Gen führt zur Fehlbildung des Harntraktes
Die Nieren und der Harntrakt sind am häufigsten von angeborenen Fehlbildungen betroffen. Etwa jedes 200. Kind leidet darunter.
„Diese Erkrankungen machen rund 20 bis 30 Prozent aller Fehlbildungen aus, die während oder kurz nach der Schwangerschaft auftreten“, sagt Privatdozent Dr. Heiko Reutter vom Institut für Humangenetik und der Abteilung für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin des Universitätsklinikums Bonn.
Seit Jahren untersucht der Kinderarzt die genetischen Ursachen der klassischen Blasenekstrophie. Schon während der Embryonalentwicklung kommt es zu Fehlbildungen – von der Harnblase bis zum gesamten Harntrakt.
Die Folgen sind häufig Harnwegsinfekte, Inkontinenz, Nierenschäden und Beeinträchtigungen der Sexualität. Von der seltenen Erkrankung ist etwa eines von 20.000 Neugeborenen betroffen, sie zählt zu den schwersten Fehlbildungsformen aus diesem Spektrum. „Damit stellt die angeborene klassische Ekstrophie der Harnblase eine enorme Herausforderung in der medizinischen Versorgung der Betroffenen und ihrer Familien dar“, sagt Dr. Reutter.
Schwerpunkt am Zentrum für Seltene Erkrankungen
Die genetischen Ursachen der seltenen Erkrankung lagen bislang im Dunkeln. Die Forscher des Universitätsklinikums Bonn konnten in den vergangenen zehn Jahren mit der Selbsthilfegruppe Blasenekstrophie/Epispadie e.V. und führenden Kinderurologien und Kinderchirurgien in Deutschland – unter anderem des Kinderkrankenhauses der Barmherzigen Brüder in Regensburg sowie den Universitäten Mainz und Ulm – die weltweit größte Patientengruppe gewinnen.
Für die aktuelle Studie wurden die Bonner Forscher zudem durch Forscher am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin unterstützt. Hilfreich war außerdem das Zentrum für Seltene Erkrankungen des Universitätsklinikums Bonn (ZSEB). Die Forscher haben dort einen Schwerpunkt zu seltenen uro-rektalen Fehlbildungen etabliert.
Die Wissenschaftler isolierten von insgesamt 210 Patienten aus Blutproben die Erbinformation und verglichen sie mit einer Kontrollgruppe gesunder Personen. Die Forscher erfassten mit automatisierten Analyseverfahren jeweils mehr als 700.000 genetische Marker, die gleichmäßig über die DNA verteilt sind.
Bei der Auswertung mit biostatistischen Methoden ergab sich ein klarer Zusammenhang mit einem veränderten Gen: ISL1 (5q11.1), das sich auf dem Chromosom fünf befindet. „Damit wurde erstmals überhaupt ein Gen im Zusammenhang mit dieser Erkrankung identifiziert“, sagt Prof. Dr. Michael Ludwig vom Institut für Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Bonn.
Fahndung nach weiteren Genen
Für die Wissenschaft handelt es sich damit um einen Durchbruch. „Mit der Entdeckung dieses Gens besteht nun die Möglichkeit, die biologischen Grundlagen dieser Erkrankung aufzuklären“, sagt Prof. Dr. Markus Nöthen vom Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Bonn. Über die genetischen Ursachen der Ekstrophie der Harnblase hinaus gehe es nun darum, Risikofaktoren während der Schwangerschaft zu identifizieren und daraus vorbeugende Ansätze für das werdende Leben zu entwickeln. Weitere Untersuchungen sollen zeigen, welche bislang unentdeckten Gene eine Rolle bei der Entstehung der Erkrankung spielen. Für die Fortsetzung der Studien suchen die Wissenschaftler noch Probanden. Interessierte können sich direkt per E-Mail an Dr. Reutter wenden: reutter@uni-bonn.de.
Publikation: Genome-wide association study and meta-analysis identify ISL1 as genome-wide significant susceptibility gene for bladder extrophy, „PLOS Genetics“, DOI: 10.1371/journal.pgen.1005024.
Kontakt für die Medien:
PD Dr. Heiko Reutter
Institut für Humangenetik/Abteilung
für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin
des Universitätsklinikums Bonn
Tel. 0228/28751000
E-Mail: reutter@uni-bonn.de
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