EU-Projekt: TU-Forscher entwickeln technologische Schreckensszenarien und kooperieren mit Bundeskriminalamt
Es handelt sich um ein Erpressungsschreiben von einem anonymen Absender. Wenn es wenige Tage später im Parlament zur Abstimmung über das neue Biobanken-Gesetz kommt, soll er es ablehnen. Andernfalls, so die Drohung, werde eine individuelle DNS-Analyse von ihm veröffentlicht.
Diese – das weiß er – würde unangenehme Informationen preisgeben, wie seine erhöhte Neigung zu Alkoholismus. Das neue Gesetz ist höchst umstritten. Es soll größeren Austausch und stärkere Vernetzung von Biodatenbanken ermöglichen. Obwohl der Politiker vorhatte, gegen das Gesetz zu stimmen, wird er nachdenklich und beginnt zu recherchieren.
Handelt es sich um eine Zukunftsvision oder um ein Science-Fiction-Plot? Die Geschichte ist eines von vielen Szenarien, die im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekts „FESTOS“ (Foresight of evolving security threats posed by emerging technologies, www.festos.org) von Dr. Hans-Liudger Dienel, Roman Peperhove und Christoph Henseler vom Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin entwickelt wurden. Die Szenarien präsentieren technologisch indu-zierte Gefahren in unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen und Kontexten. Aufgrund konkreter Vorgaben des Projektkonsortiums und eines internationalen Expertenteams hat der Zukunftsforscher und Science-Fiction-Autor Karlheinz Steinmüller die Katastrophengeschichten zu Papier gebracht.
So entstanden dunkle Szenarien, die von attackierenden Cyber-Insekten handeln, von Separatisten, die ein akustisches Virus einsetzen, um die Bevölkerung zu manipulieren oder von nanotechnologischen Produkten, die sich selbst zerstören und die Menschen massenweise auf die Trödelmärkte treiben, um verlässliche, herkömmliche Produkte zu erstehen. Es handelt sich bei den Szenarien um sogenannte „Wildcards“, unerwartete Ereignisse, die zwar eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit haben, die aber, wenn sie eintreten, wesentliche Änderungen bewirken. Beispiele aus der Vergangenheit sind die Terroranschläge des 11. September 2001.
Das Projekt FESTOS wurde von der EU-Kommission gefördert und von Zukunftsforschungsinstituten aus fünf Ländern durchgeführt. Die Koordination lag bei der Universität Tel Aviv. Das ZTG der TU Berlin war zuständig für die Szenarienentwicklung. Diese thematisieren neben möglichem Missbrauch zukünftiger Technologien auch Präventionsmaßnahmen, um Gegenmaßnahmen aufzuzeigen. In allen Untersuchungsländern gab es eine enge Kooperation mit Sicherheitsbehörden. Carl-Ernst Brisach, der ehemalige Leiter des Kriminalistischen Instituts des Bundeskriminalamts (BKA), und Peter Sehr, der Leiter der Fachgruppe TESIT (Neue Technologien), gehörten zum Beirat des FESTOS-Projekts. Das BKA betreibt seit einiger Zeit den „Technologieradar“ für die Früherkennung technologischer Gefahren und kooperiert dafür mit dem ZTG der TU Berlin.
Dunkle Bedrohungsszenarien sind im FESTOS-Projekt die Folie für die Entwicklung demokratischer Präventionsmechanismen. Das sind Mechanismen, welche nicht die Freiheit von Forschung und Entwicklung abschnüren, sondern durch Transparenz, Selbstkontrolle, Berichtspflichten und Kommunikation die zum Teil massiven Bedrohungen von Technologien gesellschaftlich beherrschbar machen. „FESTOS ist daher ein wichtiges Projekt für die Zukunft technologischer Forschung in Europa und die Zukunft der demokratischen (Selbst-)Kontrolle der Wissenschaft. Das Zentrum Technik und Gesellschaft wird die Szenarien demnächst als Buch veröffentlichen“, so Dr. Hans- Liudger Dienel, Leiter des Zentrums Technik und Gesellschaft der TU Berlin.
Vier Szenarien zu zukünftigen technologischen Bedrohungen finden Sie unter: www.tu-berlin.de/?id=117035
Für weitere Fragen steht Ihnen gern zur Verfügung: Dr. Hans-Liudger Dienel, Leiter des Zentrums Technik und Gesellschaft der TU Berlin, Tel.: 030/314-21406, E-Mail: dienel@ztg.tu-berlin.de
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