TV-Doku: Soziokulturelle Evolution
Der Soziologe Rudolf Stichweh analysiert die langfristigen Strukturveränderungen menschlicher Gesellschaft. In der HYPERRAUM.TV-Sendung „Soziokulturelle Evolution – Die Genetik erschuf mit dem Menschen eine neue Spielart der Evolution“ blickt er mit Susanne Päch auf die disruptiven gesellschaftlichen Veränderungen in 200.000 Jahren Menschheitsgeschichte: auf die Einführung der Landwirtschaft und die Entwicklung von Schriften bis zur Digitalisierung. Er erläutert zudem, wie sich seiner Auffassung nach bereits früh bifokale Gesellschaftsstrukturen entwickeln konnten, in denen starke Männer für die Organisation und die religiösen Führer für die Deutung menschlichen Seins verantwortlich wurden.
Wie viele andere hoch entwickelte Säugetiere ist auch der Mensch ein soziales Wesen. Die Kooperation in Gemeinschaften ist allerdings keine Erfindung der jüngsten Evolution. Einige Insekten haben sie schon viel früher als erfolgreiches Prinzip entwickelt. Staatenbildende Insekten wie Bienen oder auch Ameisen gibt es auf der Erde schon seit hundert Millionen Jahren. Diese kooperative Lebensform in einer verwandtschaftlich strukturierten Gemeinschaft bringt evolutionär Selektions-Vorteile. Denn die Maxime der Evolution ist zuerst einmal das Überleben der eigenen Gene.
Auch bei Säugetieren kennen wir natürlich Kollektive: großen Herden mit einem Leittier, das maßgebliche Entscheidungen trifft. Und dann kennt der Säuger das Familien-Oberhaupt, das sagt, wo es lang geht. Diese Rolle kennen wir von allen Säugetieren und Primaten, den frühen Menschen eingeschlossen.
Als sich der Mensch über die Erde auszubreiten begann, wuchsen die sozialen Gruppen auf hundert bis maximal zweihundert Menschen an. Diese sich über die Erde ausbreitenden Sammler- und Jäger-Gemeinschaften lebten weitgehend isoliert und prägten die menschliche Gesellschaft über etliche Jahrzehntausende. In den rund 150.000 Jahren, in denen der Mensch in solchen vergleichbaren Gesellschaftsstrukturen lebte, brachte die Evolution die Komplexität des menschlichen Gehirns voran. Parallel mit dem Bewusstsein entstand Selbstbewusstsein, beides heute auch in den Denkstrukturen einiger höher entwickelter Tiere nachweisbar.
Mit der Herausbildung von Bewusstsein kommt es zu ersten Sprachstrukturen. Ausgelöst durch diese gravierenden Veränderungen traten vor rund 15.000 Jahren erstmals „soziale Diskontinuitäten“ auf, wie das Stichweh nennt. Er erläutert, dass sich dabei schon früh zwei Stränge der soziokulturellen Evolution entwickelt haben: Staatlichkeit und Organisation des Lebens auf der einen Seite – und Religion als „Matrix allen Denkens“ mit der Deutung und Sinnstiftung des Lebens.
Der soziokulturelle Wandel zu Staatlichkeit und Religion vollzieht sich in nur wenigen Jahrtausenden mit einer Geschwindigkeit, die für die biologische Evolution unbekannt war. In immer kürzeren Zeitschritten kommt es soziokulturell zu dramatischen Veränderungen, die in der Erfindung der Schrift kulminieren – ein fundamentaler Wandel, an deren Beispiel Stichweh auch glaubt dokumentieren zu können, dass dem Menschen – selbst Teil dieser Evolution – die langfristige Prognose seiner eigenen Zukunft dauerhaft verschlossen bleiben muss. Denn was die Erfindung der Schrift über den Druck bis zur Digitalisierung alles auslösen sollte, war für die damaligen Zeitgenossen in keiner Weise vorherzusehen.
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
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82031 Grünwald
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