TV-Doku: Mathematik der Unendlichkeit
HYPERRAUM.TV spricht in der Sendung mit dem Wiener Mathematiker Rudolf Taschner über die Frage, wie die Unendlichkeit in die Welt der Mathematik gekommen ist.
In der Antike galt sie vielen wie Aristoteles als „nicht existent“, zumindest aber als mathematisch nicht fassbar. Trotz größter Anstrengungen seit dem 17. Jahrhundert ist den Forschern eine eindeutige mathematische Formulierung der Unendlichkeit bisher nicht gelungen. Für Taschner bleibt sie – entgegen der Meinung der meisten zeitgenössischen Mathematiker – die uneinnehmbare Grenzlinie des menschlichen Geistes.
Unter der Physik und modernen Technologien liegt traditionell das gemeinsame Fundament der Formeln der Mathematik. Jede Forschungsdisziplin kennt heute Werkzeuge, mit denen ihre Wissenschaftler die Welt erkunden. Das größte Sortiment von Hochpräzisionsmaschinen setzen traditionell die Physiker ein. Heute brauchen sie Teilchenbeschleuniger und Rasterelektronen-Mikroskope oder sie schauen mit einem großen Arsenal von Teleskopen bis zu den Grenzen des Weltraums. Experimente werden benötigt, um die von Theoretikern erdachten physikalischen Theorien und Modelle auf exakter Grundlage zu überprüfen. Vielleicht liegt es in dieser maschinellen Abhängigkeit begründet, dass die Physik mit der Welt der Mathematik seit langem aufs engste verzahnt ist. Denn der Erfolg oder Misserfolg von Physik hängt seit dem Beginn der Neuzeit maßgeblich von der Konstruktion dieser präzisen arbeitenden Maschinen ab.
Doch die Mathematik hat zuerst einmal nichts mit Naturwissenschaft oder gar Technologien zu tun, sondern ist eine Wissenschaft des reinen Geistes – deren Ausgangspunkt: das logische Denken sowie die Entdeckung der Zahlen. Die als Gründerväter der modernen Mathematik des Abendlandes angesehenen Griechen haben ihre Erkenntnisse auch längst noch nicht in der heute gängigen mathematischen Sprache verfasst: in abstrakten Formeln und Gleichungen. Die spezifische Formelwelt der Mathematik hat sich erst Jahrhunderte später, in der Renaissance herausgebildet. Erstaunlicherweise im Zusammenhang mit einem „Ding“, das bis heute in der Mathematik große Fragezeichen aufwirft: mit der Suche nach der Unendlichkeit. Der kann man auf der himmlischen Leiter Sprosse um Sprosse zwar näherkommen, aber irgendwie kommt man doch nie oben an. Für Taschner gibt es folgenden bemerkenswerten ideengeschichtlichen Hintergrund dazu: Es waren die Künstler der Renaissance, die mit der visuellen Erfassung der Perspektive die Unendlichkeit in unsere Welt, sozusagen „ins Bild“ geholt hätten. Das habe die Mathematiker stimuliert, nach der Formulierung der Unendlichkeit zu suchen, die in der Antike noch Tabu war.
Die immer weiterwachsende Auseinandersetzung mit dem Wesen der Unendlichkeit im 20. Jahrhundert führt zu dem berühmten Mathematiker und Philosophen Hermann Weyl (1885-1955), der dezidiert feststellte: Aufgabe der Mathematik ist die Befassung mit der Unendlichkeit. Dabei spielt es für reine Mathematiker überhaupt keine Rolle, ob die Unendlichkeit in unserer Welt irgendwie real existiert oder auch nicht. Für sie bleibt sie ein reines Gedankenexperiment. Die formalisierte Befassung mit dem Unendlichen führte allerdings auch zu einigen Merkwürdigkeiten. So löst sich die Unendlichkeit in unterschiedliche Teil-Unendlichkeiten auf – je nach der mathematischen Betrachtungsweise, ob man Zahlen, die Geometrie oder auch Mengen im Blick hat. „Die“ Unendlichkeit lässt sich bis heute nicht formalisieren.
Für Physiker zeigt das Unendliche demgegenüber ein ganz anderes Gesicht. Sie leben nicht in einer geistigen Kopfwelt, sondern suchen danach, der beobachtbaren Wirklichkeit im Experiment irgendwie nahe zu kommen. Doch die Unendlichkeit ist nun mal bis heute nicht zu messen. Das Verhältnis der Physiker zur Unendlichkeit ist daher alles andere als entspannt. Taucht sie in physikalischen Theorien auf – dort spricht man von Singularitäten – ist Vorsicht geboten. So zeigt beispielsweise die Allgemeine Relativitätstheorie im Zentrum eines Schwarzen Lochs eine solche Singularität, weil dort die Masse unendlich wird.
Taschner gehört zu jener kleinen Gruppe von Mathematikern, für die die Unendlichkeit bis heute ein Grenzbegriff ist, die äußere, letztlich unerreichbare Begrenzung dessen, was Mathematik zu fassen im Stande ist – eine abstrakte Endlinie also für den menschlichen Geist. Diese Ansicht reicht übrigens zurück bis zu dem großen Mathematiker Carl Friedrich Gauss (1777-1855). Von Gauss führt ein direkter Weg zu meinem Gesprächspartner. Er meint: „Die Unendlichkeit lässt sich mit menschlicher Logik nicht erfassen.“ Das jedenfalls ist seine ganz persönliche Meinung, auch wenn er gleich ergänzt, dass die Majorität der Mathematiker heute eine andere Auffassung vertritt und die „Suche nach der Formalisierung der Unendlichkeit die heutige Mathematik am Laufen hält.“
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
Chefredaktion HYPERRAUM.TV
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