TV-Doku „Willensfreiheit – ein semantisches Ungetüm?“
Lässt sich verhindern, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu missbräuchlichen Techniken führen? Wo liegen die Grenzen der Forschung? Was darf sie – und wo muss die Gesellschaft Normen gegen unerlaubten Missbrauch definieren? Fragen, denen Susanne Päch mit dem Philosophen und Ethiker Dieter Sturma in der Sendung „Willensfreiheit – ein semantisches Ungetüm?“ von HYPERRAUM.TV nachgeht.
Bei Betrachtungen über die Manipulationsmöglichkeiten, wie sie heute auch für den Einsatz von Algorithmen öffentlich diskutiert werden, steht die Frage im Zentrum, wo zulässige Beeinflussung endet und unlautere Manipulation des Einzelnen beginnt. Stets schwingt dabei auch der Begriff des freien Willens mit, der durch Immanuel Kant zu einer tragenden Säule der neuzeitlichen Philosophie wurde. Kant hat dem autonomen Menschen mit seinem freien Willen die ethische Dimension gegeben, die sich allerdings mit der beginnenden Hirnforschung in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts scheinbar aufzulösen begann.
Denn das Denken des Individuums wurde damals von vielen Neurowissenschaftlern auf das im Gehirn weitgehend unbewusst ablaufende Neuronenfeuer in den Synapsen reduziert – so weit, dass sogar die Verantwortung straffälliger Täter in Frage gestellt werden konnte. Der Mensch mit seinem Denken und Verhalten: reduziert auf bloße Reiz-Reaktions-Muster seiner Wahrnehmung im Gehirn, was die Vorstellung des freien Willens Kantscher Prägung ad absurdum führte. Wie frei ist der Mensch überhaupt in seinen Handlungen? Und was macht das Verhalten eines Menschen aus? Sind es die Wahrnehmungsprozesse im Gehirn – oder ist da noch mehr? Zur Ergründung des tatsächlichen Verhaltens einer Person ist es für Sturma nicht hilfreich, nur auf punktuelle Prozesse im Gehirn zu blicken, wie das heutige neurowissenschaftliche Forschung vielfach tut. Sturma ist überzeugt, dass das Handeln des Menschen nicht nur durch neuronale Prozesse allein bestimmt wird.
Für Sturma ist also klar: Körper und Geist bilden eine Einheit – und nur aus dieser Einheit heraus kann menschliches Bewusstsein entstehen – und damit Verhalten, das sich zudem im Laufe eines Lebens durch unzählige Erfahrungen und Lernprozesse ganz individuell verändert. Willensfreiheit suggeriere dagegen, dass nur die kognitiven Denkstrukturen für das Menschsein relevant sind, ein Menschenbild, das Sturma nicht teilt. Damit ist er ein Befürworter des Embodiment, eine Forschungsrichtung der Psychologie, die untersucht, welche Rolle die Körperlichkeit für Bewusstsein und menschliches Handeln spielt.
Gleichzeitig diskutiert die Philosophie darüber, ob die Welt im Kleinsten nach deterministischen Regeln funktioniert oder auch nicht und ob echter Zufall in unserer Welt eine Rolle spielt. Wissenschaftlich kann diese Frage bis heute nicht entschieden werden. Wer überzeugt davon ist, dass die Welt im Grunde nach strikten und unantastbaren Regeln abläuft, für den wird „freier Wille“ schon aus diesem Grund zur Makulatur, da auch die Funktionsweise der Biologie den Naturgesetzen unterliegt – und damit die Abläufe in der Welt und im Menschen deterministisch vorherbestimmt sind. Deshalb schlagen heute naturwissenschaftlich orientierte Philosophen eine andere Definition des freien Willens vor. Sie lässt sich auf die kurze Formel bringen: Ich handele frei, wenn ich auf der Basis meiner Motive und Überzeugungen, nach meinem Wissen und meinen Werten bewusst handele – also irgendwie doch ganz im Kantschen Sinn: nach meinem eigenen Wollen eben.
Sturma ist vielleicht auch aufgrund seiner ganzheitlichen Betrachtungsweise besonders aufmerksam, wenn es um das Ausrufen von Leitwissenschaften geht. Die ganzheitliche Betrachtung des Menschen, die seiner Meinung nach für ein grundlegendes Verständnis zwingend auch andere Forschungsdisziplinen mit einschließt und interdisziplinäres Denken in den Mittelpunkt stellt, ist für Sturma eine der größten Herausforderungen der Wissenschaft des 21. Jahrhunderts.
Ansprechpartner:
Dr. Susanne Päch
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