Ein Knochenmark im Miniaturformat

LMU Klinikum/Stephanie Frenz-Wießner, AG Klein
Links: Knochenmarkorganoid mit Gefäßnetzwerk (rot), Bindegewebszellen (grün), Blutzellen (weiß) und Zellkernen (blau). Rechts oben: 3D-Visualisierung des Gefäßnetzwerks. Rechts unten: 3D-Visualisierung von Blutzellen (türkis) innerhalb von Gefäßen (rot) im Organoid; Immunfluoreszenzfärbungen und 3D-Rekonstruktion mittels Zwei-Photonen Mikroskopie.
(c) LMU Klinikum/Stephanie Frenz-Wießner, AG Klein

Organoide – dreidimensionale Miniatur-Modelle von Organen – sind kaum größer als einen Millimeter. Sie können im Idealfall die Funktionen der großen Originale nachbilden.

Nun ist es einem interdisziplinären Team von Wissenschaftlern im Dr. von Haunerschen Kinderspital des LMU Klinikums gelungen, Organoide des menschlichen Knochenmarks zu konstruieren. „Wir denken, dass sich diese Technologie in vieler Hinsicht als nützlich erweisen könnte – von der Modellierung angeborener und erworbener Erkrankungen des Knochenmarkes bis hin zur biotechnologischen Produktion von Blutzellen“, sagt Professor Christoph Klein, Direktor der LMU Kinderklinik und Kinderpoliklinik. Im Wissenschaftsmagazin „Nature Methods“ hat das Team sein innovatives Verfahren zur Erzeugung dieser komplexen, humanen Knochenmarksorganoide aus induzierten pluripotenten Stammzellen ausführlich beschrieben.

Diese Forschungsgeschichte „begann mit zwei Kindern, deren Eltern sich an die Experten für seltene angeborene Erkrankungen im „Haunerschen“ wandten“, erzählt Dr. Stephanie Frenz-Wießner, die Erstautorin der Studie. Die Kinder hatten in ihrem Erbgut eine neue Mutation und entwickelten schon früh ein Versagen des Knochenmarks. Dort werden täglich aus speziellen Stammzellen alle Zellen des menschlichen Bluts gebildet – ein unendlicher Nachschub. Die Mutation indes führt zu einer sogenannten Myelofibrose. Dabei vernarbt das Gewebe im Knochenmark, wodurch es seine Funktionen nicht mehr ausreichend erfüllen kann. Die Folgen: zum Beispiel Blutarmut, Blutungen, ständige Infektionen.

„Wir wollten herausfinden, wo das Problem in der Knochenmarksnische liegen könnte“, sagt Frenz-Wießner, „aber wir hatten dafür einfach kein gutes Modell, um das zu untersuchen.“ So kam die Idee, ein dreidimensionales Organoid der Knochenmarksnische zu entwickeln. Das sind die Orte im Knochenmark, in dem sich die Blutstammzellen befinden – inmitten eines Netzwerks von Blutgefäßen sowie Vorläuferzellen von Knochen, Knorpel und Fett. Störungen der Nische, soviel ist bekannt, können zu Erkrankungen des Knochenmarks wie eben der Myelofibrose oder Leukämie beitragen.

Wie wird die Bildung eines Organoid initiiert?

Grundlage des Organoids, welches die Forschenden der Kinderklinik gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von Helmholtz Munich (Gruppe von Carsten Marr) und des Instituts für Molekulare Biotechnologie in Wien (IMBA) sowie der MedUni Wien (Gruppe von Josef Penninger) entwickelt haben, bilden sogenannte „induzierte pluripotente Stammzellen“ (iPS-Zellen). Sie werden durch bestimmte molekulare Tricks aus Zellen der Haut oder Zellen der Niere, die mit dem Urin ausgeschieden werden, erzeugt. Durch eine spezifische Abfolge von Wachstumsfaktoren und Signalmolekülen ist es dem Team gelungen, iPS-Zellen binnen drei Wochen in die Haupt-Zelltypen des Knochenmarks zu differenzieren, die sich im Raum anordnen.

Die resultierenden Organoide bestehen aus einem Netzwerk von Blutgefäßen, einem Kompartiment mit verschiedenen Blutzelllinien und einem Bindegewebs-Kompartiment. Die Einbettung in eine sogenannte Extrazellulärmatrix schafft eine dreidimensionale Architektur mit Blutgefäßen, Perizyten und Blutzellen, die der Nische des humanen Knochenmarks ähnelt, wie sich durch verschiedene Analyseverfahren nachweisen ließ. „Außerdem entwickelten sich in diesen Organoide Zellen, die Eigenschaften von Blutstammzellen aufwiesen“, sagt Stephanie Frenz-Wießner. In Mäuse verpflanzt, konnte ein Teil der Zellen dort für eine bestimmte Zeit Nachschub an Blutzellen liefern. Und letztlich haben die Forschenden mit den Organoiden begonnen, die Knochenmarkserkrankung der beiden Kinder zu untersuchen. Dabei haben sie nachgewiesen, dass Organoide mit Mutationen im VPS45-Gen, einer bereits bekannten Genmutation, bei denen die Kinder auch Myelofibrose zeigen, tatsächlich Vernarbungen entwickeln. Das bedeutet kurzum: Das Modell funktioniert.

„Durch diese Knochenmarksorganoide aus iPS-Zellen können wir nun komplexe Interaktionen zwischen verschiedenen Zelltypen des Knochenmarks im Labor untersuchen“, sagt Christoph Klein, „und so versuchen, die Entwicklung von Krankheiten wie Knochenmarkversagen oder Leukämien besser zu verstehen.“ Perspektivisch besteht außerdem die Chance, dass patienten-spezifische Organoide genutzt werden könnten, um individualisierte Therapien zu entwickeln und zu testen.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Christoph Klein
Direktor Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital
LMU Klinikum München
Tel: +49 89 4400-57701
E-Mail: christoph.klein@med.uni-muenchen.de

Dr. med. Stephanie Frenz-Wießner
Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital
LMU Klinikum München
Tel.: +49 89 4400-52811
E-Mail: stephanie.frenz@med.uni-muenchen.de

Originalpublikation:

Frenz-Wiessner et al., Generation of complex bone marrow organoids from human induced pluripotent stem cells, 2024, Nature Methods. DOI: 10.1038/s41592-024-02172-2

https://www.lmu-klinikum.de/aktuelles/pressemitteilungen/ein-knochenmark-im-miniaturformat/b2654d9d92860337

Media Contact

Philipp Kressirer Kommunikation und Medien
Klinikum der Universität München

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Interdisziplinäre Forschung

Aktuelle Meldungen und Entwicklungen aus fächer- und disziplinenübergreifender Forschung.

Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Mikrosystemforschung, Emotionsforschung, Zukunftsforschung und Stratosphärenforschung.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…