Kauderwelsch statt Klartext: Kundenkommunikation von Telekommunikations-Unternehmen ist oft unverständlich
Telekommunikations-Kauderwelsch: Kommunikationswissenschaftler der Universität Hohenheim testen gemeinsam mit Partnern die Verständlichkeit der Kundenkommunikation von 24 Telekommunikations-Unternehmen
Die untersuchten Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGBs) für Mobilfunk sowie die „häufig gestellte Fragen“ (FAQs) zum Thema Festnetzportierung, der Mitnahme der Telefonnummer, verfehlen die Zielwerte für verständliche Kommunikation teilweise sehr deutlich. Einige von ihnen befinden sich auf dem sprachlichen Schwierigkeits-Niveau einer Doktorarbeit. So das Ergebnis einer aktuellen Studie der Forschergruppe. Prof. Dr. Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim und seine Studien-Partner H&H Communication Lab und die Unternehmensberatung Iskander Business Partner prüften AGB, FAQ, E-Mail-Antworten von Kundenberatern sowie Installationsanleitungen von 24 Unternehmen der Telekommunikations-Branche. Im Schnitt sind nur E-Mail-Antworten und Installationsanleitungen verständlich. Aber auch bei ihnen gibt es Ausreißer, die Kauderwelsch statt Klartext bieten.
Produkte und Tarife in der Telekommunikations-Branche stellen oft einen undurchdringlichen Dschungel dar. Für die Kaufentscheidung sowie für die Kundenzufriedenheit ist die Verständlichkeit der Unterlagen und der Kommunikation von Telekommunikations-Unternehmen daher ein wichtiges Kriterium. „Durch leicht verständliche und transparente Kommunikation könnten Telekommunikations-Unternehmen Kunden überzeugen“, meint Prof. Dr. Frank Brettschneider vom Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. „Doch mit umständlichen Formulierungen stiften die Telekommunikations-Unternehmen leider oft Verwirrung.“
Kommunikationsexperten: „Es könnte so einfach sein!“
Ein Negativ-Beispiel aus einer Allgemeinen Geschäftsbedingung (AGB) eines Mobilfunkanbieters: „Macht der Kunde von seinem Widerrufsrecht im Hinblick auf die Lieferung von Waren Gebrauch, so hat er die Kosten für die Rücksendung zu tragen, wenn die gelieferte Ware der bestellten entspricht und wenn der Preis der zurückzusendenden Sache einen Betrag von 40 Euro nicht übersteigt oder wenn der Kunde bei einem höheren Preis der Sache zum Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht die Gegenleistung oder eine vertraglich vereinbarte Teilzahlung erbracht hat.“ Dieses 70 Wörter lange Satz-Ungetüm dürfte Kunden eher abschrecken. Auch Wortkomposita, Monster-Wörter wie „Verzichtserklärungs-Assistent“ oder „Festnetz-Rufnummernmitnahme“ tragen nicht zur Verständlichkeit bei. Gleiches gilt für Anglizismen wie „Simple Service Discovery Protocol“, „Kabel-Gateway“ und „Icon“. Zudem verschleiern Passiv-Formulierungen, wer handelt: „Nach Verbrauch dieses Datenvolumens erfolgt eine automatische Drosselung Ihrer Surfgeschwindigkeit auf 64 kbits“. Statt dieser Passiv-Formulierung empfiehlt Oliver Haug, Geschäftsführer von H&H Communication Lab, einen einfachen Satz wie: „Wenn Sie dieses Datenvolumen verbraucht haben, drosseln wir Ihre Surfgeschwindigkeit auf 64 kbits“.
Hohenheimer Verständlichkeits-Index
Wie nahe Telekommunikations-Unternehmen dem Ideal einer verständlichen Kommunikation mit Kunden kommen, misst Prof. Dr. Brettschneider mit dem Hohenheimer Verständlichkeits-Index. Dabei durchforstet eine Software die Texte unter anderem nach langen Sätzen, Fachbegriffen, Anglizismen, Fremdwörtern und Passivsätzen. Zudem wurden die Informationsdichte und der Abstraktheitsgrad der Texte unter die Lupe genommen. Anhand dieser und weiterer Merkmale berechnet sich der „Hohenheimer Verständlichkeits-Index“. Er reicht von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich).
Am besten schneiden die E-Mails von Kundenberatern ab: Sie kommen im Schnitt auf einen Wert von 15,64. Die Installationsanleitungen erreichen einen Wert von 13,20, die FAQ einen Wert von 10,21. Am unverständlichsten sind die Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit einem Wert von 2,79. Zum Vergleich: Die Bild-Zeitung erreicht 16,80 Punkte, wissenschaftliche Dissertationen erreichen 4,25 Punkte. Prof. Dr. Frank Brettschneider: „Bandwurmsätze und Wortsalat sind das größte Problem. Hier verschenken viele Telekommunikations-Unternehmen ein großes Potenzial für eine aktive, transparente und verständliche Kommunikation mit ihren Kunden.“
Tops und Flops
Zwischen den Unternehmen bestehen teilweise erhebliche Verständlichkeits-Unterschiede. Am schlechtesten schneiden die AGB (Mobilfunk) von yourfone.de ab: 1,88. Bei den FAQ (Festnetzportierung) belegt NetCologne den letzten Platz: 3,01. 1&1 formuliert die unverständlichste E-Mail-Antwort: 11,91. Unitymedia bietet die unverständlichste Installationsanleitung (DSL-Inbetriebnahme): 10,01.
Die gute Nachricht: Einige Telekommunikations-Unternehmen gehen mit gutem Beispiel voran. So fanden die Forscher Dokumente, die sehr verständlich formuliert sind. Beispielsweise erreicht die FAQ von Vodafone einen Wert von 15,48; damit landet sie bei diesem Texttyp auf Platz 1. Bei den Installationsanleitungen belegt Tele2 mit 15,69 den Spitzenplatz. Und der verständlichste Text überhaupt stammt von EWE: 18,42 für die E-Mail-Antwort des Kundenberaters. Die „beste“ AGB stammt von O2. Sie bleibt mit 4,03 Punkten dennoch weit hinter dem Ziel einer verständlichen Kommunikation zurück. „Gerade bei den AGB aber auch bei den FAQ gibt es noch erhebliches Optimierungspotenzial“, so Oliver Haug. „Bei den AGB leidet die Verständlichkeit oft unter der falschen Annahme, dass Verständlichkeit die ‚Rechtssicherheit’ der Verträge gefährdet“, erklärt er.
Dass sich Verständlichkeit und Rechtssicherheit nicht ausschließen, zeigen andere Branchen (bei den Finanzdienstleistern beispielsweise die Sparkassen). „Und auch komplexe Sachverhalte können verständlich kommuniziert werden, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden“, fasst Gerhard Souza Murrmann, Experte für Customer Experience bei Iskander Business Partner, zusammen. „In allen Phasen der Kundenkommunikation von der Information bis zur Kündigung stecken vielfältige Hebel zur nachhaltigen Verbesserung.“ Unternehmensberater Souza Murrmann ist sich sicher, dass mit einem strukturierten und zielgerichteten Ansatz jedes Telekommunikations-Unternehmen diese Hebel bedienen kann.
Neben der formalen Verständlichkeit hat die interdisziplinär zusammengesetzte Forschergruppe auch die Benutzerfreundlichkeit der Webseiten sowie das Layout der Installationsanleitungen untersucht. Die ausführlichen Ergebnisse befinden sich in der beigefügten PDF-Datei.
Hintergrund:
Automatische Textanalyse
Möglich werden diese Analysen durch die von H&H Communication Lab und von der Universität Hohenheim entwickelte Verständlichkeitssoftware TextLab. Die Software berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter). Aus diesen Werten setzt sich der „Hohenheimer Verständlichkeits-Index“ zusammen, der die Verständlichkeit der Texte auf einer Skala von 0 (unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) abbildet.
H&H Communication Lab
Die H&H Communication Lab GmbH ist ein Institut für Verständlichkeit mit Sitz in Ulm und langjähriger Kooperationspartner der Universität Hohenheim. H&H Communication Lab und die Universität Hohenheim haben gemeinsam die Verständlichkeitssoftware TextLab entwickelt. Link: www.comlab-ulm.de
Unternehmensberatung Iskander Business Partner
Iskander Business Partner ist eine internationale Unternehmensberatung mit dem Fokus auf Konzeption und Implementierung von Wachstumsprojekten. Link: www.i-b-partner.com
Text: Lembens-Schiel
Kontakt für Medien:
Prof. Dr. Frank Brettschneider, Universität Hohenheim, Institut für Kommunikationswissenschaft, Tel.: 0711/459-24030,
E-Mail: frank.brettschneider@uni-hohenheim.de
Media Contact
Weitere Informationen:
http://www.uni-hohenheim.deAlle Nachrichten aus der Kategorie: Kommunikation Medien
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