Strategien zur Fertigung von Turbomaschinenkomponenten

Aus einem 230 Kilogramm-Rohling frästen die Wissenschaftler des Fraunhofer IPT eine Fan-Blisk mit rund 650 Millimeter Durchmesser - ohne vorherigen Testlauf.
© Fraunhofer IPT

In einem einzigen Anlauf fertigte ein Forschungsteam des Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT in Aachen kürzlich eine Titan-Blisk aus einem 230 Kilogramm schweren Rohteil. Dem Team gelang es in einem 300-stündigen Fertigungsprozess, den hochkomplexen Prototyp fehlerfrei herzustellen. Auf die sonst üblichen und kostspieligen iterativen Schritte bis zur Fertigstellung des Bauteils konnten die Wissenschaftler dank neuer digitaler Verfahren zur Simulation und Prozessauslegung vollständig verzichten.

Das Team rund um die Prototypenfertigung des Fraunhofer IPT fertigte kürzlich eine Blisk von rund 650 Millimeter Durchmesser und einer Schaufellänge von etwa 250 mm aus einem einzigen Rohteil. Bei dem Bauteil handelte es sich um eine maßstabsgerecht verkleinerte Fan-Blisk, das vorderste und größte Schaufelrad des Triebwerks. Die Blisk besteht aus Ti6Al4V, einer besonders schwierig zu zerspanenden Titanlegierung. Entworfen hatte die Blisk das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), um sie anschließend, gemeinsam mit dem Institut für Flugantriebe und Strömungsmaschinen der Technischen Universität Braunschweig und Rolls-Royce Deutschland im Rahmen eines vom Land Niedersachsen im EFRE- Programm geförderten trilateralen Forschungsprojekts für Versuche auf dem Querwindprüfstand für Luftfahrtantriebe in Braunschweig einzusetzen.

»First Part Right«-Strategie zur Fertigung des Blisk-Prototyps

Die Fertigung der Fan-Blisk stellte das Fraunhofer-Team vor gleich mehrere Herausforderungen. Einige lagen in der geforderten Größe des Bauteils und den verhältnismäßig langen Fanschaufeln begründet, andere hatten mit den enorm hohen Anforderungen an die Prozesskette zu tun, denn eine Fan-Blisk solcher Größe aus einem Stück zu fertigen, ist Pionierarbeit.

Rund 230 Kilogramm brachte der Rohling auf die Waage, als er in der Maschine aufgespannt wurde. Am Ende wog das fertige Bauteil nur noch 22 Kilogramm. Es galt also, eine enorme Menge Werkstoff prozesssicher und innerhalb extrem enger Toleranzen zu zerspanen. Da die Forscherinnen und Forscher produktionstechnisches Neuland betraten, mussten sie neue Fertigungsstrategien für die Dreh- und Fräsbearbeitung ermitteln und auswählen. Aufgrund des enorm hohen zu zerspanenden Werkstoffvolumens entschied das Team aus ökonomischen und ökologischen Gründen, die sogenannte »First-Part-Right«-Strategie anzuwenden. Bei dieser Strategie wird das Bauteil gefertigt, ohne dass der Prozess zuvor an einem Auslegungsbauteil erprobt wird.

Um eventuelle Abweichungen oder sonstige kritische Zustände frühzeitig vorherzusehen und ausgleichen zu können, setzte das Team verstärkt auf digitale Methoden in allen Prozessabschnitten: von der CAM-Planung über die Prozessauslegung bis zur Qualitätsüberwachung während der Fertigung.

Automatische Ermittlung passender Spindeldrehzahlen um Bauteilschwingungen zu vermeiden

Die langen Fanschaufeln geraten bei der Fräsbearbeitung in Schwingung. Um das zu vermeiden, mussten die Forscherinnen und Forscher besonders für das Schlichten der Oberfläche vorteilhafte Spindeldrehzahlen ermitteln. Dazu bestimmten sie kontinuierlich die Werkstückdynamik, die sich während des Fräsprozesses ständig verändert. Das Team nutzte dazu sowohl Referenzmessungen mit dem Laservibrometer als auch Simulationen anhand der Finite Elemente-Methode (FEM). Um die passenden Spindeldrehzahlen automatisch auszuwählen, verwendete das Team eine selbst entwickelte Software, die auf Basis der Eigenfrequenzen von Werkzeug und Werkstück arbeitet.

Nach rund 300 Stunden Bearbeitungszeit war es geschafft: Die Fan-Blisk war fertig, die Strategie war aufgegangen. Vor einigen Tagen übergab das Team des Fraunhofer IPT den Projektpartnern des DLR das Bauteil für den Prüfstandeinsatz.

Wissenschaftliche Ansprechpartner:

Dr.-Ing. Martin Seimann
Prototypenfertigung

Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT
Steinbachstr. 17
52074 Aachen
Telefon +49 241 8904-437
martin.seimnn@ipt.fraunhofer.de
www.ipt.fraunhofer.de

Weitere Informationen:

https://www.ipt.fraunhofer.de/de/presse/Pressemitteilungen/220317-fraunhofer-ipt…

Media Contact

Susanne Krause Externe und interne Kommunikation
Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie IPT

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Maschinenbau

Der Maschinenbau ist einer der führenden Industriezweige Deutschlands. Im Maschinenbau haben sich inzwischen eigenständige Studiengänge wie Produktion und Logistik, Verfahrenstechnik, Fahrzeugtechnik, Fertigungstechnik, Luft- und Raumfahrttechnik und andere etabliert.

Der innovations-report bietet Ihnen interessante Berichte und Artikel, unter anderem zu den Teilbereichen: Automatisierungstechnik, Bewegungstechnik, Antriebstechnik, Energietechnik, Fördertechnik, Kunststofftechnik, Leichtbau, Lagertechnik, Messtechnik, Werkzeugmaschinen, Regelungs- und Steuertechnik.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…