Vollkeramische Fräswerkzeuge prozesssicher einsetzen
Der technische Fortschritt und die kontinuierliche Weiterentwicklung in den Materialwissenschaften haben eine stetige Steigerung der Leistungsfähigkeit von hoch beanspruchten Bauteilen ermöglicht. Die konsequente Verwendung von Nickel-Basis-Legierungen hat zu einer fortschreitenden Erhöhung der Gesamtwirkungsgrade von Gasturbinen geführt.
Monokristalline Turbinenschaufeln aus Nickel-Basis-Legierungen, ausgestattet mit einem komplexen System aus Kühlkanälen und keramischen Wärmedämmschichten, werden bei Temperaturen bis 1450 °C eingesetzt. Diese herausragenden thermischen und mechanischen Eigenschaften bringen jedoch mit sich, dass enorme Anforderungen an die mechanische Bearbeitung gestellt werden. Zur Fertigung eines Strahltriebwerkes sind rund 3000 Wendeschneidplatten erforderlich, während für die Herstellung eines PKW durchschnittlich nur noch zwei Wendeschneidplatten verbraucht werden.
Schneidkeramik ermöglicht höhere Schnittgeschwindigkeiten
Die hohe Warmfestigkeit in Verbindung mit der geringen Wärmeleitfähigkeit von Nickel-Basis-Legierungen führt zu hohen Temperaturen auf der Spanfläche, wodurch ein Erweichen des Schneidstoffes begünstigt wird. Im Zusammenspiel mit den im Mikrogefüge enthaltenen abrasiven Karbiden ist Werkzeugversagen aufgrund thermomechanischer Überlastung die Folge. Beschichtete Hartmetallwerkzeuge lassen sich bis zu einer Schnittgeschwindigkeit von 20 m/min prozesssicher einsetzen.
Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass durch den Einsatz von Schneidkeramik eine Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit um den Faktor 30 bis 50 realisierbar ist. Entscheidend dabei ist die hohe Warmfestigkeit der Keramik. Sie ermöglicht es, die Temperatur im Spanprozess so weit anzuheben, dass der Werkstückwerkstoff erweicht und leichter zerspanbar wird.
Schneidkeramik ermöglicht HSC-Fräsen von Nickel-Basis-Legierungen
Dadurch kann in den Bereich der Hochgeschwindigkeitszerspanung (HSC) vorgestoßen werden. Fräswerkzeuge zur Aufnahme von Wendeschneidplatten aus Schneidkeramik sind auf dem Markt erhältlich und finden Anwendung bei der Schruppbearbeitung von Gasturbinenschaufeln.
Die minimale Größe dieser Werkzeuge ist jedoch aus konstruktiven Gründen begrenzt. Das kleinste derzeit kommerziell verfügbare Werkzeug hat einen Durchmesser von 32 mm. Für Bearbeitungsaufgaben, die geringere Werkzeugdurchmesser oder komplexe Schneidenprofile erfordern, kommen neben Hartmetall- und HSS-Werkzeugen auch Schleif- und Erodierverfahren zum Einsatz.
Die Leistungsfähigkeit moderner keramischer Schneidstoffe in diese Anwendungsbereiche zu übertragen, ist ein Forschungsschwerpunkt des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin. Bereits im Jahr 2006 wurden erste prototypische Fräswerkzeuge aus Keramik im Projekt „Cercut“ der Fraunhofer-Allianz Hochleistungskeramik hergestellt. Diese Werkzeuge wurden in exemplarischen Anwendungen erfolgreich erprobt. Aus der sehr positiven Resonanz von Werkzeugherstellern und Anwendern ergab sich das Bestreben, mit einem breit aufgestellten Konsortium die begonnene Entwicklungsarbeit weiterzuführen.
Entwicklung vollkeramischer Zerspanungswerkzeuge wird forciert
Im Januar 2008 wurde das Inno-Net-Projekt „Technologie zur Herstellung vollkeramischer Schaftwerkzeuge (Tech-Volk)“ begonnen. Seitdem wird intensiv an der Entwicklung vollkeramischer Fräswerkzeuge mit applikationsangepasster Schneidengeometrie gearbeitet.
Die verschiedenen Kompetenzen und Arbeitsschwerpunkte der Projektpartner ermöglichen die ganzheitliche Betrachtung der Prozesskette. Von der Herstellung der keramischen Rohlinge über die Verarbeitung zu Werkzeugen durch angepasste Schleifwerkzeuge und Schleifstrategien bis hin zum Einsatz auf modernen HSC-Bearbeitungszentren an konkreten Bauteilen. Das Spektrum der Werkstückwerkstoffe umfasst sowohl Nickel-Basis-Schmiedelegierungen wie Nimonic 90 als auch hoch entwickelte vergossene Legierungen wie MAR M247.
HSC-Fräsen stellt hohe Anforderungen an den Schneidstoff
Um den komplexen Belastungszuständen eines HSC-Fräsprozesses standzuhalten, muss ein Schneidstoff besonderen Anforderungen genügen. Es treten durch den unterbrochenen Schnitt hohe Lastwechsel und Temperaturschwankungen an der Schneidkante auf.
In der Zeitspanne, in der die Schneide nicht im Eingriff ist, kühlt die Oberfläche stärker ab als der Kern. Durch die unterschiedliche thermische Ausdehnung entstehen Zugspannungen im Randbereich, die eine Ausbildung von Rissen begünstigen.
Keramik besonders anfällig für Risse durch Abkühlung
Keramik weist eine erhöhte Empfindlichkeit gegen Zugspannungen auf und ist deswegen besonders anfällig für diesen Mechanismus. Trockenbearbeitung ist für diesen Schneidstoff zwingend notwendig, da Kühlschmierung die Abkühlung verstärkt und sich somit zusätzlich negativ auf das Standverhalten auswirkt.
Mit Siliziumcarbid-Whiskern verstärktes Al2O3 und SiAlON besitzen aufgrund ihrer Zusammensetzungen und ihres Gefügeaufbaus Eigenschaften, die die Rissausbreitung behindern und die Bruchzähigkeit erhöhen. Als Wendeschneidplatten werden diese beiden Schneidkeramiken bereits angeboten und haben sich auf dem Markt bewährt.
Gradierte Keramiken als Schneidstoff für das HSC-Fräsen vielversprechend
Eine vielversprechende Weiterentwicklung ist die Herstellung von sogenannten gradierten Keramiken. Dabei werden durch Nachbehandeln die Festigkeitseigenschaften des Werkstoffs gezielt verändert. Es kann – wie beim Stahl durch Härten – eine verschleißfeste Randzone und ein bruchzäher Kernbereich hergestellt werden.
Eine Analyse der Einsatzeigenschaften der beiden Keramiken als Wendeschneidplatten ging dem Entwicklungsprozess von vollkeramischen Werkzeugen voraus. Dabei wurden charakteristische Verschleißerscheinungen untersucht und bewertet.
Belastungssituationen für Keramik-Schneidwerkzeuge erforscht
Durch eine werkstückseitige Kraftmessung in Verbindung mit FEM-Simulationen ist eine detaillierte Analyse des Werkzeugdesigns möglich. Praktische Erkenntnisse aus Versuchen und numerisch ermittelte Belastungsgrenzen ergänzen sich gegenseitig. Es konnten Belastungssituationen identifiziert werden, die ungünstig für die spezifischen Festigkeitseigenschaften von Keramik sind.
Das Eigenschwingungsverhalten der verschiedenen Werkzeuggeometrien wird ebenfalls berücksichtigt. Durch eine zugeschnittene Werkzeug- und Prozessgestaltung können somit nicht nur der Verschleiß minimiert und die Standzeiten erhöht, sondern auch die geometrische Qualität der Oberflächen verbessert werden.
Entscheidend ist dabei die für ein Forschungsinstitut nahezu einzigartige Möglichkeit, die Werkzeuge auf einer eigenen Werkzeugschleifmaschine mit hoher Präzision herzustellen, diese anschließend auf einer Werkzeugmessmaschine zu vermessen und auf hochdynamischen HSC-Bearbeitungszentren zu testen. Dadurch sind kurze Entwicklungszyklen und ein umfassendes Prozessverständnis erreichbar.
Schnittgeschwindigkeiten bis 600 m/min prozesssicher gefahren
Die bisherigen Fräswerkzeuge besitzen Durchmesser zwischen 4 und 8 mm. Es wurden Geometrien für die Stirn- und Umfangsbearbeitung entwickelt. Dabei wurden, ausgehend von einer Zweischneider-Geometrie, filigrane Werkzeuge mit bis zu zehn Schneiden hergestellt und getestet. Schnittgeschwindigkeiten bis 600 m/min und Vorschubgeschwindigkeiten bis 10000 mm/min konnten prozesssicher gefahren werden.
Um die Leistungsfähigkeit der keramischen Werkzeuge auf Wirtschaftlichkeit hin zu bewerten, wurden Vergleichsuntersuchungen mit Hartmetallwerkzeugen durchgeführt. Als Bearbeitungsaufgabe wurde das Nutfräsen mit einem Werkzeugdurchmesser von 4 mm gewählt. Es wurden handelsübliche beschichtete und unbeschichtete Hartmetallwerkzeuge mit den entwickelten Keramikwerkzeugen hinsichtlich Standweg und Zeitspanungsvolumen verglichen.
Prozessgestaltung für höhere Produktivität von Keramik-Fräsern entscheidend
Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass eine Produktivitätssteigerung um den Faktor acht erreichbar ist. Dabei ist die Anpassung der Prozessgestaltung entscheidend. Eine bloße Erhöhung der Schnittgeschwindigkeit führt nicht zum Erfolg. Die Untersuchungen zeigen auch, dass das Potenzial der keramischen Werkzeuge nicht ausgeschöpft ist.
Die hohe Prozesstemperatur erzeugt Aufschmierungen von abgetrenntem Material auf Werkzeug und Werkstück. Neben dem Werkstückwerkstoff und den Schnittparametern spielt auch der Schneidstoff dabei eine entscheidende Rolle. Prozessfenster zur Vermeidung von Aufschmierungen werden derzeit untersucht.
Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt ist der Einfluss der Schleifbearbeitung auf die Kantenqualität und Oberflächengüte der Werkzeuge. Zusätzlich dazu wurden die Werkzeuge durch Strömungsschleifen verrundet und geglättet. Eine gezielte Einstellung der Schneidkanten und Oberflächentopographie ist damit möglich. Im weiteren Projektverlauf wird neben der Weiterentwicklung der Geometrien und Optimierung der Werkzeugherstellung vor allem der Werkzeugeinsatz in den Vordergrund rücken.
Prof. Dr.-Ing. Dr. h. c. Eckart Uhlmann ist Leiter des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) in Berlin; Dipl.-Ing. (FH) Manuel Wacinski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut.
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