Neue Erkenntnisse für genaue Prognose bestimmter Non-Hodgkin-Lymphome

Von links nach rechts: Prof. Dr. Lorenz Thurner, Dr. Sylvia Zöphel, Dr. Eva Schwarz
Bild: Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr

Jedes Jahr erhalten rund 17.000 Menschen in Deutschland die Diagnose aggressives „Non-Hodgkin-Lymphom“. Das so genannte diffus großzellige B-Zell-Lymphom ist dabei eine der häufigsten Varianten dieser Tumorerkrankung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität des Saarlandes sowie des Universitätsklinikums haben nun eine neue Möglichkeit entdeckt, wie man die Überlebenschancen für Betroffene genauer als bisher vorhersagen kann. Ihre Studie wurde im Fachjournal Molecular Cancer veröffentlicht.

Eine Krebsdiagnose ist für die Betroffenen meist ein großer Schock. Man fragt sich natürlich gleich: Wie stehen meine Chancen? „Bisher werden Prognosen zum Verlauf des B-Zell-Lymphoms mit dem Internationalen Prognostischen Index erstellt“, erläutert Dr. Eva Schwarz, Arbeitsgruppenleiterin am Lehrstuhl für Biophysik von Professor Markus Hoth an der Universität des Saarlandes. Dieser Index wird seit 1993 angewendet und ist der Goldstandard für die Vorhersage des so genannten Progressionsfreien Überlebens beim diffus großzelligen B-Zell-Lymphoms, also der Wahrscheinlichkeit, ob und wie lange ein Patient nach der Behandlung ohne neuerlichen Tumor weiterleben kann. Hierbei werden verschiedene Risikofaktoren wie zum Beispiel das Alter des Patienten und die Zahl der bereits außerhalb der Lymphknoten sichtbaren Manifestationen des Tumors miteinander ins Verhältnis gesetzt und daraus eine Wahrscheinlichkeit für das Progressionsfreie Überleben errechnet.

Eva Schwarz und ihre Mitarbeiterin Sylvia Zöphel, Postdoktorandin in ihrer Arbeitsgruppe, haben nun in enger Zusammenarbeit mit der Klinik für Onkologie, Hämatologie, Klinische Immunologie und Rheumatologie des Universitätsklinikums unter der kommissarischen Leitung von Professor Dr. Lorenz Thurner eine neuartige und sehr zuverlässige Prognosemethode für den Verlauf der Tumorerkrankung entdeckt, die die Genauigkeit des inzwischen etwas in die Jahre gekommenen Internationalen Prognostischen Index erheblich verbessern könnte.

Das Forschungsteam hat sich über mehrere Jahre einzelne Bestandteile des Blutes von insgesamt 46 Patientinnen und Patienten der Klinik für Onkologie, Hämatologie, Klinische Immunologie und Rheumatologie genauer angeschaut und einen eindeutigen Zusammenhang festgestellt: „Wir konnten beobachten, dass Patienten, in deren Blut der Anteil so genannter CD16-positiver T-Zellen über 1,6 Prozent lag und deren Anteil CD16-positiver Monozyten gleichzeitig unter 10 Prozent lag, im Zeitverlauf die höchste Wahrscheinlichkeit für das Progressionsfreie Überleben aufwiesen“, fasst die Erstautorin der Studie, Sylvia Zöphel, die zentrale Erkenntnis zusammen.

Was hat es damit genau auf sich? „CD16 ist ein Oberflächenmolekül, das auf verschiedenen Zellen vorkommt“, so Eva Schwarz. Auch NK-Zellen (Natürliche Killerzellen) besitzen dieses CD16-Oberflächenmolekül, an das der in der gängigen kombinierten Immun-Chemotherapie eingesetzte Antikörper „Rituximab“ bindet. Da Rituximab auch an die Krebszellen bindet, wird eine enge Verbindung zwischen NK-Zelle und Krebszelle geschaffen. Das führt dazu, dass die NK-Zellen die Krebszellen zerstören, also eine Aktivierung des körpereigenen Immunsystems.

„CD16 kommt auch auf einem sehr kleinen Anteil der T-Zellen und auch auf Monozyten vor, zwei weiteren Zelltypen des Immunsystems“, so Eva Schwarz weiter. „In unserer Arbeit haben wir uns den Verlauf der Krankheit über zwei Jahre angeschaut unter Berücksichtigung der Anzahl von CD16-positiven T-Zellen und Monozyten“, so die Biophysikerin weiter. Dabei haben sie den bereits erwähnten genauen Zusammenhang zwischen dem Anteil CD16-positiver T-Zellen und CD16-positiven Monozyten sowie dem Progressionsfreien Überleben beobachten können: Je mehr CD16-positiver T-Zellen und je weniger CD16-positiver Monozyten, desto besser die Prognose für den einzelnen Patienten.

„Wir schauen hier also nicht auf den Tumor selbst, sondern auf das Immunsystem“, führt Sylvia Zöphel aus. „Das Beeindruckendste für mich war dabei, dass die Zahl der CD16-positiven T-Zellen auch über den Verlauf der Therapie so konstant blieb. Anders als die NK-Zellen, die unter dem Einfluss der Chemotherapie ebenfalls stark dezimiert wurden, blieb die Population der T-Zellen recht stabil“, ergänzt Lorenz Thurner. Dadurch konnten die T-Zellen ihrer Aufgabe im Immunsystem, die krankhaften Tumorzellen zu bekämpfen, auch weiterhin nachkommen, selbst wenn die NK-Zellen durch die Chemotherapie in Mitleidenschaft gezogen wurden.

Das interdisziplinäre Team aus Biophysik und Klinischer Medizin betont, dass für ein neues Prognose-Werkzeug auf Grundlage dieser Erkenntnisse noch weitere, größere Studien folgen müssen und der Internationale Prognostische Index auch nach wie vor in der Praxis unverzichtbar sein wird. „Aber es wäre natürlich gut, wenn wir irgendwann einen guten prognostischen Marker daraus entwickeln könnten“, sagt Lorenz Thurner. Wenn es dereinst einen einfachen Bluttest gäbe, der auf der Basis dieser Erkenntnisse eine präzisere Prognose für den einzelnen Patienten erstellen könnte, wäre dies ein großer Gewinn. Das kann auf längere Sicht zu einer besseren Anpassung der Therapie führen.

Dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese Erkenntnis überhaupt erst erlangen konnten, ist indes bereits heute ein großer Gewinn, sowohl für die Wissenschaft selbst als natürlich auch für die Patienten. Denn die enge Zusammenarbeit von Klinischer Medizin und universitärer Grundlagenforschung, wie sie hier geradezu idealtypisch auf dem Campus Homburg zustande kam, ist beileibe keine Selbstverständlichkeit. „Das hat hier phantastisch funktioniert und damit die Grundlage für solche Studienergebnisse gelegt“, lautet denn auch das Fazit von Eva Schwarz.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr. Eva Schwarz
Tel.: (06841) 1616310
E-Mail: eva.schwarz@uks.eu

Originalpublikation:

Sylvia Zöphel, Nadja Küchler, Johanna Jansky, Cora Hoxha, Gertrud Schäfer, Julius J. Weise, Joanne Vialle, Lea Kaschek, Gebhard Stopper, Hermann Eichler, Daniela Yildiz, Alina Moter, Philipp Wendel, Evelyn Ullrich, Claudia Schormann, Torben Rixecker, Onur Cetin, Frank Neumann, Patrick Orth, Moritz Bewarder, Markus Hoth, Lorenz Thurner & Eva C. Schwarz CD16+ als prädiktiver Marker für einen frühen Rückfall bei aggressiven B-NHL/DLBCL-Patienten. Mol Cancer 2323, 210 (2024). https://doi.org/10.1186/s12943-024-02123-7

http://www.uni-saarland.de

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