BMBF-Projekt zur Neubewertung der Vorratsdatenspeicherung
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung war vor einigen Monaten nicht nur in Fachkreisen mit großer Spannung erwartet worden. Bestimmte Daten über die Nutzung elektronischer Kommunikation mussten auf der Grundlage des nach EU-Vorgaben geänderten Telekommunikationsgesetzes seit dem 1. Januar 2008 – bzw. hinsichtlich des Internetverkehrs seit dem 1. Januar 2009 – für sechs Monate von den Dienstanbietern auf Vorrat gespeichert werden. Sie sollten den Strafverfolgungsbehörden für ihre Ermittlungen, aber auch Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden zum Zwecke der Gefahrenabwehr zur Verfügung stehen. Nachdem der Zugriff auf die gespeicherten Daten bereits zuvor im Wege einstweiliger Verfügungen stark eingeschränkt worden war, erklärte das Bundesverfassungsgericht die gesamte Regelung am 2. März 2010 wegen Verstoßes gegen das Telekommunikationsgeheimnis (Artikel 10 Grundgesetz) für nichtig.
Das Forschungsprojekt „INVODAS – Interessenausgleich im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung“ wird analysieren, ob und wie im Falle einer Neuregelung die widerstreitenden Freiheits- und Sicherheitsinteressen bestmöglich zu einem Ausgleich gebracht werden können; die Finanzierung durch das BMBF erfolgt aus Mitteln des Forschungsprogramms „Gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung“. Dabei soll vor allem der Rechtsvergleichende Blick in die übrigen 26 EU-Mitgliedstaaten wesentliche Informationen liefern. „Die verschiedenen in anderen Mitgliedstaaten erprobten oder erörterten Lösungen geben Anregungen für die gesellschaftliche Diskussion in Deutschland. Sie bedürfen aber der Anpassung an die Sicherheitskultur, die Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen, an die Sicherheitsarchitektur und den Rechtsrahmen in Deutschland, bevor aus ihnen Vorschläge für technische, organisatorische und rechtliche Lösungen entwickelt werden können“, so Roßnagel, Vizepräsident der Universität Kassel und Wissenschaftlicher Direktor des EMR.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 hat die deutsche Umsetzung (Neuregelungen im Telekommunikationsgesetz und in der Strafprozessordnung) der EG-Richtlinie 2006/24/EG zur Vorratsdatenspeicherung wegen Verstoßes gegen das Telekommunikationsgeheimnis (Artikel 10 Grundgesetz) für nichtig erklärt. Dennoch bleibt Deutschland aufgrund des Rechts der Europäischen Union verpflichtet, die Richtlinie in deutsches Recht zu transformieren. Welche Möglichkeiten zur konkreten Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung Deutschland innerhalb der Vorgaben der EU hat, und wie die Erfahrungen anderer Mitgliedstaaten mit den Umsetzungsspielräumen hier nutzbar gemacht werden können, sind die Leitfragen der jetzt begonnenen Untersuchung. „Das Urteil hat zwar einige Fragen beantwortet, dabei jedoch neue aufgeworfen und zu anderen noch keine Stellung bezogen“, erläutert Prof. Roßnagel. „Im Rahmen von INVODAS werden wir diese Lücken schließen und das Konzept der Vorratsdatenspeicherung, das auch in anderen Bereichen der Gesellschaft – etwa bei Fluggastdaten, Finanztransaktionen oder Arbeitnehmerdaten – Platz zu greifen scheint, umfassend in eine gesellschaftliche ‚Gesamtüberwachungsrechnung‘ einordnen.“
Die Forschungsergebnisse aus dem INVODAS-Projekt werden bestehen aus: (1) „Steckbriefen“, die die technische, organisatorische und rechtliche Gestaltung der Vorratsdatenspeicherung in den 27 Mitgliedstaaten charakterisieren und die Grundlage liefern für einen Vergleich der unterschiedlichen Lösungsansätze, mit dessen Hilfe sodann zu jedem Problemfeld die für die Bundesrepublik Deutschland jeweils beste Lösung identifiziert werden kann; (2) Analysen der Elemente, die hinsichtlich eines Interessenausgleichs bei der Vorratsdatenspeicherung berücksichtigt werden müssen; (3) Vorschlägen für die Bundesrepublik Deutschland zur technisch-organisatorischen Gestaltung der Vorratsdatenspeicherung und zur Fortentwicklung der einschlägigen Regelungen.
Dipl.-Jur. Antonie Knierim
tel (0561) 804 6086
e-mail A.Knierim@uni-kassel.de
Universität Kassel
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