TV-Doku: Die Dunkle Welt als Epizykel der Kosmologen?
Gibt es Dunkle Materie, wie es die Allgemeine Relativitätstheorie fordert, um sie mit den Beobachtungen zusammen zu bringen? Oder können auch Modelle entwickelt werden, die Einsteins Theorie so umformen, dass die Entwicklung des Kosmos in hellem Licht erstrahlt und Dunkle Materie wie Dunkle Energie entfallen können? Das ist das Thema der Sendung „Welt in der Box – Dunkle Materie oder Kosmos im Licht?“ Susanne Päch geht mit drei Kosmologen – Lavinia Heisenberg, Matthias Bartelmann und Pavel Kroupa – auf die Spurensuche nach Antworten.
Der Kosmologe steht nicht an der beobachtenden Front hinter dem Fernrohr und er wertet auch keine digital erfassten Daten von modernsten Teleskopen oder astrophysikalischen Instrumenten am Rechner aus. Sein Terrain sind Zahlen und Zeichen, die er zu reichlich abstrakten mathematischen Formeln zusammenfügt, die das Wesen der Welt und ihre Entwicklung beschreiben sollen. Nach heutigem Stand der meisten Kosmologen wird sie von der Dunklen Materie und der Dunklen Energie dominiert. Allerdings gilt auch das: Noch ist unser Wissen über die Entwicklung des Universums ganz am Anfang. Kein Kosmologe kann derzeit konkrete, also tatsächlich beobachtbare Strukturen aus dem Urknall heraus entwickeln lassen: beispielsweise die lokale Gruppe oder gar die Milchstraße. Die kosmologischen Modelle bilden ab, was man als die „grundsätzlichen Strukturen“ der universalen Entwicklung bezeichnen kann – und lassen dabei verständlicherweise Spielraum für Debatten.
Kosmologen berechnen das All. Sie neigen allerdings nicht dazu, laufend umstürzlerisch am Grundsätzlichen zu zweifeln, also an den gesetzten Voraussetzungen für solche Rechnungen. Deshalb drehen die meisten von ihnen so lange an Zahlen und Zeichen, bis sie mit theoretischen Formeln mathematisch möglichst einfach herleiten können, was der Astronom mit seinen Instrumenten beobachten kann.
Aber was bedeutet schon „mathematische Einfachheit“?
Blick in die Antike: der griechische Gelehrte Ptolemäus führte die Epizykel-Theorie in die Himmelskunde ein, um die auffällige Diskrepanz mit den immer besser beobachteten Planetenbahnen am Himmel zu erklären. Durch viele Jahrhunderte hindurch blieb sie gültig, denn sie beschrieb theoretisch das, was die Astronomen damals beobachteten. Es war sogar möglich, mit dieser mathematischen Vereinfachung von ineinander geschachtelten Epizykeln die Planetenbahnen recht gut vorauszuberechnen. Die Erkenntnis, dass alles noch viel einfacher berechenbar wäre, scheiterte nur an zwei vorausgesetzten, nicht weiter begründbaren Annahmen. Zuerst einmal: dass die Erde im Mittelpunkt des Universums steht – eine Annahme, die erst mit Kopernikus im 16. Jahrhundert revolutioniert wurde. Und dann: dass es im Himmel nur Kreisbahnen geben darf. Eine Vorstellung, die Aristoteles in die Welt der Gelehrten brachte und die erst von Keplers Ellipsen-Bahnen der Planeten revidiert wurde. Sie führte geradewegs zu Newtons Gravitationsgesetz.
Auch Kosmologen des 21. Jahrhunderts kommen für ihre Modelle und Simulationen nicht ohne solche Voraussetzungen aus, die sie ohne echten Beweis sogenannt a priori setzen, wie Matthias Bartelmann betont: Erstens, die Feststellung, dass alle Beobachter im Universum das gleiche messen, zweitens, dass wir in einem kugelsymmetrischen Kosmos leben und drittens, dass Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie auf der Grundlage des Gravitationsgesetzes von Newton richtig ist. Wie die allergrößte Zahl heutiger Astrophysiker geht auch Bartelmann davon aus, dass die drei Annahmen zumindest berechtigt sind. In Frage zu stellen, dass Beobachter stets das gleiche messen, würde an den Grundfesten der naturwissenschaftlichen Denkweise rütteln. Die Menschheit könnte exakte Himmelsforschung praktisch einstellen. Und dass sich das Universum kugelsymmetrisch ausdehnt, ist eine a priori-Annahme, die mit der gemessenen Hubble Konstante sowie der Vorstellung eines isotropen und homogenen Universums gut begründet scheint. Fundamental-theoretisch eindeutig herzuleiten ist sie heute allerdings auch nicht. Bleibt noch die dritte Annahme: das Gesetz der Schwerkraft – von Isaac Newton vor Jahrhunderten niedergeschrieben. Ein Gesetz, mehr nicht, doch Einsteins epochale Umformung in die Allgemeine Relativitätstheorie fußt auf ihr. Und diese wiederum führte seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts auf direktem Weg zur Dunklen Materie und der Dunklen Energie. Ein unsichtbares Etwas, das erst die Welt Einsteins mit der der heutigen astrophysikalischen Beobachtungen zur Deckung bringt.
Aber was, wenn die Gravitation, die kein Fundamentalgesetz ist, gar nicht überall im Kosmos ist, wie wir sie hier auf der Erde und im Sonnensystem messen? Die Gravitation ist wohl das schwächste Glied der drei Annahmen über das Universum. Und wer heute die Gravitation theoretisch modifiziert, der kann aus der Dunklen Materie eine Art Epizykel 2.0 machen. Einer dieser Astro-Rebellen ist Pavel Kroupa. Er glaubt jedoch, dass die meisten Kosmologen die Allgemeine Relativitätstheorie auf einen unumstößlichen Sockel gestellt haben, deren Infragestellung einer Art Blasphemie gleich käme.
Aber: Eine kleine Schar von umstürzlerischen Astrophysikern degradiert dennoch das bisher universell gültige Gesetz der Gravitation und mit ihr Einsteins Relativitätstheorie zu einem Spezialfall – und verdammt damit auch die Dunkle Materie aus dem Kosmos. Für die Befürworter des klassischen Modells der Relativitätstheorie haben solche Neuinterpretationen der Gravitation auf der Grundlage des modifizierten Gravitationsgesetzes von Mordehai Milgrom gegenüber der Welt Einsteins jedoch ein Defizit, weil ihnen die allgemeingültige Dimension einer kosmologischen Theorie noch fehlt. Bartelmann spricht davon, dass diese Überlegungen auf phänomenologischer, nicht auf abstrakt-theoretischer Grundlage aufgebaut wären.
Die Fokussierung auf die Phänomenologie – also die Beobachtung im Zentrum des Erkenntnisgewinns! Für den Anhänger eines Universums, das lediglich zu 5 Prozent aus beobachtbarer Materie, zu 95 Prozent aber aus irgendetwas ganz anderem besteht, hat die Phänomenologie in der Tat etwas Merkwürdiges an sich. Doch wenn man die Dunkle Materie nicht als gesetzt ansieht und das Sichtbare für das einzig Reale betrachtet, dann ist das halt ganz anders. Überhaupt: Theorie und Experiment, das waren zwei Bereiche, die früher Hand in Hand gingen. Alle großen theoretischen Physiker bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein haben selbst noch Hand angelegt und experimentell geforscht. Heute ist das allerdings anders: Die Trennung von Theorie und Experiment ist ausgeprägt. Das bedauert auch die theoretische Physikerin Lavinia Heisenberg, die sich der Suche nach alternativen Modellen der Relativitätstheorie und der Möglichkeit ihrer Nachweise verschrieben hat. Sei sei, so sagt sie in ihrem Statement, in ihrer Forschungskarriere deutlich behindert worden, weil sie irgendwie zwischen den Fronten sitzt. Mehr noch, sie weist darauf hin, dass Experimente heute oft auf der Grundlage nicht erwiesener theoretischer Grundlagen vorangetrieben werden. Im Klartext kann man ihre Kritik auch so formulieren: Experimente für die Grundlagenforschung werden zunehmend ohne saubere theoretische Grundlage gemacht, während auf der anderen Seite Fundamentaltheoretiker ohne den Boden experimenteller Nachweisbarkeit im Nirwana forschen. Es ist schon auffällig, dass gerade bei jenen Theoretikern, die sich um ganz unterschiedliche erweiterte Ansätze der Gravitation und der Allgemeinen Relativitätstheorie bemühen, Experiment und Beobachtung einen wesentlich höheren Stellenwert genießen als in der tradierten Kosmologie.
Die Herleitung der universalen Strukturen ohne Dunkle Materie – eine gewaltige Aufgabe, wie es scheint, aber vielleicht weniger kompliziert als es der Außenstehende vermutet. Denn zumindest Kroupa sagt mit Bestimmtheit: Mit modifizierter Gravitation wird das Universum von Licht beherrscht, Dunkle Materie braucht es dafür nicht – und das macht die kosmischen Berechnungen viel einfacher.
Andererseits bleiben Fragen offen: Muss ein Universum so gestaltet sein, dass es der unvollkommene, in seiner Wahrnehmung so extrem eingeschränkte Mensch tatsächlich leicht begreifen kann? Ist die Welt aus Photonen tatsächlich der Kern der Welt oder nur zufällig für uns so bedeutend, weil wir Wesen des Lichts sind? Muss also die Beschreibung der Welt, reduziert auf das, was wir da draußen sehen können, deshalb auch tatsächlich „realer“ sein?
Und dann ist da noch das: Die für den phänomenologischen Ansatz so grundlegenden Beobachtungsdaten sind heute der direkten Wahrnehmung ebenfalls längst entzogen. Die Vermessung der Welt ist ohne umfängliche algorithmische Datenauswertung und -filterung gar nicht mehr möglich. Sind also Beobachtungsdaten nicht selbst schon ein hybrides Artefakt, das die reale Welt nur noch bedingt widerspiegelt? Zeigen damit letztlich alle kosmologischen Theorien das blasse Abbild einer abstrakten, einer hypothetisch möglichen Weltentstehung?
Auf den Punkt gebracht: Dunkle Materie – Sein oder Nichtsein? … das bleibt die Frage! Und eine klare Antwort darauf wird auf jeden Fall noch länger auf sich warten lassen!
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
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