Supraleiter mit schiefer Optik
Wissenschafter der TU Wien haben weltweit erstmalig ein magnetisches Material gefunden, das aufgrund seiner symmetrischen Eigenschaften eigentlich nicht supraleitend sein dürfte, es aber trotzdem ist.
Einfache Metalle wie Aluminium, Zinn oder Materialien mit vielen elementaren Bestandteilen wie Quecksilber, Barium, Kupfer und Sauerstoff haben eines gemeinsam – sie alle sind Supraleiter. Abgesehen davon, dass Supraleiter in Zukunft noch vielseitiger einsetzbar werden als bisher – von der Material-Analyse bis hin zur Aufspürung von Herzfehlern – ist Supraleitung ein komplexes Quantenphänomen, bei dem Symmetrien eine zentrale Rolle spielen.
Wissenschafter der TU Wien rücken dieses Phänomen jetzt zurecht und verleihen ihr stark vereinfacht formuliert „eine schiefe Optik“. Sie haben weltweit erstmalig ein magnetisches Material gefunden, das aufgrund seiner symmetrischen Eigenschaften eigentlich nicht supraleitend sein dürfte, es aber trotzdem ist. Die weitreichenden Folgen: das gegenwärtige Verständnis des Phänomens Supraleitung muss neu überdacht werden und die Materialentwicklung könnte neue Wege gehen.
Supraleiter in der Praxis – vielseitig und bedeutend
Supraleiter werden schon jetzt vielseitig eingesetzt. Sei es, um sensible Materialteile zu prüfen, wie z. B. die Flugzeugaußenhaut oder deren Nietverbindungen, Erzadern oder Ölvorkommen aufzuspüren, die für herkömmliche Sensoren unsichtbar bleiben würden. Auch lassen sich damit Herzmagnetfelder messen, um detailliertere Informationen zu gewinnen, als man sie mit üblichen Elektrokardiogrammen erhalten könnte. Es lässt sich z.B. aus solchen Magnetokardiographien eine Störung der Herzfunktion feststellen und genau eingrenzen. Ebenso kann die fokale Epilepsie eruiert werden, da diese Schädigung des Gehirns magnetische Signale erzeugt.
Jede neue Erkenntnis im Supraleitungspuzzle kann daher gezielt – vielleicht sogar lebensrettend – zur Fortentwicklung grundlegender und auch anwendungsorientierter Aspekte dieser Technologie eingesetzt werden. Das Phänomen des verschwindenden elektrischen Widerstandes in Supraleitern impliziert verlustlosen Stromtransport, der im Labormaßstab und auch in einigen Feldversuchen in Hochspannungsnetzen bereits erprobt wurde. Hier könnten große Energiesparpotentiale realisiert werden.
Zukunftsmusik ist allerdings noch die Realisierung supraleitender Quantencomputer, deren Leistungsfähigkeit heutige Supercomputer weit in den Schatten stellen wird.
…. und es leitet doch!
Supraleitung ist sozusagen Entartung pur. Während die Supraleitung davon „lebt“, dass die so genannte Eichsymmetrie verletzt ist, sonst wäre das Material nicht supraleitend, ist man bisher davon ausgegangen, dass hingegen räumliche Symmetrie vorhanden sein muss, um bestimmte supraleitende Zustände zu ermöglichen.
Eine Forschergruppe rund um Ernst Bauer vom Institut für Festkörperphysik der Technischen Universität Wien hat weltweit erstmalig eine Materialverbindung aus Cer, Platin und Silizium gefunden (CePt3Si), für die die räumliche Symmetrie nicht besteht, das aber trotzdem supraleitend wird. Die Forscher haben somit das erste Beispiel eines magnetischen Supraleiters gefunden, der kein Inversionszentrum besitzt, was einer Verletzung der räumlichen Symmetrie gleichkommt – siehe Abb. 1.
Die Entdeckung ist derart bedeutend, dass sowohl Physical Review Letters (vol. 92, 2004, p. 027003) als auch NATURE (news and views, vol. 427, (2004) p. 799) darüber berichtet haben. Kein Wunder, denkt man an die Möglichkeiten, die sich durch diese Entdeckung im Bereich der Grundlagenforschung aber auch in spezifischen Anwendungen eröffnen.
Des Forschers Motivation, sich mit Supraleitung zu beschäftigen
Ernst Bauer beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Erforschung der Grundzustandseigenschaften von Cer-Verbindungen. Hierbei treten starke Elektronenkorrelationen auf, die unter anderem praktischen Einfluss auf die Messtechnik haben (Stichwort Temperaturmessung). Wesentlicher an diesem Phänomen ist aber die Möglichkeit der Umwandlung von Energie – z. B. von „Abfallwärme“ – in Elektrizität, oder umgekehrt, die Umwandlung elektrischer Energie in Kälte. Gelingt es, solche Materialien weiter zu verbessern, kann die Effizienz der eingesetzten Energie substantiell gesteigert werden. Ein Beispiel gefällig? Die Motorabwärme von Fahrzeugen könnte über solche thermoelektrischen Effekte zur Erzeugung von Elektrizität verwendet werden.
Es gibt trotz weltweit intensiver Forschung im Bereich korrelierter Elektronensysteme (etwa 20 Jahre) bisher nur 4 Cer-Systeme die bei Normalbedingungen supraleitend werden. Eines davon hat Ernst Bauer in Wien gefunden. Er beschreibt seinen Forschungstrieb zur Supraleitung so: „Es ist der Traum jedes Festkörperphysikers dieser Community, solch ein System zu finden. Dieses bei der wichtigsten jährlichen internationalen (SCES) – The International Conference of Strongly Correlated Electron Systems – zu präsentieren, stellt eine besondere Ehre dar. Die SCES05 findet übrigens an der TU Wien statt.“
Bei seiner Forschungsambition hat Ernst Bauer von der TU Wien mit Kollegen seines Institutes sowie mit Chemikern und Physikern der Universitäten Wien (P. Rogl), Moskau (A. Gribanov) und Augsburg (E.W. Scheidt), sowie der ETH Zürich (M. Sigrist) zusammengearbeitet.
Wie funktioniert räumlich asymmetrische Supraleitung?
Cooperpaare haben keinen Gesamtimpuls (= Masse mal Geschwindigkeit). Dies bedeutet, dass nur 2 Elektronen mit gleichem Impuls aber entgegengesetzter Richtung Paare bilden können, was für entartete Zustände natürlich zutrifft. Elektronen besitzen neben ihrer Masse und einer negativen Ladung (= Elementarladung) eine weitere fundamentale Eigenschaft, den so genannten Spin. Das Pauliprinzip für Elektronen verlangt nun, dass die Gesamtwellenfunktion (die mathematische Beschreibung der Elektronenzustände) der Cooperpaare bei Vertauschung von 2 Elektronen antisymmetrisch ist.
In einfachen Supraleitern wie Aluminium kann die Cooperpaar-Wellenfunktion aufgeteilt werden in einen Anteil, der nur von räumlichen Koordinaten abhängig ist und in einen anderen, der nur vom Spin abhängt. Für Kristalle mit Inversionssymmetrie gilt daher: Ist der räumliche Teil der Wellenfunktion symmetrisch oder antisymmetrisch, so muss der Spinanteil sich gerade entgegengesetzt verhalten: er muss für den ersten Fall antisymmetrisch sein (die so genannte Spin-Singlett Paarung) und für den zweiten symmetrisch (Spin-Triplett Paarung). Da CePt3Si nicht inversionssymmetrisch ist, kann der Ortsteil weder als symmetrisch noch als antisymmetrisch beschrieben werden, das gleiche gilt für den Spinanteil. Bleibt die Gesamtwellenfunktion antisymmetrisch, müssen die Cooperpaare als Mischung von Spin-Singlet und Spin-Triplett Zuständen angesehen werden.
Eine Möglichkeit, die Spinkonfiguration eines solchen paritätsverletzenden Supraleiters zu beschreiben, ist in der Abbildung 2 gezeigt: Im Gegensatz zu einfachen Supraleitern (oberer Teil, a), in dem die Spinanordnung über die gesamte Fläche im Phasenraum gleich ist, rotiert sie für Supraleiter ohne Inversionszentrum (unterer Teil, b). Die konkreten Auswirkungen eines solchen Zustandes sind noch im Wesentlichen unverstanden.
Während Cooperpaare in konventionellen Supraleitern von den Leitungselektronen gebildet werden – das sind jene Elektronen die die Eigenschaften eines Metalls wesentlich bestimmen und deren Masse gerade der Standardmasse des Elektrons entspricht – werden in CePt3Si Cooperpaare aus „schweren Elektronen“ gebildet, die eine etwa 100 bis 200-fache Elektronenmasse besitzen. Dies führt unter anderem zu einer „Magnetfeldverträglichkeit“, die 10 bis 100 mal größer ist (bei vergleichbarer Sprungtemperatur) als jene in Standardsupraleitern, die schon heute in vielen technischen Anwendungen eingesetzt werden.
Von einem grundlegenden Verständnis solcher neuartiger Supraleiter kann auch umfassende Einsicht in wesentliche Mechanismen der sogenannten Hochtemperatursupraleiter erwartet werden. Insbesondere gilt dies für die Frage, welche attraktive Wechselwirkung die Paarung der Elektronen bewirkt. Cooperpaarbildung erfolgt in klassischen Supraleitern (z.B. Aluminium) mit Hilfe der Gitterschwingungen des Kristalls. Dagegen werden Cooperpaare in CePt3Si höchstwahrscheinlich durch magnetische Fluktuationen bewirkt, die auch eine wesentliche Rolle für Hochtemperatursupraleiter spielen.
Was ist ein Supraleiter?
Ein Supraleiter ist ein Material, das unterhalb einer charakteristischen Temperatur (= Sprungtemperatur) den elektrischen Strom verlustfrei leitet, d.h., der elektrische Widerstand ist Null. Ein Supraleiter zeichnet sich des weiteren dadurch aus, dass er bei Abkühlung unterhalb dieser charakteristischen Temperatur ein Magnetfeld aus seinem Inneren verdrängt; er wird ein idealer Diamagnet.
Supraleitung wird durch Paarbildung von Elektronen (Cooper-Paare) bewirkt. Während in normalen Metallen der elektrische Widerstand durch Wechselwirkungen der Elektronen mit Gitterfehlern des Kristallgitters sowie Gitterschwingungen entsteht, wird durch die Kopplung der Elektronen zu Cooper-Paaren im Supraleiter die Energieabgabe an das Kristallgitter unterdrückt und so der widerstandslose elektrische Stromfluss ermöglicht.
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