Wie verändern sich private Beziehungen nach dem Tod des Partners?

Soziologin der Freien Universität Berlin untersucht „Soziale Netzwerke nach der Verwitwung“.

Tiefe Trauer und Schmerz sind allgemein bekannte psychologische Reaktionen auf den Tod eines langjährigen (Ehe-)Partners. Wie aber verändern sich die sozialen Beziehungen eines Menschen, der plötzlich alleine leben muss? Darüber wusste die Forschung bis jetzt relativ wenig. Im Rahmen ihrer Dissertation, die sie als Stipendiatin der Berlin-Forschung am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin erarbeitete, hat sich Dr. Betina Hollstein mit dem noch unerschlossenen Feld der „Sozialen Netzwerke nach der Verwitwung“ beschäftigt.

Interessiert daran, wie und aus welchen Gründen sich private Beziehungen zu Freunden, Nachbarn oder Kollegen nach dem Tod des Partners verändern, ließ sich die Soziologin von ihren Interviewpartnern deren Lebensgeschichte erzählen. So konnte sie ergründen, ob diese Personen nach dem Tod des Partners eine neue Basis für ein zufrieden stellendes Leben gefunden haben. Dabei stellte sie fest: „In unserer Gesellschaft muss man sich damit abfinden, dass man seine Beziehungen – nach dem Tod des Partners – ausbauen muss, um wieder ein befriedigendes Leben zu führen. Es muss sich etwas verändern.“ Menschen, die keine neuen Kontakte knüpfen, sondern als Witwe(r) lediglich versuchen, alte Beziehungen, beispielsweise zu Familienmitgliedern, zu intensivieren, gehören, gemäß Hollstein, einer Risikogruppe an. Sie vereinsamen und sind mit ihrem Leben meist unzufrieden. Der Fall der Brigitte F., einer Mutter und Hausfrau aus Berlin, ist wohl exemplarisch für diese Risikogruppe. Während ihrer Ehe war sie vor allem auf Mann und Kind fixiert. Nach dem Tod ihres Gatten konnte sie keine neuen Beziehungen knüpfen, und sie hat auch keine neuen Aktivitäten aufgenommen. Ihr Sohnes und dessen Familie stehen ihr am nächsten und sind der Mittelpunkt ihres Lebens. Brigitte F. erzählte der Autorin, dass sie zwar nicht niedergeschlagen sei, aber „traurig, weil man alleine rumrennt“.

Dagegen haben Menschen, die den Wegfall ihrer Partnerschaft mit der Aufnahme verschiedener Freizeitaktivitäten kompensieren, eine neue Grundlage für ihr Leben gefunden. Ob ausgedehnte Reisen in ferne Länder oder ehrenamtliches Engagement im heimischen Schwimmverein: Aktivitäten können eine Partnerschaft ersetzen oder aber dazu dienen, Menschen kennen zu lernen und neue Beziehungen aufzubauen.

Klaus W., neben Brigitte F. ein weiteres von Hollstein aufgeführtes Fallbeispiel, hat durch die Mitgliedschaft in einem Reitverein nach dem Tod seiner Frau etwa dreißig bis vierzig neue Kontakte geknüpft. Er fühlt sich nicht allein und sehnt sich, nach eigenen Angaben, auch nicht nach einer neuen intimen Beziehung. Er hat im Vereinsleben ein Alternativmodell zur Partnerschaft gefunden.

Die Suche nach neuen Freundschaften fällt Frauen interessanterweise nicht leichter als Männern. Betina Hollstein hatte dies zunächst vermutet, da die Organisation von familiären und außerfamiliären Kontakten während einer Partnerschaft normalerweise eher Frauen-Sache ist. Dieses weibliche Potential wird als „gate-“ und „kinkeeping“ bezeichnet.

Ebenfalls wenig relevant für die sozialen Kontakte ist der Stellenwert, den die zurückliegende Partnerschaft für die Verwitweten hatte. Das Auseinanderbrechen alter Beziehungen ist häufig gar nicht zu beeinflussen. Freundschaften mit sehr starkem persönlichem Bezug oder zu Menschen, die man bei gemeinsamen Aktivitäten kennen gelernt hat, erwiesen sich als besonders beständig. Ist allein Geselligkeit das verbindende Element einer Beziehung, so wie es oft bei befreundeten Paaren der Fall ist, bricht der Kontakt meistens ab, sobald einer aus dem Quartett durch den Tod des Partners zur Einzelperson geworden ist.

Franziska Garbe

Literatur:
Betina Hollstein, „Soziale Netzwerke nach der Verwitwung. Eine Rekonstruktion der Veränderungen informeller Beziehungen“, erschienen in der Reihe „Forschung Soziologie“, Band 141, Opladen: Leske + Budrich, 2002, ISBN 3-8100-3260-3

Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Dr. Betina Hollstein, Tel.: 0621 / 181-2028, E-Mail: bhollste@rumms.uni-mannheim.de

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