Temperiertes Versuchswerkzeug für das Edelstahl-Tiefziehen
Austenitische nichtrostende Stähle finden aufgrund ihres außergewöhnlich guten Umformverhaltens und ihrer Korrosionsbeständigkeit vielfach Verwendung in der Lebensmittel- und Haushaltswarenindustrie. Je nach Zusammensetzung des Stahls kann es während der Umformung zu einer verformungsinduzierten Umwandlung des Gefüges im Martensit kommen.
Mittlere Austenitstabilität zum Stahl-Umformen angestrebt
Ist die Austenitstabilität zu hoch, wandelt sich nur ein äußerst geringer Teil des Gefüges in Martensit um. Bei einer zu geringen Austenitstabilität kommt es bereits bei geringen Umformgraden zu einer hohen Martensitbildung, hierdurch wird die Umformbarkeit deutlich herabgesetzt. Für eine gute Umformbarkeit wird bei austenitischen nichtrostenden Stählen eine mittlere Austenitstabilität angestrebt.
Da das Umwandlungsverhalten stark von der Temperatur abhängig ist, spielen prozessimmanente Einflussgrößen eine große Rolle. Die Umformgeschwindigkeit und die Ziehtiefe bewirken eine adiabatische Erwärmung des Materials. Durch die martensitische Umwandlung während der Umformung wird ebenfalls Wärme frei. Schließlich stellt sich zusammen mit der Erwärmung durch Reibung eine prozessabhängige stationäre Werkzeug- und Umformtemperatur ein.
Da die Auslegung industrieller Prozesse mittels FE-Analysen eine hinreichend genaue Materialbeschreibung voraussetzt, ist die Beschreibung des temperaturabhängigen Werkstoffverhaltens für die korrekte Simulation von metastabilen Austeniten von grundlegender Bedeutung. Ein zurzeit weit verbreitetes und viel diskutiertes Modell hierfür ist das Hänsel-Modell [1-3], das die temperaturabhängige Martensitbildung während des Umformens berücksichtigt. Vielfach ist eine explizite Berücksichtigung der Martensitbildung auch überflüssig, da zu wenig Martensit im Gefüge gebildet wird und das Verfestigungsverhalten kaum beeinflusst wird [4].
Das Hänsel-Modell selbst führt zu einer verbesserten Vorhersage der Verfestigung, jedoch bleibt der Einfluss der Martensitbildung beziehungsweise der Umformtemperatur auf Fließort und Versagen unberücksichtigt. Um den Einfluss der Martensitbildung auf die Umformgrenzen in Abhängigkeit von den diskutierten Einflussgrößen zu untersuchen, wurde in einem bilateralen Forschungsprojekt zwischen der Thyssen-Krupp Nirosta AG und dem Institut Tools & Forming (TU Graz) ein den Serienprozess abbildendes Umformwerkzeug aufgebaut.
Umformwerkzeug bildet den Serienprozess ab
Zunächst wurden in dem Forschungsprojekt die notwendigen Randbedingungen, die im Versuchswerkzeug abgebildet werden sollten, aus dem Serienprozess ermittelt. Als wesentliche Themenschwerpunkte wurden festgelegt:
-Temperierung: Um Serienprozesse nachbilden zu können, ist eine Temperierung des Werkzeugs notwendig. Prozessabhängig stellen sich stationäre Temperaturen von 60 bis 80 °C ein.
-Oberfläche: Das Material der Werkzeug-oberfläche soll hinsichtlich bestimmter Eigenschaften wie Härte, Gleitverhalten und Wärmeleitfähigkeit vergleichbar sein zu dem bei Serienwerkzeugen üblicherweise verwendeten Werkstoff Ampco.
-Instrumentierung: Neben der Aufnahme der Pressendaten (Kraft- und Wegverläufe) ist die Messung der Werkzeug- und vor allem der Blechtemperatur notwendig, da letztere ausschlaggebend für das Werkstoffverhalten (Verfestigung und Versagen) ist.
-Variable Blechhalterkräfte: Um mit diesem Werkzeug verschiedene Tiefziehszenarien, beispielsweise die Herstellung von Doppelbeckenspülen, darstellen zu können, müssen die Blechhalterkräfte umlaufend variabel einstellbar sein. So kann ein Sperren oder ein Laufenlassen des Bleches im Blechhalterbereich eingestellt werden.
Temperierung des Umformwerkzeuges und Optimierung der Oberfläche
Im Serienprozess stellen sich im stationären Zustand drei verschiedene Werkzeugtemperaturen in den Bereichen Ziehring, Matrize und Stempel ein. Zur Beheizung dieser Bereiche wurden Widerstandsheizungen in Form von Rohrheizkörpern der Firma E. Loos Elektrowärmetechnik verwendet.
In den beheizten Werkzeugbereichen wurden umlaufend Nuten eingefräst, in die die Rohrheizkörper eingelegt wurden. Geregelt werden die Heizelemente mittels konventioneller Regeltechnologie und PT100-Widerstandsthermometern zur Temperaturüberwachung. Die maximale Heizleistung des Umformwerkzeuges beläuft sich auf zirka 14 kW. Das einzustellende Temperaturmaximum liegt bei etwa 300 °C.
Für das Tiefziehen von nichtrostenden Edelstahl-Spülen werden Tiefziehwerkzeuge an den durch Reibung stark belasteten Stellen in Sonderaluminiumbronzen, beispielsweise Ampco 22, ausgeführt. Auf Grund der hohen Halbzeugmaterialkosten dieses Werkstoffes wurde für dieses Versuchswerkzeug ein alternativer Ansatz gewählt.
Umformwerkzeug per Laserauftragschweißen beschichtet
Mit dem sogenannten Direct-Metal-Deposition-Verfahren (Laserauftragschweißverfahren) wird auf einen kostengünstigen Grundwerkstoff, beispielsweise St52, mittels Laserenergie und Pulverdüse ein Ampco-ähnliches Metallpulver schichtweise aufgetragen. Die hohe Energiedichte des Laserstrahls ermöglicht eine Beschichtung des Grundwerkstoffs mit einem geringen Wärmeeintrag und einer dementsprechend geringen Wärmeeinflusszone bei minimiertem Verzug. Durch das vollständige Aufschmelzen des Pulvers in das Schmelzbad entsteht eine vollkommen dichte Metallschicht mit den mechanischen Eigenschaften des verwendeten Metallpulvers, die eine hochfeste Verbindung mit dem Grundwerkstoff eingeht.
Erfolgsversprechende Ergebnisse bei DMD-Beschichtung
Für das hier vorgestellte Versuchswerkzeug wurde das Referenzmaterial Ampco 22 mit dem aufgeschweißten Material auf seine Eigenschaften untersucht. Zum einen wurden die Ergebnisse aus den Mikrohärtemessungen miteinander verglichen und zum anderen wurden Streifenziehversuche durchgeführt, um die Reibwerte der einzelnen Werkstoffe miteinander vergleichen zu können.
Nicht nur die Ergebnisse aus den Voruntersuchungen, sondern auch die durchgeführten Realversuche zeigten eine gute Vergleichbarkeit des aufgeschweißten Materials mit Ampco 22 in Bezug auf die angestrebten Eigenschaften Härte, Gleitverhalten und Wärmeleitfähigkeit.
Versuchsaufbau gewährleistet auch variable Blechhalterkräfte
Wie eingangs erwähnt ist es für dieses bisher einzigartige Versuchswerkzeug zur Nachbildung des Serienprozesses von besonderer Bedeutung, sämtliche Temperaturveränderungen im Werkzeug und vor allem im eingelegten Blech erfassen zu können. Für die anschließende Auswertung müssen diese Temperaturdaten mit den Kraft- und Wegverläufen der Presse zu koppeln sein. Dadurch können Rückschlüsse auf das Material- beziehungsweise das Werkstoffverhalten während des Umformprozesses gezogen werden.
Um das Aufwärmverhalten des Werkzeuges abbilden zu können, wurden im Bereich Stempel und Matrize Mantelthermoelemente vom Typ K verbaut. Diese wurden etwa 1 bis 2 mm unter der Werkzeugoberfläche installiert, um so einen fast direkten Kontakt mit dem sich erwärmenden Blech zu erhalten. Die aufgezeichnete Temperatur ist eine Summe aus reibungsindizierter Wärme zwischen Blech und Werkzeug und der voreingestellten Temperatur des Werkzeugsystems.
Wräementwicklung im Blech beim Umformen sehr wichtig
Die Wärmeentwicklung im Blech durch adiabatische Erwärmung und verformungsindizierte Martensitumwandlung ist für das Werkstoffverhalten während der Umformung von großer Bedeutung. Daher wurden in dem Versuchswerkzeug zwei Infrarotpyrometer (Temperaturerfassungsbereich -40 bis +400 °C) zur Blechtemperaturerfassung installiert.
Die Positionen der Pyrometer wurden so gewählt, dass sich zum einen Veränderungen im Eckenbereich des Spülenbodens und zum anderen Veränderungen in der sogenannten „Anhaumarke“ (Flanschbereich der Spüle) aufzeichnen lassen. Im unbeheizten Werkzeugzustand ist die Blechtemperaturerfassung auf Grund des konstanten Emissionskoeffizienten unproblematisch.
Temperatur im Blech und Umformwerkzeug abhängig vom Pressenweg und -kraft darstellbar
Für den beheizten Zustand wurden die Infrarotpyrometer in sogenannte Temperaturkompensationsgehäuse eingelagert. Dies ermöglicht, Blechtemperaturen zu messen, die kleiner als die des umgebenden Werkzeugs sind. Erste Versuche zeigten mit den getroffenen Vorkehrungen zur Temperaturkompensation eine Abweichung zur Blech-Isttemperatur von nur einigen wenigen Grad. Über die Umformzeit ist es nun möglich, Temperaturveränderungen im Werkzeug und im Blechwerkstoff in Abhängigkeit von Pressenweg und -kraft darzustellen.
Eine möglichst hohe Anzahl an Freiheitsgraden zur Simulation von verschiedenen Serienprozessszenarien zu schaffen, stand für dieses Versuchswerkzeug besonders im Vordergrund. Dabei wird im Wesentlichen zwischen dem Ziehen von symmetrischen Teilen (Einbeckenspüle, Lebensmittelschale und anderes) und dem von asymmetrischen Ziehteilen (Mehrbeckenspüle oder Spülen mit Ablauf) unterschieden.
Variable Blechhalterkräfte zur Simulation von Serienprozessen
Das hier gewählte Konzept basiert auf einer vollkommenen Trennung zwischen Pressen- beziehungsweise Verdrängerkräften im Tischkissen und der im Blechhalterbereich eingestellten Niederhaltekräfte. Die Niederhaltekräfte können über einzeln ansteuerbare Gasdruckfedern umlaufend variabel eingestellt werden. So kann ein gezieltes Laufenlassen beziehungsweise Sperren des Bleches im Einzugsbereich ermöglicht werden.
Zur Überprüfung der unterschiedlichen Niederhaltekräfte im Blechhalter wurden Druckmessfolien der Firma Fuji-Film in das Werkzeug eingelegt. Die Ergebnisse zeigten eine deutliche Abgrenzung zwischen den einzelnen Bereichen.
Literatur:
[1] Hänsel, A., P. Hora und J. Reissner: Model for the kinetics of strain-induced martensitic phase transformation at non isothermal conditions for the simulation of sheet metal forming processes with metastable austenitic steels, Sim. Mat. Proc: Theory, Methods and Appl, eds Hétnik & Baaijens, 1998 Balkema, Rotterdam, p. 373-378
[2] Hänsel, A.: Nichtisothermes Werkstoffmodell für die FE-Simulation von Blechumformprozessen mit metastabilen austenitischen CrNi-Stählen, PhD Thesis, Fortschr.-Ber. VDI-Reihe 2 Nr. 491 Düsseldorf: VDI Verlag 1998
[3] Heinemann, G.: Virtual determination of forming limits of metastable austenitic stainless steels applied to sheet forming processes, Zürich, 2004
[4] Ratte, E.: Sense and sensitivity of thermo-mechanical forming simulation of metastable austenitic stainless steels, 6th European Stainless Steel Conference, 10-13. Juni, Helsinki, Finland, 2008
Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ralf Kolleck ist Leiter des Instituts Tools & Forming, Member of Frank Stronach Institute an der TU Graz, 8010 Graz (Österreich), Dipl.-Ing. Christian Koroschetz ist dort wissenschaftlicher Assistent, Velika Kiroff ist Projektmitarbeiterin am Institut Tools & Forming. Das Institut bedankt sich bei dem Forschungspartner Thyssen-Krupp Nirosta für die Zusammenarbeit und für die Möglichkeit der Veröffentlichung der Ergebnisse.
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