Doku HYPERRAUM.TV: Tiefsee-Panoptikum
Zum Auftakt des neuen Themen-Schwerpunktes von HYPERRAUM.TV über Tiefseeforschung spricht Susanne Päch mit der Meeresbiologin Angelika Brandt, eine der wenigen führenden Tiefseeforscher in Deutschland. Die Sendung führt in die geheimnisvolle Welt gänzlicher Dunkelheit, in der sich trotz extremer Umweltbedingungen eine Vielzahl exotischer Lebensformen entwickelt hat. Selbst in den tiefsten Gräben, die über 11.000 Meter tief ins Erdinnere reichen, finden sich zahlreiche Arten. Welche das sind, wie sie Nahrung finden und wie sich das Leben dort unten von der Welt mit Licht generell unterscheidet, das sind die Themen dieser ersten Folge zur Tiefsee.
Sie bedeckt 70 % der Erdoberfläche. Der größte Teil davon reicht in ausgedehnten Ebenen 3.000 bis 6.000 Meter tief und liegt in ewiger Finsternis. Bis zu einer Tiefe von rund 1.000 m nimmt die durchschnittliche Temperatur rapide ab. Ab hier herrschen weitgehend konstante Temperaturen zwischen -1 und +4 Grad Celsius. Je weiter es in die Tiefe geht, desto größer wird aber der Druck. An den tiefsten Stellen des Ozeans bei rund 10.000 m lastet auf jedem Quadratzentimeter eine Tonne.
Die geologischen Daten des Meeresgrundes werden mit Hilfe sogenannter Fächerecholote erfasst. Sie können parallel mehrere hundert Messstrahlen zum Boden senden. Aus der Reflexion dieser Strahlen lassen sich Geländemodelle des Meeresgrundes berechnen. Sie zeigen ausgedehnte Ebenen, mächtige Gebirge oder auch schroffe Spalten und tiefe Gräben, dort, wo der Kontinentaldrift wirkt, und viele Unterwasservulkane sind. Am Meeresboden sprudeln an zahlreichen Stellen verschiedenartige Quellen. Sie speien bis zu 300 Grad heiße Materiewolken ins Meer, die mit Gasen wie Methan und Schwefel aber auch mit Rohstoffen wie Mineralien und Seltenen Erden angereichert sein können.
Kann man sich eine lebensfeindlichere Region der Erde als die Tiefsee vorstellen? Und doch zeigt sie eine große Artenvielfalt, die die Meeresbiologen immer wieder in Erstaunen versetzt. In den oberen Bereichen der Tiefsee, im Bereich von 400 bis 1.200 Metern unter dem Meeresspiegel haben sich an vielen Stellen ausgedehnte und artenreiche Kaltwasser-Korallenriffe entwickelt. Säugetiere gibt es ebenfalls nur im oberen Bereich der Tiefsee. Fische leben vorwiegend bis zu 3.000 m Tiefe. Doch wenige Arten konnten sogar noch 8.000 m unter der Meeresoberfläche nachgewiesen werden. Darunter sind Knochenfische dann nicht mehr lebensfähig, weil der hohe Druck Eiweiße in ihren Körpern zerstört. Fische nutzen Schallwellen für ihre Umweltwahrnehmung und zur Orientierung. Mit dem gut entwickelten Seitenlinien-Organ erkennen sie Veränderungen sehr genau. So können sie in der Dunkelheit beispielsweise sogar Schwärme bilden. Doch aufgrund der extremen Umweltbedingungen sind nicht Fische die häufigsten Bewohner in Tiefen unter 3.000 m. Hier finden sich viele Weichtiere, fragile Wesen, die durch das Wasser schweben, aber auch zahlreiche Arten von Würmern oder Krebstieren. Sogar verschiedene Tintenfische und etliche Arten von Stachelhäutern und Seesternen besiedeln diese Region. Ihre Wahrnehmung basiert vor allem auf ihren stark entwickelten Geruchsrezeptoren, mit denen sie Artgenossen von Feinden in der Umgebung unterscheiden können. Der gute Geruchsinn hilft nicht nur bei der Nahrungssuche, sondern auch bei der Suche nach Partnern.
In den letzten zwanzig Jahren wurde die Tiefsee für die systematische Erforschung erschlossen. Bedeutend dafür war ein international angelegtes Forschungsprogramm über die Welt der Ozeane, die „Volkszählung der Meeresorganismen“. Mehr als 2.700 Wissenschaftler aus 80 Ländern nahmen daran teil. Darin wurden das Verteilungsmuster und die Artenvielfalt aller mariner Lebensräume erforscht und katalogisiert. Unterprogramme widmeten sich speziell der Tiefsee und seinen Lebensformen. Hoffnung setzen die Meeresbiologen auf die beginnenden molekulargenetischen Forschungen zur sogenannten eDNA oder Umwelt-DNA. Denn am Meeresgrund, aber auch im Wasser finden sich teils mikroskopisch kleine Gewebereste von Lebewesen, die über DNA-Analyse bereits heute wichtige Aufschlüsse über die Biodiversität der Regionen geben.
Trotz aller Forschungsanstrengungen ist unser Wissen über das exotische Leben in der Tiefsee immer noch marginal: Mehr als 90 Prozent dieser Region bildet unbekanntes Terrain. Denn jede Expedition kann Leben nur punktuell im riesigen Ozean ergründen. „Bei jeder neuen Expedition finden wir eine Vielzahl bisher unbekannter Lebewesen“, berichtet Angelika Brandt, die zahlreiche Erkundungsfahren durchgeführt hat. Mit Gewissheit können Forscher heute jedoch schon sagen: In der Dunkelheit haben sich Arten herausgebildet, die auch da unten zeigen, dass die Evolution selbst unter extremsten Umweltsituationen unterschiedliche Lebensformen entwickeln kann. Meeresbiologen sind sich zudem sicher, dass Leben in der Tiefsee sogar mehrfach entstanden ist.
Das Ökosystem der Tiefsee ist komplex. Es haben sich spezifische Arten am Meeresboden entwickelt. Um heiße Quellen herum sogar mit einer ungewöhnlichen Chemosynthese. Es gibt aber auch Lebensformen, die über lange Zeiträume hinweg aus dem Helleren immer tiefer in die Dunkelheit vorgerungen sind.
Was können uns diese Erkenntnisse über das Leben in der Tiefsee für die Suche nach Leben im Universum sagen? Dort enthüllt uns die Astrophysik eine in die tausende gehende Vielzahl fremdartiger Exoplaneten. Kein Planetensystem ist jedoch wie das andere. Und der Blick in die Tiefsee macht deutlich: Wenn sich irgendwo Leben entwickelt, dann spricht vieles dafür, dass es sich aufgrund der jeweils sehr spezifischen Umweltbedingungen vor Ort wohl ganz anders als auf der Erde entwickelt hat. Müssten wir uns also nicht vielmehr eingestehen, dass wir heute noch gar nicht wissen können, wonach und wo wir im Weltraum überhaupt nach Leben suchen sollen? Angelika Brandt jedenfalls klagt darüber, dass die Methoden, mit denen Tiefsee-Forschung heute arbeiten muss, gegenüber der Raumfahrt noch unterentwickelt sind. Forschung in den Tiefseegräben findet heute noch mit Methoden statt, die schon vor 150 Jahren – dem Beginn der Tiefseeforschung – angewendet wurden. Angelika Brandt beklagt deshalb: „Wir fliegen mit autonomen Robotern auf den Mars, um dort nach Leben zu suchen – aber wir kriegen es bis heute nicht hin, einen solchen Roboter in die Tiefseegräben zu schicken, um dort systematisch nach Lebensformen zu suchen.“ Sollten wir bei der Suche nach Leben nicht zuerst einmal unsere irdischen Hausaufgaben erledigen?
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
Chefredaktion HYPERRAUM.TV
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82031 Grünwald
susanne.paech@hyperraum.tv
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