Neue Materialien: Von Spinnenseide bis Miesmuschelkleber
Innovative Werkstoffe verleihen immer mehr Produkten Eigenschaften, die man bislang nicht für möglich hielt. Auf der „Research & Technology“ während der HANNOVER MESSE 2005 vom 11. bis 15. April wird in Halle 2 eine ganze Reihe dieser neuen Hightech-Materialien zu sehen sein. Den Besuchern kommt dabei die Nähe zu den anderen Leitmessen zugute, denn in nächster Nachbarschaft zeigen auch andere Werkstoff-Experten auf der „SurfaceTechnology mit Powder Coating Europe“ und der „Subcontracting“ ihre Neuentwicklungen – sie bieten einen umfassenden Überblick von der kugelsicheren Keramik bis zum Unterwasserkleber.
Spinnenfäden sind ein wahres Wunder – sie sind leicht, dünn und dennoch enorm stabil. Selbst ein Käfer, der in vollem Flug ins Spinnennetz brummt, kann das filigrane Kunstwerk nicht zerreißen. Die Zugfestigkeit von Spinnenseide ist so groß wie die der synthetischen Faser Kevlar. Zugleich ist sie aber superelastisch – je nach Seidentyp bis zu 100 Mal dehnbarer als die bekannte Chemiefaser. Kein Wunder also, dass Wissenschaftler und Chemieunternehmen seit Jahrzehnten versucht haben, den Naturstoff Spinnenseide nachzubauen. Ein Produkt von ähnlicher Qualität wie die natürliche Spinnenseide, das sich zudem wirtschaftlich herstellen lässt, ließ bislang auf sich warten. Der Durchbruch glückte unlängst Wissenschaftlern von der Technischen Universität München. Das für die Produktion von Spinnenseide-Eiweißen wichtigste Gen wurde identifiziert und Bakterien eingepflanzt. Zukünftig könnte Spinnenseide wie Insulin oder andere medizinische Wirkstoffe in großen Bioreaktoren erzeugt werden. Ihre bahnbrechende Arbeit stellen die Forscher in der „Research & Technology“ auf dem Gemeinschaftsstand der Bayerischen Hochschulen „Bayern Innovativ“ vor (Halle 2, Stand A 54).
Für den Erfinder der künstlichen Spinnenseide, Dr. Thomas Scheibel von der TU München, Lehrstuhl für Biotechnologie, ist die „Research & Technology“ das richtige Umfeld, um Kooperationspartner zu finden. Die Spinnenseide lässt sich je nach Anwendung hauchfein zu nano- oder mikrometerdünnen Fäden spinnen. „Neben Anwendungen in der Medizintechnik, etwa als Nahtmaterial, kann man Spinnenseide auch in Spezialseilen und Netzen sowie als Verstärkung in Papier, Textil- oder Baustoffen verwenden“, so Scheibel. Fallschirme, kugelsichere Westen oder aber auch Leichtbaukomponenten bei Automobilen und Flugzeugen könnten Anwendungsgebiete für Spinnenseiden darstellen, da sich Spinnenseiden problemlos mit anderen Materialien wie zum Beispiel Plastik und Metallen verknüpfen lassen und so deren Eigenschaften verbessern können. Faszinierend ist, dass gedehnte Spinnenseide nach und nach ihre ursprüngliche Form annimmt. Der Grund liegt in den Proteinen. Diese Eiweiße sind über Millionen kleiner chemischer Verbindungen, so genannte Wasserstoffbrücken, verbunden. Bei Belastung löst sich nur ein Teil der Bindungen. Das Material dehnt sich, reißt aber nicht. Anschließend reorganisiert sich der Proteinverbund wieder. „Es wäre doch wunderbar, wenn sich eine Delle in einem Spinnenseiden-Kotflügel nach einem Unfall von allein wieder ausbeult“, ergänzt Scheibel.
Die Leistung Scheibels besteht darin, das wichtigste Gen zur Produktion der Seide identifiziert zu haben. Zudem kam er auf die Idee, diesen Erbgutabschnitt zunächst in Schmetterlingszellen zu transferieren. Immerhin sind diese mit Spinnen eng verwandt. Die Schmetterlingszellen produzierten das gewünschte Eiweiß. Schließlich übertrug Scheibel das Gen in Bakterien-Zellen. Scheibel extrahierte das entstehende Protein und zeigte, dass es unter bestimmten chemischen Bedingungen verklumpt. Aus einem solchen Klumpen ließen sich tatsächlich feine Seidenfäden ziehen. Inzwischen sind die Forscher durch leichte Veränderung des Gen-Abschnitts in der Lage, bestimmte Eigenschaften der Seide exakt einzustellen. Selbst zähflüssige Gele lassen sich so erzeugen. Die könnten in Zukunft als Medikamentendepot in den menschlichen Körper gepflanzt werden. So ließen sich gezielt Wirkstoffe am Krankheitsherd platzieren.
Auch Dr. Klaus Rischka vom Bremer Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM) greift bei seiner Forschung auf natürliche Vorlagen zurück. In Nachbarschaft der „Research & Technology“ stellt er auf der „SurfaceTechnology mit Powder Coating Europe“ (Halle 6, Stand D10) seine Arbeiten zur Entwicklung eines Klebstoffs nach Miesmuschel- und Seepockenvorbild vor. Diese Meeresorganismen heften sich mit einem sehr wirksamen Kleber an Steine oder Hölzer, um nicht von der Strömung davongetragen zu werden. Diese Biohaftsubstanz klebt auch unter Wasser. Sie ist in der Lage, Wassermoleküle zu verdrängen, sodass ein Verschmelzen mit dem Untergrund möglich ist. Das Miesmuscheleiweiß „Mefp-1“ ist bereits bekannt, seine Herstellung ist jedoch teuer. Immerhin setzt sich dieses Riesenmolekül aus rund 1 000 Baueinheiten zusammen. Zwar gibt es Syntheseautomaten, die solche Moleküle zusammenbauen können, dennoch macht die Größe des „Mefp-1“ die Sache teuer. Rischkas Ziel ist es deshalb, kleinere Einheiten aus nur etwa zehn Bausteinen zu bauen, die eine ähnliche Klebewirkung wie der Protein-Komplex haben. Rischka: „Die lassen sich dann mit klassischen Polymeren wie etwa Epoxiden zu Klebstoffen mischen.“ Das reduziert die Menge des teuren Proteins deutlich, erhält aber dessen Wirkung. Dieses Konzept wird im Labormaßstab bereits evaluiert. „Bis wir damit Schwimmbadkacheln unter Wasser kleben können, ist es noch ein weiter Weg. Klebstoffe für feuchte Umgebungen aber dürften wir schon recht bald finden.“ Der Forscher denkt dabei unter anderem an medizinische Anwendungen, etwa das Verkleben von Blutgefäßen. Der Vorteil: Der Biokleber wäre biologisch abbaubar.
Einen klassischen Werkstoff ganz anderer Art – eine Keramik – präsentieren Forscher vom Dresdener Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Sinterwerkstoffe (IKTS) zusammen mit sechs Fraunhofer-Instituten des Themenverbundes Hochleistungskeramik und 23 Industrieunternehmen in Nachbarschaft zur „Research & Technology“ im „Treffpunkt-Keramik“ der TASK GmbH in Halle 5 („Subcontracting“, Stand F44-G44).
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