Wissenschaftler untersuchen die Wirkung von Handys und Smartphones auf Musikvideos
Handys haben das Kommunikationsverhalten enorm verändert. Dank schneller Internetverbindungen und leistungsfähiger Technik sind sie inzwischen aber viel mehr als nur Telefone. Millionen Nutzer surfen mit ihnen im Internet und schauen sich Videos an, während sie auf den Bus warten, in der Schlange stehen oder Mittagspause machen. Es handelt sich also um ein neues Massenmedium, das teilweise anderen Gesetzen folgt als „alte“ Massenmedien – zum Beispiel, weil die Nutzersituation so anders ist. Welche Konsequenzen hat das für die Filmemacher und die Filme selbst? Dies sind die zentralen Fragen, welche beide Wissenschaftler beantworten wollen.
Musikvideos sind ein idealer Forschungsgegenstand, da sie die einzige Form bewegter Bilder sind, die bisher exklusiv auch für Handys und Smartphones angeboten werden. Der Musiksender MTV etwa betreibt einen erfolgreichen Vertriebskanal speziell für Musikvideos, die zum Teil für Handys gemacht wurden. Auf der anderen Seite sind Nachrichtensendungen lediglich die auf dem Handy präsentierte Form der Fernsehsendungen. Sie erfüllen im Gegensatz zu Musikvideos keine speziellen ästhetischen Kriterien.
Die Wissenschaftler vermuten etwa, dass die Präsentation von Videos auf Handys dazu führt, dass beispielsweise die Schnitte wieder langsamer werden. Ganz lange Einstellungen wie im Kino wollen die Fernsehzuschauer nicht mehr sehen, da sie unruhig werden und umschalten. Gleiches gilt für Videos, die auf einem Computermonitor angeschaut werden. Die Schnitte mussten also bisher immer schneller werden. „Jetzt könnten die Schnitte wegen der geringen Fläche der Handybildschirme wieder langsamer werden, damit die Bilder besser zu erkennen sind“, lautet eine Hypothese, die es zu überprüfen gelte, so Hans Giessen. Gleichzeitig mit der „Verlangsamung“ der Clips nimmt die Fülle der Details in den Videos ab, mit denen auf größeren Bildschirmen noch komplexe Bezüge zwischen Musik, Bild und Text untereinander hergestellt wurden. „Solche Feinheiten sind auf den kleinen Handybildschirmen nicht mehr zu erkennen. Filmemacher müssen sich stattdessen neue ästhetische Strategien zur Verzahnung der verschiedenen Bestandteile des Musikvideos erarbeiten“, erklärt Henry Keazor.
Veränderungen dieser Art im Produktionsprozess der Videos möchten die Experten mithilfe wissenschaftlicher Assistenten in den kommenden drei Jahren grundlegend untersuchen und eine Systematik herausarbeiten. Langfristig können die Ergebnisse zum Beispiel dafür genutzt werden, um jungen Filmemachern und Videoregisseuren ein theoretisches Rüstzeug mit auf den Weg zu geben.
Beide Wissenschaftler sind ausgewiesene Experten für das ungewöhnliche Forschungsthema: Henry Keazor forscht neben klassischen kunsthistorischen Themen seit Jahren auch auf außergewöhnlichen Feldern. Neben der Ästhetik und der Geschichte der Musikvideos steht unter anderem auch der kunsthistorische Wert von Comics in seinem Fokus. Henry Keazor ist unter anderem mitverantwortlich für die Ausstellung „Imageb(u)ilder“ im Rock-und-Pop-Museum Gronau, die noch bis Juli die Geschichte des Musikvideos präsentiert. Hans Giessen war lange Reporter für das ZDF in Mainz und Saarbrücken. Er wechselte in den 1990er Jahren in die Wissenschaft und beschäftigt sich seitdem vor allem mit Videoproduktion und Medientheorie.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Henry Keazor, Tel.: (0681) 3022317, E-Mail: h.keazor@mx.uni-saarland.de
Prof. Dr. Hans Giessen, Tel.: (0681) 3023537, E-Mail: h.giessen@gmx.de
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