Japanische Politur enthüllt Geheimnisse europäischer Schwertschmiedekunst
Stimmt das oder handelt es sich vielmehr um eine Fehleinschätzung, einen Mythos? Antworten auf diese und andere Fragen rund um die europäische und japanische Schwertschmiedekunst gab der Archäologe Stefan Mäder an einem Vortrag in der Empa.
Die japanische Schwertschmiedekunst ist so berühmt wie die Samurai. Der Mythos um den wehrhaften Kriegeradel hat dazu beigetragen, dass japanische Klingen als die besten weltweit gelten. Dabei fehlt der Vergleich. Denn über den Originalzustand frühgeschichtlicher Klingen aus Europa ist wenig bekannt. „Schwerter aus archäologischen Ausgrabungen sind meist nur noch Rostruinen“, sagt der Schwertforscher – und Kendo-Kämpfer – Stefan Mäder.
Die rostigen Klingen liessen kaum mehr Rückschlüsse auf Materialeigenschaften und Fertigungstechnik der Schwerter zu, so der Experte. Mäder untersucht seit mehr als zehn Jahren technologische und kulturelle Aspekte der Schwertherstellung in Europa und Japan. Er ist Lehrbeauftragter an der Kokugakuin Universität in Tokio. Nun folgte er einer Einladung des Zentrums für Kulturgüteranalytik an die Empa in Dübendorf.
Kantei – eine japanische Methode zur Begutachtung von Schwertern
„In der westlichen Archäologie wurden Politur und Schleiftechnik bislang kaum beachtet,“ sagt Mäder. Ganz anders in Japan: Dort hat sich über Jahrhunderte eine Methode der Schwertbegutachtung entwickelt, die „Kantei“ genannt wird. Sie beruht auf dem Schleifen und Polieren der Klinge, wobei Schleifsteine mit immer feinerer Körnung und ein basisches Wasserbad verwendet werden. Nach und nach gibt die Klingenoberfläche Informationen über Materialeigenschaften und Herstellung preis. Japanische Schwertexperten können aus der Schmiedetextur und den so genannten Härtelinien ablesen, aus welcher Epoche eine Klinge stammt und in welcher Schmiedeschule, ja sogar von welchem Schmied, sie gefertigt wurde. Kantei liefert allerdings keine schnellen Antworten. Die gesamte Oberfläche einer Klinge zu bearbeiten, dauert zwei bis drei Wochen. Auch erfordert die Methode Fingerspitzengefühl. „Beim Polieren erkennt man die Feinheiten einer Schwertklinge“, sagt Mäder. Für europäische Schwerter sei die Zuordnung zu Werkstattkreisen durch Begutachtung der Klingenoberfläche bisher undenkbar. „Doch auch bei uns könnte ähnlich wie in Japan ein System zur Klassifizierung der Schwerter aufgebaut werden.“
Die Kantei-Methode ist ein Vorgänger der modernen Metallographie. Sie ist neuzeitlichen Tests aber darin überlegen, dass die gesamte Oberfläche untersucht wird. Hingegen schneiden europäische Metallographen häufig nur kleine Proben aus einem Schwert. Trotzdem reicht Kantei allein zur Aufklärung der Herkunft europäischer Schwerter nicht aus, da über deren Hersteller kaum etwas bekannt ist. Um diese Lücke zu füllen, könnte die Kantei-Methode durch moderne Analysen ergänzt werden. An der Empa werden seit den 1980er Jahren metallographische Untersuchungen durchgeführt. Hier wurde beispielsweise das älteste Schwert Europas auf seine Eisenzusammensetzung untersucht. Es stammt aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. und wurde in einem Brandgrab in Singen gefunden. „Wir vergleichen die chemische Zusammensetzung des Eisens im Schwert mit verschiedenen Eisenlagerstätten“, sagt Marianne Senn, Archäometallurgie-Expertin der Empa und Leiterin des Zentrums für Kulturgüteranalytik. „So können wir das Eisen, das zum Schmieden eines Schwertes verwendet wurde, einem bestimmten Herkunftsgebiet zuordnen. Die geographische Zuordnung erleichtert es, mit der Kantei-Methode Werkstattkreise für europäische Schwertklingen zu definieren.“
Skepsis auf europäischer Seite
Stefan Mäder erlernte von dem japanischen Schwertpolierer Sasaki Takushi 1996 die Kantei-Methode; dann kehrte er nach Deutschland zurück, um ein Projekt zur Untersuchung von Klingenoberflächen europäischer Schwerter zu starten. Die anfangs zögernden Geldgeber überzeugte er mit dem Argument, dass Schwerter Zeugnisse des Kunsthandwerks und der technologischen Entwicklung seien: „Schwertklingen haben zu jeder Zeit den Höchststand in der Eisen- und Stahltechnologie dargestellt.“
Schwieriger war es, alte Schwertklingen zu bekommen. Archäologen und Restauratoren wollten ihre Schätze nicht hergeben, da sie glaubten, die Kantei-Methode würde die Klinge zu stark angreifen. Doch auch hier konnte Mäder beruhigen. „Beim Schleifen und Polieren nach japanischem Vorbild wird weniger als ein halber Millimeter korrodiertes Material von der Oberfläche abgetragen“, sagt er. Und er hatte noch ein weiteres Argument für die Kantei-Methode: „Es gibt wohl kaum andere archäologische Fundstücke, die dafür gemacht wurden, so oft nachgeschliffen zu werden wie eine Klinge“. Schliesslich erhielt er vom Archäologischen Nationalmuseum in Stuttgart drei alemannische Schwertklingen aus dem 6.bis 8. Jahrhundert n. Chr., die er nach Japan mitnahm.
Neuer Glanz auf alten Klingen
Von der Textur und Härtung der alemannischen Schwerter war Mäder jedenfalls begeistert: „Die Klingen zeigen einen komplexen Aufbau, der von höchster Handfertigkeit zeugt“. Die Schmiede von einst hätten verschiedene Stahlqualitäten in einer Klinge vereinigt und mehrstufig gehärtet, wodurch kunstfertige Muster entstanden seien.
Am meisten überrascht war der Forscher von einer römischen Spatha aus dem 4. Jahrhundert n. Chr., dem bislang ältesten Untersuchungsobjekt aus Europa. Das Schwert ist aus feinst raffiniertem Eisen aufgebaut. Raffinieren bedeutet, aus dem Eisen die Schlacke, Holzkohle und Gase zu entfernen. Das Eisen wird dabei umgefaltet – in eine Vielzahl von Lagen. Je besser raffiniert wurde, umso mehr Lagen weist das Eisen auf. Seine Analyse lieferte dem Schwertforscher einen unerwarteten Triumph. „Das frühgeschichtliche Europa war bezüglich der Schwertschmiedekunst keineswegs hinterwäldlerisch“, sagt Mäder. „Es stimmt also nicht, dass unsere Schwerter aus schlecht raffiniertem Eisen bestehen. Ohne Kantei-Politur war einfach nicht erkennbar, dass europäische Schwerter weit mehr als nur ein Dutzend Lagen besitzen“. Aus wie vielen Lagen japanische und europäische Schwerter nun aber genau geschmiedet wurden, will Mäder in Zusammenarbeit mit der Empa klären.
Autorin:
Daniela Wenger, Abteilung Analytische Chemie, daniela.wenger@empa.ch
Weitere Informationen:
Dr. Marianne Senn, Zentrum für Kulturgüteranalytik, Tel. +41 44 823 4131, marianne.senn@empa.ch
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