Intelligente Überwachung von Bohrprozessen

Demonstration einer semi-automatischen Maschine in intelligenter Montageumgebung
Foto: IPMT Hamburg

Im europäischen Flugzeugbau werden rund 150 Millionen Nieten pro Jahr gesetzt – zwei Drittel davon verarbeiten Mitarbeiter*innen mit leichten Maschinen. Dass hier nichts schiefgehen darf, liegt auf der Hand. Entsprechend aufwändig und teuer ist die Qualitätskontrolle. Hier setzt die Arbeit von Samuel Bender vom Institut für Produktionsmanagement und -technik (IPMT) der TU Hamburg an, der ein preisgekröntes Verfahren entwickelt hat, mit dem die Überprüfung von Nietbohrungen weiter automatisiert wird – mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Das senkt den Zeit- und Kostenaufwand für die Qualitätskontrolle drastisch – und ist branchenübergreifend anwendbar.

„Wenn dem Bedienpersonal vor oder während des Bohrprozesses angezeigt wird, dass ein Fehler erkannt wurde oder dass Werte außerhalb der Erwartung liegen, kann es den Prozess abbrechen oder im Anschluss direkt eine Kontrolle durchführen“, erläutert Prof. Wolfgang Hintze von der WGP (Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik) und Leiter Produktionstechnik des IPMT Hamburg.

„Das Verfahren kann nicht nur den Flugzeugbau verändern, sondern auch andere Branchen, wie Automotive oder Schiffbau, in denen Bauteile mithilfe von Niet- oder Schraubverbindungen zusammengesetzt werden, und für die Bohrungen einzubringen sind.“ Für seine Bachelorarbeit zu intelligenten Bohrmaschinen erhielt Bender den ersten Platz des VDMA-Nachwuchspreises „Digitalisierung im Maschinenbau“ für praxistaugliche Lösungen.

In einem einzigen Flugzeug werden Hunderttausende Niete gesetzt, die jeweils eine Nietbohrung erfordern. Das kann zu großen Teilen nicht automatisiert passieren, weil die gängigen Industrieroboter zu groß, schwer, unflexibel oder aus anderen Gründen ungeeignet sind. Doch bei den von Menschen per Hand zu positionierenden semi-automatischen Bohrmaschinen kann es zum Beispiel passieren, dass letztere nicht richtig eingespannt wird oder allgemein, dass das Werkzeug bereits Verschleißerscheinungen aufweist. In der Luftfahrt herrschen allerdings sehr hohe Anforderungen an die Sicherheit.

„Die zulässige Grathöhe an der Klemmfläche von Nieten zum Beispiel ist sehr eng bemessen“, erklärt Hintze, „sie liegt unter einem Zehntelmillimeter – sonst könnte sich der Niet im Flugbetrieb lockern.“ Ist der Wert überschritten, muss nachgearbeitet werden. Entsprechend hoch ist der Aufwand für die Kontrolle mit sehr vielen Stichproben und Nacharbeiten an Bohrungen.

Eine lernfähige Bohrmaschine

Das Bedienpersonal setzt die semi-automatischen Maschinen an Bohrschablonen an, die es erlauben, genau zu positionieren. Die Schablonen wurden zuvor am Flugzeugrumpf befestigt. „Den eigentlichen Bohrprozess übernimmt dann die Maschine“, konkretisiert Samuel Bender. „Dafür regelt sie über den kompletten Vorschubweg die Drehzahl und den Vorschub, aber auch weitere Funktionen, wie Schmierung und Spanabsaugung. Sie verhält sich wie eine kleine Werkzeugmaschine.“ Bender wollte diese Fertigungsprozesse vorhersagbar machen und nutzte hierfür Verfahren der Künstlichen Intelligenz, in diesem Fall des Maschinellen Lernens (ML).

Am IPMT der TU Hamburg entwickelte er in Kooperation mit der Johannes Lübbering GmbH aus Herzebrock-Clarholz mehrere Verfahren, die verschiedene Sensordaten des von Lübbering hergestellten Bohrmaschinen-Prototyps auswerten. Dabei werden unter anderem die elektrischen Ströme der beiden Elektromotoren erfasst. Gemäß der Methodik des Maschinellen Lernens galt es zunächst, unter bekannten Bohrbedingungen die Signalverläufe zu sammeln und zu charakterisieren.

Die Maschine lernt typische Verläufe einer optimalen Bohrung und vergleicht sie mit der aktuell durchzuführenden. Weichen die Signale während des aktuellen Fertigungsprozesses ab, merkt das die Maschine und meldet es. „Die Bohrmaschine kann zuverlässig vorhersagen, ob etwa der richtige Bohrdurchmesser verwendet wurde, die erwartete Materialkombination vorliegt, oder das Schmiermittel aktiv ist“, erläutert Bender. Ein Überschreiten der Durchmesser-Toleranz oder der Grathöhe etwa wird automatisch erfasst. Voraussetzung ist allerdings, dass die ML-Modelle zuvor mit den positionsabhängigen Daten versorgt wurden. Dazu zählt beispielsweise die vorliegende Werkstoffkombination – im Flugzeugbau Schichtpakete aus Aluminium, CFK und Titan –, Dicke der Materialien und notwendige Motordrehzahl.

Konkrete Fehlermeldungen

Dank des neuen Verfahrens erhalten die Mitarbeiter*innen in der Montage zukünftig nicht nur eine allgemeine Fehlermeldung, sondern spezifische Warnhinweise wie zum Beispiel „falsche Bohrposition“, „Achtung, Schmiermittel ausgefallen“ oder „Werkzeug verschlissen“. Sie können so das Problem vermeiden oder direkt beheben – also das Werkzeug frühzeitig austauschen beziehungsweise anders Abhilfe schaffen. „Mithilfe von Künstlicher Intelligenz können wir die geforderte Qualität schon während der Bearbeitung erfassen. Die sehr zeit- und kostenintensive Kontrolle können wir damit auf wenige Stichproben stark reduzieren und müssen lediglich erkannte Unregelmäßigkeiten nachverfolgen“, erläutert Hintze.

Generell lässt sich das ML-Verfahren überall dort anwenden, wo Menschen oder Maschinen sich wiederholende, aber variantenreiche Bearbeitungs-, Montage oder Prüfprozesse durchführen. So kann die Montage von sicherheitskritischen Bauteilen oder auch Fahrzeugen überwacht werden. Auch verhindern die intelligenten Maschinen sich anbahnende Ausfälle, weil sie frühzeitig den Verschleiß von Werkzeugen und Werkzeugmaschinen erkennen. Anders formuliert, es gibt eine enorme Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten über alle Branchen hinweg – immer vorausgesetzt, dass ausreichend abgesicherte und aussagekräftige Daten zum Trainieren der Systeme zur Verfügung stehen.

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Gerda Kneifel Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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