Lassen sich Nutzpflanzen impfen?

Die systemische Immunität von Pflanzen konnte RWTH-Biologe Uwe Conrath bereits in Versuchen mit jungen Gurkenpflanzen zeigen.
(c) Peter Winandy

RWTH-Biologen wollen mit interdisziplinärer und überregionaler Kooperation die Immunität von Pflanzen stärken. Dies kann die Zuckerrübenproduktion und damit Arbeitsplätze im Rheinischen Revier sichern.

Es stand im Schatten der Corona-Krise – das „Internationale Jahr der Pflanzengesundheit 2020“, ausgerufen von den Vereinten Nationen. Die wachsende Weltbevölkerung hat einen enormen Bedarf an Lebensmitteln, aber auch an Textilien, Medikamenten und Kraftstoffen aus Pflanzen. „Heute gehen aber immer noch rund 40 Prozent der Erträge an Nutzpflanzen durch Schädlinge und Krankheiten verloren“, sagt RWTH-Professor Uwe Conrath.

Er ist Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Biochemie und Molekularbiologie der Pflanzen. In der Aachener Biologie wird die systemisch erworbene Resistenz, eine Komponente des pflanzlichen Immunsystems, erforscht. Sie kann durch eine moderate Erstinfektion provoziert werden – ähnlich der Impfung beim Menschen.

Schon vor Jahren prägte Conrath den Begriff Abwehrpriming: Er hatte entdeckt, dass eine pilzinfizierte Gurkenpflanze eine Resistenz nicht nur gegen diesen bestimmten Pilz, sondern gegen ein breites Spektrum von Pilzen, Bakterien, Viren und abiotische Stressfaktoren entwickelte. Der Kontakt mit dem Krankheitserreger versetze die Zellen in einen Alarmzustand, erklärt er. Die Pflanze synthetisiere beispielweise Eiweißmoleküle, die dann in ihrem gesamten Organismus schlummerten und nur bei einem erneuten Angriff sehr stark aktiviert würden. Deshalb sei das Priming, die Sensibilisierung nach einer Erstinfektion, eine überaus energieeffiziente Reaktion: Sie werde nur im Ernstfall eingeschaltet und hemme die Pflanzen nicht in ihrem Wachstum und Ertrag.

Für diese Forschungsergebnisse interessieren sich die Hersteller von Pflanzenschutzmitteln, mit denen das Lehr- und Forschungsgebiet kooperiert. Denn Pestizide wirken häufig gegen einzelne oder nur wenige Krankheitserreger. Zudem besteht die Gefahr, dass sie auch Nützlinge eliminieren oder dass Chemikalien-Rückstände im Grundwasser ebenso wie auf den Feldfrüchten verbleiben. Es bestehe daher, so der Molekularbiologe, ein großes Interesse an natürlichen oder naturnahen Substanzen. Sie sollen einerseits toxisch gegen die Krankmacher wirken, andererseits aber das pflanzeneigene Abwehrsystem anregen.

Abwehrpriming der Pflanzen nutzen

So wurden gemeinsam mit Chemikern und Verfahrenstechnikern der RWTH teilweise automatisierte Prüfsysteme entwickelt, um Stoffe aufzufinden, die das Abwehrpriming in Pflanzen hervorrufen. Ein System nutzt die Eigenschaft der Petersilie, fluoreszierende Verbindungen zu produzieren, die eine Aktivierung der Abwehrreaktion anzeigen. Die Petersilienzellkultur leuchtet im UV-Licht besonders stark, wenn ein Wirkstoff ihr Immunsystem scharf stellt. „Was bei der Petersilie wirkt, ist auch bei anderen Pflanzen möglich“, versichert Conrath.

Konventionelle Pflanzenschutzmittel belasten die Umwelt auch, weil der Regen sie abwäscht: Landwirte müssen sie immer wieder neu ausbringen. Deshalb haben die Aachener Biologen Conrath und Professor Ulrich Schwaneberg in Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen an Pflanzenoberflächen haftende „Ankerpeptide“ aus der Natur, zum Beispiel aus der Wanze, entwickelt. Sie wurden mit einem antimikrobiellen Protein aus der Haut eines Baumfrosches verbunden, damit das Protein nach dem Regen an den Blättern verbleiben kann. Das patentierte Anhaftungsverfahren habe man bereits bei Früchten wie Sojabohne, Avocado, Mais oder Heidelbeere getestet. Die Ankerpeptide kommen auch in Verbindung mit so genannten Gelcontainern zum Einsatz, die Professor Andrij Pich von RWTH-Institut für Technische und Makromolekulare Chemie konzipiert hat. Diese Container können als Green Release-Technologie mit Wirksubstanzen beladen werden. Unter Feuchtigkeitseinwirkung quellen die Gele, ihre Poren weiten sich und lassen die Substanz frei. Dabei verhindern die Ankerpeptide, dass der Regen das Gelreservoir herunterspült.

Rübenforschung für den Strukturwandel im Revier

Zuckerrüben sind ein weiteres Forschungsobjekt des Lehr- und Forschungsgebietes. Deutschland ist viertgrößter Produzent von Zuckerrüben weltweit, es gibt hierzulande laut Wirtschaftlicher Vereinigung Zucker knapp 26 000 Betriebe. Mit dem Klimawandel wanderte ein neuer Krankheitserreger aus Frankreich ein: Die Schilf-Glasflügelzikade saugt an den Blättern und überträgt ein Protobakterium, welches das Syndrome Basses Richesses verursacht, kurz SBR genannt. Die Rüben werden kleiner, faulen schneller und haben einen niedrigen Zuckergehalt.

Ein zugelassenes Insektizid gegen die Zikade gibt es zurzeit nicht. In Baden-Württemberg, wo SBR zuerst auffiel, führte dies bereits zu enormen Ernteverlusten. Deshalb fördert das Landesministerium für den ländlichen Raum die Suche nach Priming-Substanzen mit einem sechsstelligen Eurobetrag. „Unsere Hoffnung ist es, einen Wirkstoff aus einer Bibliothek der Natursubstanzen zu finden“, betont Conrath. Es bestehe die Chance, dass die Substanz zudem dank der geprimten Immunantwort die Zuckerrübe vor anderen Bakterien, Pilzen und Viren ebenfalls schützt.

Auch das Rheinische Revier ist eines der Hauptanbaugebiete der Zuckerrübe in Deutschland. Die Region will nach dem Ende von Kohleabbau und -verstromung unter anderem auf eine moderne und nachhaltige Landwirtschaft setzen. Die niederrheinische Bucht verfügt bereits über eine geschlossene Wertschöpfungskette vom Zuckerrübenanbau, über die Zuckerfabriken bis hin zu den Produktions- und Vertriebsstätten der Süßwarenindustrie. Anders als Braunkohle sind die Zuckerrübe und ihre Reststoffe auch nachwachsende Rohstoffe. „Viele Arbeitsplätze sind von der Rübe abhängig“, betont Conrath, „dies macht unsere Forschung so bedeutend für den Strukturwandel im Revier.“

https://www.rwth-aachen.de

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Angelika Hamacher Dezernat 3.0 – Presse und Kommunikation
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