Ihre Krümmung ist der nächsten Finanzblase voraus
Ein internationales und interdisziplinäres Forscherteam hat mathematische Metriken identifiziert, um die Fragilität von Finanzmärkten zu charakterisieren. Ihre Arbeit „Network geometry and market instability“ beleuchtet die übergeordnete Architektur von Finanzsystemen und ermöglicht es Analysten, systemische Risiken wie Marktblasen oder Börsencrashs zu erkennen.
Mit dem aktuellen Ansturm von Kleinanlegern auf sogenannte Meme-Aktien und dem wieder aufkommenden Interesse an Kryptowährungen werden Debatten über Marktinstabilität, steigender Volatilität und platzender Blasen immer lauter.
„Herkömmliche Wirtschaftstheorien können jedoch Ereignisse wie beispielsweise den Zusammenbruch der US-amerikanischen Subprime-Hypotheken von 2007 nicht vorhersehen“, so Studienautor Areejit Samal. Ihm und seinen Kollegen aus mehr als zehn auf Mathematik, Physik, Wirtschaft und komplexe Systeme fokussierten Institutionen weltweit gelang ein großer Fortschritt bei der Charakterisierung der Instabilität von Aktienmärkten.
Business as usual und instabile Zeiten lassen sich unterscheiden
Ihre Arbeit abstrahiert die Komplexität des Finanzmarktes in ein Netzwerk von Aktien und verwendet geometrisch inspirierte Netzwerkmaße, um die Fragilität des Marktes und die Finanzdynamik zu messen. Die Wissenschaftler analysierten und kontrastierten die Aktiennetzwerke für den US-amerikanischen S&P500 und den japanischen Nikkei-225-Index über einen Zeitraum von 32 Jahren (1985-2016) und konnten erstmals nachweisen, dass mehrere diskrete Ricci-Krümmungen hervorragende Indikatoren für Marktinstabilitäten sind. Die Arbeit wurde kürzlich in der Zeitschrift Royal Society Open Science veröffentlicht. Analysten eröffnet sie die Möglichkeit, zwischen „Business-as-usual“-Perioden und instabilen Zeiten wie Blasen oder Marktcrashs zu unterscheiden.
Das Netzwerk, das durch die Verbindung von Aktien mit stark korrelierenden Preisen und Handelsvolumina entsteht, bildet die strukturelle Grundlage ihrer Arbeit. Mit Hilfe von vier diskreten Krümmungen, die vom Direktor des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften Jürgen Jost und seinen Mitarbeitern entwickelt wurden, untersuchten die Forscher, wie sich die Struktur von Aktiennetzwerken über die Zeit verändern. Ihr Abgleich mit anderen Metriken zur Marktstabilität beweist, dass diese vier Krümmungskonzepte als allgemeine Indikatoren für Marktinstabilität dienen.
Ein besseres Verständnis systemischer Risiken
Eine dieser Krümmungen, die Forman-Ricci-Krümmung (FRE), weist eine besonders hohe Korrelation mit traditionellen Finanzindikatoren auf und kann Marktangst (Volatilität) und Fragilität (Risiko) genau erfassen. Ihre Untersuchung bestätigt, dass der Markt in normalen Handelszeiten sehr fragmentiert ist, während in Zeiten von Blasen und drohenden Marktcrashs die Korrelationen zwischen den Aktien gleichmäßiger werden und stark miteinander verbunden sind.
Die FRE reagiert sowohl auf sektorale als auch auf globale Marktschwankungen. Während gewöhnliche Indikatoren wie die Renditen unauffällig bleiben, legen Netzwerkkrümmungen diese Dynamik offen und erreichen während einer Blase extreme Werte. Somit kann die FRE Wechselwirkungen innerhalb und zwischen Sektoren, die die Ausbreitung von Markt Unruhen fördern und die Gefahr von Marktcrashs erhöhen, erfassen.
Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Mathematik in den Naturwissenschaften, Jürgen Jost, fasst die Schwierigkeiten bei der Analyse der Marktfragilität zusammen: „Es gibt keine einfachen Definitionen für einen Marktcrash oder eine Blase und die reine Beobachtung etablierter Marktindizes oder logarithmierter Renditen ist nicht ausreichend. Unsere Methodik könnte jedoch ein mächtiges Instrument zur kontinuierlichen Analyse des Marktrisikos und somit zur Gesundheit unseres Finanzsystems sein.“ Die durch diese Studie gewonnenen Erkenntnisse können Entscheidungsträgern helfen, systemische Risiken besser zu verstehen und Kipp-Punkte zu identifizieren, die aufkommende Finanzkrisen vorhersagen oder möglicherweise sogar ganz vermeiden können.
Royal Society Open Science ist eine peer-review Open-Access-Wissenschaftszeitschrift, die seit 2014 von der Royal Society herausgegeben wird. Sie konzentriert sich auf die Veröffentlichung von qualitativ hochwertiger und innovativer Forschung im gesamten Bereich der Wissenschaft und Mathematik.
Wissenschaftliche Ansprechpartner:
Dr. Areejit Samal
Mail: asamal@imsc.res.in
Institute of Mathematical Sciences (IMSc), Chennai, Indien
Leiter der Max-Planck-Partnergruppe in Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften Leipzig
Originalpublikation:
Samal A, Pharasi HK, Ramaia SJ, Kannan H, Saucan E, Jost J, Chakraborti A.: Network geometry and market instability.
R. Soc. Open Sci. 8: 201734.
https://doi.org/10.1098/rsos.201734
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Interdisziplinäre Forschung
Aktuelle Meldungen und Entwicklungen aus fächer- und disziplinenübergreifender Forschung.
Der innovations-report bietet Ihnen hierzu interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Mikrosystemforschung, Emotionsforschung, Zukunftsforschung und Stratosphärenforschung.
Neueste Beiträge
Selen-Proteine …
Neuer Ansatzpunkt für die Krebsforschung. Eine aktuelle Studie der Uni Würzburg zeigt, wie ein wichtiges Enzym in unserem Körper bei der Produktion von Selen-Proteinen unterstützt – für die Behandlung von…
Pendler-Bike der Zukunft
– h_da präsentiert fahrbereiten Prototyp des „Darmstadt Vehicle“. Das „Darmstadt Vehicle“, kurz DaVe, ist ein neuartiges Allwetter-Fahrzeug für Pendelnde. Es ist als schnelle und komfortable Alternative zum Auto gedacht, soll…
Neuartige Methode zur Tumorbekämpfung
Carl-Zeiss-Stiftung fördert Projekt der Hochschule Aalen mit einer Million Euro. Die bisherige Krebstherapie effizienter gestalten bei deutlicher Reduzierung der Nebenwirkungen auf gesundes Gewebe – dies ist das Ziel eines Projekts…