Schluss mit der Stampferei!
FH-Forschungs-AG bringt Roboterhund „richtiges“ Laufen bei.
Die AG „Eingebettete Systeme und Biomechatronik“ an der FH Bielefeld hat ein neues „Haustier“. Sein Name: Achilles. Die Forschenden wollen dem Roboterhund beibringen, so gut wie seine tierischen Vorbilder zu laufen. Gleichzeitig entwickeln sie bereits Ideen, für welche praktischen Einsätze der optimierte Vierbeiner geeignet wäre.
Er wiegt zwölf Kilogramm, kann tanzen, Männchen machen und ist mit etwa 12 km/h ganz schön schnell – zumindest für einen Roboter: Der Unitree Go1 EDU ist der neue vierbeinige „Mitbewohner“ der AG „Eingebettete Systeme und Biomechatronik“ an der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Das Team rund um Prof. Dr. Axel Schneider, gleichzeitig Prodekan für Forschung, Entwicklung und Transfer am Fachbereich Ingenieurwissenschaften und Mathematik, hat den Roboterhund Achilles getauft. Wie sein Vorbild aus der griechischen Mythologie ist der Roboter überaus robust, aber keineswegs unverwundbar. Seine sprichwörtliche „Achillesferse“: Er läuft immer auf die gleiche Art und Weise und kann seine Beinbewegungen nicht an die Umgebung anpassen.
Achilles stampft nahezu im immer selben Takt, was häufig übertrieben hektisch wirkt und auf hartem Untergrund recht laut ist. Trotzdem würde er alsbald nicht weiterkommen, wenn das Terrain anspruchsvoller wird. Doch genau das fordert die Forschenden an der FH heraus. Sie wollen dem Roboter tief unter die „Motorhaube“ blicken. Beim Unitree Go1 EDU, den es in abgespeckter Hobbyversion auch für Menschen gibt, die sich für Roboter interessieren, sind zwar bereits feste Gangarten implementiert, aber sie können sich nicht eigenständig an unterschiedliche Bedingungen wie unebenen Untergrund oder Hindernisse anpassen. Noch nicht! Die Forschenden wollen Achilles nun das Laufen neu beibringen –eine keineswegs banale Angelegenheit.
Vorbilder von Boston Dynamics mit verblüffenden Fähigkeiten
In Science-Fiction-Filmen können Roboter schon fast alles. Auch von der Firma Boston Dynamics gibt es High-end-Modelle, die erstaunliche Fähigkeiten mitbringen: Zwei- und Vierbeiner handeln hier scheinbar ebenso flexibel wie autonom und meistern anspruchsvolle Bewegungsabläufe. Davon zeugen verblüffende Videos auf Youtube. Aber auch die Robotersysteme von Boston Dynamics sind beschränkt, was die Anpassungsfähigkeit von Bewegungsabläufen betrifft. Sie folgen eher klassischen Regelungsansätzen, wie Marc H. Raibert, der Gründer von Boston Dynamics, sie bereits früh in seinem Buch „Legged Robots That Balance“ formuliert hat.
Es sind also noch viele Fragen zu beantworten, bis auf breiter Front Roboter eingesetzt werden können, die komplexe Aufgaben übernehmen. Das hat seine Ursache unter anderem in den Defiziten beim Laufverhalten. „Je besser wir verstehen, wie das Laufen bei Tieren funktioniert, desto besser können wir diese Abläufe auf die Konzepte in der Laufrobotik übertragen“, ist Prof. Schneider überzeugt. Damit das gelingt, werden die Forschenden unter anderem ein von Grund auf neues Softwareframework entwickeln, das ein stärker unabhängiges Verhalten von einzelnen Beinen erlaubt. Dies wiederum liefert dem Roboter die Grundlagen für geschmeidigere, flexiblere und letztendlich anpassungsfähigere Gangarten.
Herausforderung Vierbeiner: Von der Stabheuschrecke zum Hund
Damit haben Prof. Schneider und sein Kollege Dr. Hanno Gerd Meyer große Erfahrung: Mit Achilles‘ Vorgänger Hector haben sie und ihr Team bereits zwischen 2014 und 2020 einen sechsbeinigen Roboter entwickelt und betrieben. Hectors Vorbild aus der Natur war damals die Stabheuschrecke. Seine Beine sind wie bei seinem tierischen Vorbild jeweils einzeln handelnde autonome „Agenten“, die sich basierend auf einfachen Regeln in ihren Bewegungen untereinander abstimmen. „Wenn zum Beispiel ein Bein in der Luft ist, bleibt ein anderes auf dem Boden, damit der Roboter nicht umkippt“, erläutert Dr. Meyer, der auch das Labor leitet, in dem an Achilles geforscht wird. „Dieses Zusammenspiel führt zu einem koordinierten Laufverhalten, das sich aus sich selbst heraus an unterschiedlich beschaffenes Gelände und verschiedene Laufsituationen anpassen kann.“
Vierbeinige Systeme sind für Meyer und die AG jetzt allerdings eine neue Herausforderung, denn, so Meyer: „Vierbeiner haben zwar den Vorteil, dass sie potenziell schneller laufen können als Sechsbeiner, sie sind jedoch instabiler und damit sturzanfälliger.“ Das Team will die dezentrale Steuerung des Laufverhaltens, die an der Fachhochschule und der Universität Bielefeld bereits für den von der Stabheuschrecke inspirierten Roboter Hector entwickelt wurde, auf den Roboterhund Achilles übertragen. Die Implementierung des biologisch inspirierten Laufsystems soll dabei unter anderem die Integration einfacher Reflexe erlauben. So soll der Roboter beispielsweise eine reflexartige Ausweichbewegung ausführen, wenn eines seiner Beine auf ein unmittelbares Hindernis, wie eine Stufe oder Bordsteinkante stößt.
Training der Systeme im Simulator: Virtuelle Machbarkeitsstudien sind der Beginn
Auch die Erkennung von Hindernissen im weiteren Umfeld des Roboters steht auf dem Aufgabenzettel des Teams. Dafür sind zusätzliche Sensorsysteme und entsprechende Algorithmen erforderlich, mit deren Hilfe Planungsfähigkeiten ins System integriert werden. Mit Umfelderkennung und Vorausplanung hat die AG ebenfalls langjährige Erfahrungen. Schon für Hector wurde in Kooperation mit der Arbeitsgruppe Kognitronik der Universität Bielefeld ein bio-inspiriertes Kamerasystem entwickelt, das dem Sehsystem der Fliege nachempfunden wurde. Dieses erlaubte es dem Laufroboter basierend auf Mechanismen der Informationsverarbeitung, wie man sie auch im Hirn von Insekten findet, selbständig und kollisionsfrei ein Ziel zu erreichen.
„Bevor wir unsere Algorithmen auf der Roboterhardware implementieren, werden sie prinzipiell erst in einer Simulationsumgebung getestet“, erklärt Meyer. Auch für Achilles gibt es eine entsprechende Simulationsumgebung. So können virtuell Machbarkeitsstudien durchgeführt werden, ohne dass der Roboter bereits im Einsatz ist und womöglich Schaden nehmen würde, wenn er in Grenzbereiche seines Könnens vorstößt.
Interdisziplinarität macht erfolgreiche biomechatronische Forschung erst möglich
Im Projekt Achilles fließt die Expertise von Forschenden aus der Biologie, der Informatik und den Ingenieurwissenschaften zusammen. Erst durch dieses interdisziplinäre Setting kann die Arbeitsgruppe ein besseres Verständnis dafür entwickeln, wie Laufen bei den Vorbildern aus der Tierwelt funktioniert – Grundlage dafür, passende Antriebe, Gelenke, Sensoren und Software zu entwickeln und weiter zu optimieren. „Die Zusammenarbeit in diesem Team ist sehr fruchtbar“, so Dr. Meyer, der von Haus aus Neurobiologe ist. „Aus Sicht eines Ingenieurs sind die Erkenntnisse aus der Biologie teilweise hoch relevant, wenn man bedenkt, mit welcher Effizienz beispielsweise Insekten trotz ihres winzigen Gehirns mit ihrer Umwelt interagieren. Robotische Systeme sind in ihren Fähigkeiten solch kleinen Vorbildern oft noch weit unterlegen. Da gibt es viel, was man von der Natur lernen kann – eben, weil die Evolution viele Millionen Jahre Zeit hatte, solche Systeme zu optimieren.“
Neben der Optimierung des Laufens besteht eine große Herausforderung auch darin, die Energieeffizienz des Roboters zu steigern: Wenn Achilles stark gefordert wird, hält seine Batterie zurzeit maximal 45 Minuten. Anders als ein Mensch verbraucht der Roboter bedauerlicherweise auch im Stehen viel Energie, weil die Beine dabei nicht gestreckt sind und die Gelenkantriebe auch hierbei dauerhaft mit elektrischer Energie versorgt werden müssen. Eine Lösung dieses Problems jenseits der Hoffnung, bald auf noch effizientere Batterien zugreifen zu können, ist noch nicht greifbar. Aber die Forschenden denken darüber nach, welche Verbesserungschancen sie auf konstruktiver und konzeptioneller Ebene haben, beispielsweise durch Änderung in der Körperhaltung des Roboters. Auch hier spielen Vorbilder aus der Natur eine Rolle.
Praxisphase im Bachelor: Studierende sind voll integriert in das Projekt
Mit Ben Raeke und Jonas Grube hat Roboterhund Achilles zurzeit zwei „Herrchen“ gefunden. Die beiden FH-Studierenden befinden sich gerade in der Praxisphase ihres Studiums der Ingenieurinformatik und sind sichtlich fasziniert von ihrem „Bürohund“. „Momentan untersuchen wir, wie wir die Gelenke von Achilles direkt ansteuern können, um unsere eigenen Steuerungsalgorithmen aufzusetzen“, berichtet Raeke. „Wir möchten auf dem Roboter einen natürlicheren Laufstil implementieren. Das würde auch dazu führen, dass er sich leiser bewegen könnte.“
Jonas Grube ist insbesondere von den interdisziplinären Möglichkeiten des Projekts angetan: „Bei der Arbeit an Achilles sehe ich ganz konkret, wofür ich die Vorlesungen der unterschiedlichen Disziplinen besucht habe – sei es Regelungstechnik, Sensorik oder Netzwerktechnik. So kurz vor dem Abschluss ist das eine motivierende Erfahrung.“ Sowohl Grube als auch Raeke wollen nach ihrem Bachelor an der FH noch ihren Master in BioMechatronik machen – ein Studiengang, der in seiner Form deutschlandweit einzigartig ist.
Einsatz als Wagenmeister für Güterwaggons denkbar
Zwar bietet Achilles eine Plattform für Grundlagenforschung zum maschinellen Laufen, bei der Studierende gemeinsam mit gestandenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zahlreiche Fertigkeiten wie die Ansteuerung von Systemen oder den Einsatz von KI erlernen. Aber die Arbeitsgruppe will gleichzeitig an Ideen für ganz konkrete Anwendungsgebiete des Vierbeiners arbeiten. Wenngleich Laufroboter teilweise schon außerhalb der Forschung eingesetzt werden, wie beispielsweise für erste einfache Inspektionsaufgaben oder experimentell in der Polizeiarbeit, ist ihre Verbreitung noch immer gering, obwohl sie insbesondere in schwierigem Terrain ihre Vorteile ausspielen können. Gut vorstellen, kann sich Axel Schneider daher den Einsatz eines optimierten Achilles zum Beispiel bei der Betriebskontrolle und Wartung von Güterwaggons. Momentan müssen Wagenmeister prüfen, ob bei jedem der vielen zusammengekoppelten Wagen auch tatsächlich die Bremse gelöst und der Zug abfahrbereit ist. Diese zeitaufreibende Aufgabe könnten Laufroboter übernehmen – und nebenbei immer gleich auch den Zustand des Waggonunterbodens und anderer Komponenten kontrollieren. Denkbar ist auch, dass Laufroboter für die Wartung von Industrieanlagen in schwer zugänglichen Bereichen eingesetzt werden. Oder für gefährliche Aufgaben, um beispielsweise in chemischen Anlagen Leckagen zu orten. „Laufroboter können überall dort zum Einsatz kommen, wo man mit Robotern auf Rollen oder Ketten nicht weiterkommt“, sagt Schneider.
Die große Frage, welche die Forschenden beschäftigt, ist und bleibt aber: Wie wird aus dem Laufroboter ein autonomes System? Dafür müsste er adaptives Laufen „gelernt“ haben. „Ein wichtiger Aspekt des Wortes ,autonom‘ ist die Fähigkeit eines Systems, sich selbst Regeln zu geben“, erläutert Schneider. „Ein Szenario wäre, einen Laufroboter an den Rand eines Vulkankraters zu schicken, um Bildaufnahmen zu machen. Vorab wird lediglich definiert, wie viele Fotos aus welcher Perspektive und in welchen Abständen er machen soll. Auf dem Kraterrand entscheidet der Roboter dann selbst, wie er die Aufgabe bewerkstelligt.“ Aus heutiger Perspektive spektakulär auch folgende Szene, die Schneider entwirft: „Stellen Sie sich vor, dass eines gar nicht so fernen Tages ein Roboter gemeinsam mit einem Notarzt aus dem Rettungswagen springt, mit ihm die Treppen zur Wohnung eines Herzinfarktpatienten hochläuft und dabei das nötige schwere Equipment trägt, einen Defibrillator zum Beispiel!“
Weitere Informationen:
https://www.fh-bielefeld.de/presse/pressemitteilungen/schluss-mit-der-stampferei… Pressemitteilung auf www.fh-bielefeld.de
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