TV-Doku: Beherrschung des Klima-Chaos
Klimamodelle arbeiten mit Vereinfachungen der mathematischen Gleichungen, die die chaotischen Systeme auf kleinster Skala dennoch mathematisch korrekt simulierbar machen. Das Chaos in den kleinskaligen Prozessen führt allerdings zu einer Unschärfe der Ergebnisse.
Warum ist gerade der globale Temperaturanstieg des vom Menschen gemachten Klimawandels trotzdem gut prognostizierbar?
Mit Klimaforschern geht Susanne Päch dieser zentralen Frage nach – in der HYPERRAUM.TV-Doku „Beherrschung des Chaos – das Klimasystem zwischen chaotischen lokalen Phänomenen und deterministischem globalen Antrieb der CO2-Emissionen“.
Wetter und Klima: beides das, was der Physiker als ein chaotisches System bezeichnet. Das Chaos berechnen? Geht das überhaupt? Doch auch Chaos entsteht nicht aus dem Nichts. Wer chaotische Prozesse also dennoch mathematisch berechenbar machen will, der braucht zuerst einmal eine Vorstellung über die Muster, die in den Prozessen des Systems zu erkennen sind. Doch diese Muster – beschreibbar in den physikalischen Gesetzen – können in chaotischen Systemen laufend durch nicht vorhersehbare Konstellationen minimal gestört werden. Das Wetter – wie das Klima – wird damit zu einem Fall der mathematischen Statistik. Der berühmte Spruch des Mathematikers und Begründers der Chaostheorie Edward Lorenz aus dem Anfang der 1960er Jahre: Schon der Flügelschlag eines Schmetterlings in Shanghai kann das Wetter in New York verändern. Lorenz gelang es als erstem, dieses Chaos mit dem sogenannten Lorenz-Attraktor statistisch berechenbar und damit abbildbar zu machen.
Die Beherrschung des Chaos fängt bei den mathematischen Grundgleichungen für die Prozesse an – und hört mit der Entwicklung einer Modellierungs-Software auf. Neben der Unschärfe durch das Chaos im System selbst gibt es daher in den Klimamodellen auch noch eine durch die Vereinfachung der mathematischen Modelle erzeugte Unschärfe, die durch die Mittelung der Ergebnisse entsteht. Dieser Unsicherheitsbereich ist durch Validierungsmethoden mit messbaren Daten – auch aus der Vergangenheit – allerdings eingrenzbar. Und dann gibt es natürlich noch weitere Faktoren, die die Präzision der Ergebnisse und Projektionen von Klimamodellen beeinflussen: offene Fragen, an deren Beantwortung die Wissenschaft derzeit arbeitet.
Beispiel 1: Die kleinskaligen dynamischen Wechselwirkungen in der Atmosphäre mit ihren Auswirkungen auf die hemisphärische Luftzirkulation sowie die Wechselwirkungen mit anderen klima-beeinflussenden Gasen in der Atmosphäre ist in vielen Details noch nicht geklärt. Sie wirken sich in regionalen Unterschieden der Abweichung vom Durchschnitt aus. Am Nordpol beispielsweise liegt der regionale Temperaturanstieg deutlich über dem Durchschnitt, am Südpol ist er jedoch geringer, weil hier das ebenfalls durch den Menschen verursachte Ozonloch durch die veränderte Luftzirkulation den Anstieg regional bremst.
Beispiel 2: Die komplexe Chemie der Atmosphäre. Forscher kennen eine Vielzahl von Spurenstoffen, die vielfach – und anders als CO2 – in der Luft stark miteinander reagieren, und noch dazu in verschiedenen Schichten der Atmosphäre. Dabei werden sie vom Sonnenlicht unterschiedlich stark beeinflusst. Die Summe aller chemischen Prozesse der Atmosphäre lässt sich heute aufgrund der Komplexität voll umfänglich nicht simulieren. Für die klimatische Entwicklung sind neben Kohlenstoff auch zwei weitere Treibhausgase von besonderem Interesse: Methan und N2O, einfacher auch als Lachgas bezeichnet. Schrittweise finden die wachsenden Erkenntnisse der komplexen Luftchemie als neues Teilmodell auch Eingang in globale Erdsystem-Modelle.
Beispiel 3: Der Einfluss der Agrarwirtschaft in Sachen Klimawandel. Dass der Mensch zum Beispiel durch die Intensivierung der Landwirtschaft in den Methan- und Stickstoff-Kreislauf eingreift, galt schon länger als sicher. Doch die Quantifizierung solcher Fragen ist schwierig. Beispiel Lachgas-Emissionen: Zwar gibt es Modelle für die dafür verantwortlichen bodennahen biochemischen Wechselwirkungen in der Landwirtschaft, zwar können Satelliten Menge und Verteilung des Lachgases in der Atmosphäre global messen, aber von wo und wie es über die Jahrzehnte dorthin gelangte, blieb weitgehend offen. Der Weg der langlebigen Moleküle durch die Atmosphäre müsste für eine Modellierung besser bekannt sein. Und es bräuchte für ihren Ausgangspunkt am Boden ein global gut ausgebautes Netz an terrestrischen Messstationen, das aber heute nur punktuell vorhanden ist. Daten aus früheren Jahrhunderten fehlen zudem gänzlich. Wie lässt sich trotzdem die Verteilung zwischen natürlichen und den aus der Landwirtschaft erzeugten Emissionen global abschätzen? Genau diese Frage hat eine internationale Forschergruppe vor kurzem erstmals genauer untersucht. Die Wissenschaftler haben für die Emissionen unterschiedliche Datenbasen zusammengeführt.
Beispiel 4: Die komplexe Strahlungsbilanz unserer Erde. Ein Teil dieses Lichts aus dem Weltraum wird schon auf dem Weg durch die Atmosphäre zurück in den Weltraum reflektiert, ein Teil wechselwirkt auch mit atmosphärischen Stoffen. Aber die Strahlungsbilanz wird nicht nur von den atmosphärischen Phänomenen gesteuert. Pflanzen nutzen beispielsweise das Licht für die Photosynthese. Mit ihrer Hilfe können sie Kohlenstoff in Biomasse umwandeln. Sie lässt den Anteil von CO2 – wie den des atmosphärischen Methans – im Jahresverlauf erkennbar schwanken. Aber auch die unbelebte Natur wird von der Sonne beeinflusst: mit der Erwärmung des Bodens und der Ozeane sowie dem Schmelzen des Eises. Wie viel Wärme von der Erdoberfläche in den Weltraum abstrahlt, das steuern auch die polaren Eiskappen.
Es gibt rund um die Klimamodellierung also drei zentrale Aspekte, die die Ergebnisse unscharf machen:
- das nur statistisch erfassbare, aber quantifizierbare Chaos im System selbst
- der variable Unsicherheitsfaktor durch die Vergröberung der verschiedenen Teilmodelle
- und dann natürlich noch dieses: nicht quantifizierbare, weil für die Wissenschaft noch unbekannte Aspekte klimatischer Veränderungen
Deshalb machen Wissenschaftler keine konkreten Angaben darüber, wie „sicher“ ihre Modelle sind. Wissenschaft ist ein fortschreitender Erkenntnis-Prozess – absolutes Wissen gibt es daher nicht. Und ebenso wenig ist es möglich, die Unsicherheit durch dieses Nichtwissen zu quantifizieren. Denn wie das Klima ist auch die Zukunft der Wissenschaft für den Menschen nicht vorausberechenbar.
Die Antwort, auf die Frage, warum der globale Klimawandel dennoch nicht geleugnet werden kann, ist trotz der Komplexität des Systems und den Unsicherheiten darin weniger kompliziert als vermutet: Gerade das wichtigste Treibhausgas Kohlendioxid wird seit mehr als hundert Jahren detailliert untersucht und kann mit zahlreichen Messdaten belegt werden. Und die bestehenden Unsicherheiten spielen sich bei der Modulierung des regionalen, nicht aber des globalen Geschehens ab. Fest steht aber für die globale Betrachtung: Die extrem großen Mengen an Kohlendioxid, die der Homo Sapiens in erdgeschichtlich kürzester Zeitspanne in die Atmosphäre bläst, verändern das klimatische Geschehen mit so großer Wucht, dass für den Forscher aus dem Klimachaos doch ein weitgehend deterministisches System hervorgeht.
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
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