Innenstadt, wenn sie „Bodo“ oder ähnliche Obdachlosen-Zeitschriften verkaufen. Der Verkauf ist für die Obdachlosen ein Schritt in Richtung „geregeltes Leben“, denn sie gehen einer Beschäftigung nach und behalten einen Teil des Erlöses. Allerdings kann die Begegnung mit Passanten auch zu Ärger führen: immer dann, wenn die Wohnungslosigkeit mit aggressiver Bettelei, Diebstählen und anderen Übergriffen verbunden ist – meist Beschaffungskriminalität. Prominentes Beispiel hierfür war bis vor kurzem die Situation am Essener Hauptbahnhof. Aber auch die anderen Revierstädte haben ihre „Szene“, in Recklinghausen ist es z.B. der Marktplatz. Geschäftsleute sehen das häufig gar nicht gern – Beispiel CentrO Oberhausen: Obdachlose Punks haben hier keinen Zutritt.

Weitere Informationen

Die Studierenden haben kurze Dossiers zur Situation der Obdachlosen in den einzelnen Revierstädten zusammengestellt. Informationspapiere können beim Lehrstuhl für Kriminologie angefordert werden:
Prof. Dr. jur. Hans-Dieter Schwind, Ruhr-Universität Bochum, Lehrstuhl für Kriminologie, Strafvollzug und Kriminalpolitik, Tel.: 0234/32 25 245, Fax: 0234/32 14 328, E-Mail: LS.Schwind@jura.ruhr-uni-bochum.de

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Dr. Josef König idw

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