Klarheit für die Industrie: Forscher ermitteln Standzeiten von Schieberwerkzeugen
Mehrdirektionales Schmieden bietet viele Vorteile für die Industrie: Die Gratbildung wird reduziert und das Produktportfolio kann leicht um geometrisch komplexere Formen erweitert werden. Trotzdem scheuen viele Produzenten noch diese neue Schmiedemethode, denn die möglichen nachgelagerten Kosten durch Verschleiß lassen sich bislang kaum abschätzen.
Um die Schadensanfälligkeit von Schieberwerkzeugen besser kalkulieren zu können, forscht das Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) gGmbH zu diesem Thema. Ziel ist es, eine Konstruktionsrichtlinie zur Standzeiterhöhung bei der Verwendung von Schieberwerkzeugen zu erstellen und damit das Verfahren des mehrdirektionalen Schmiedens für die Industrie attraktiver zu machen.
Beim mehrdirektionalen Schmieden wird die vertikale Bewegung des Pressenstößels oder des Obergesenks meist über Keile, aber auch Kniehebel, in die horizontale Richtung umgelenkt. Die horizontale Umformung wird durch sogenannte Schieber ermöglicht, während meist die vertikale Umformung durch einen im Obergesenk geführten Stempel erfolgt. Dadurch lassen sich komplexere Geometrien aufbringen – zum Beispiel seitliche Gravuren. Die Belastung der Schieber unter verschiedenen Bedingungen wird nun am IPH untersucht.
Zunächst konstruieren die Wissenschaftler ein simples Werkzeug mit drei bis vier Schiebergeometrien. „Wir konzipieren einen modularen Aufbau, bei dem alle relevanten Komponenten austauschbar sind, damit wir den Verschleiß unter diversen Rahmenbedingungen erforschen können“, erklärt Alexander Martini, Projektingenieur am IPH.
Neben dem Einfluss unterschiedlicher Prozessparameter auf den resultierenden Verschleiß werden die Ingenieure am IPH außerdem untersuchen, welche Schließmechanismen sich für eine mehrdirektionale Umformung eignen und ob ein Zusammenhang zwischen Schließmechanismus und Verschleiß besteht. Beim mehrdirektionalen Schmieden muss der Stempel dynamisch von den antreibenden Keilen entkoppelt werden.
Dieses geschieht durch einen Schließmechanismus, der sowohl den Werkstofffluss in vertikale Richtung einschränkt, als auch unabhängige Werkzeugwege von Stempel und antreibenden Keilen ermöglicht. Tellerfedern und Gasdruckfedern kommen dafür infrage, aber auch die Verwendung von Ziehkissen und formschlüssigen Schließmechanismen werden die Wissenschaftler betrachten.
Nach der Konstruktion des Werkzeugs werden die Forscher am IPH den Verschleiß unter verschiedenen Bedingungen ermitteln. Dabei variieren sie die Werkzeug- und Schiebertemperatur, die Umformpresse, das Schiebermaterial und den Winkel der Schieber. Durch die Kombination aller Parameter entsteht eine hohe Anzahl an Versuchsanordnungen. Die Wissenschaftler am IPH werden deshalb nicht in jeder möglichen Konstellation tausende Hübe vornehmen, sondern nach wenigen Hüben einen Verschleißfaktor ermitteln und mittels der analytischen Gleichung nach ARCHARD den Verschleißverlauf bestimmen.
Anschließend werden jene Varianten der Versuchsanordnung, deren Faktoren in der Simulation den größten Einfluss aufwiesen, tatsächlich konstruiert und bei einem Projektpartner praktisch untersucht. Dort sollen Langteile in großer Stückzahl gefertigt werden. Den Verschleiß an den Schiebern nach 3.000 beziehungsweise 6.000 Hüben messen die Wissenschaftler am IPH und vergleichen die tatsächlichen Ergebnisse mit ihren vorherigen Berechnungen.
Anhand der Analyse der Simulationsdaten und der Versuchsdurchführung entwickeln die Wissenschaftler dann eine Konstruktionsrichtlinie. Darin wird der Zusammenhang zwischen den Prozessparametern und dem Verschleiß dargestellt. So kann beispielsweise ermittelt werden, ob die Schieber bei einem Winkel von 30 oder 60 Grad am geringsten verschleißen, oder ob vielleicht doch eine elliptische Geometrie am Schieber die höchste Standzeit aufweist.
„Wir wollen der Industrie Fakten liefern, um das mehrdirektionale Schmieden schmackhaft zu machen“, sagt Martini. In der letzten Phase des Forschungsprojektes nehmen die Wissenschaftler deshalb eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vor. Dabei werden sie die Einsparpotenziale des neuen Schmiedeverfahrens den Mehrkosten durch den Verschleiß gegenüberstellen. Mit diesen Ergebnissen rechnen die Forscher im Frühjahr 2020.
https://www.iph-hannover.de/de/forschung/forschungsprojekte/?we_objectID=5081
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