„Gummimetalle“ ebnen den Weg für neue Anwendungen
Ein Metall das sich Kaugummi-artig verbiegen lässt und somit den Weg für neue industrielle Anwendungen zum Beispiel in der Luftfahrt eröffnet. Solche „Gummimetalle“ existieren, doch war der Mechanismus hinter diesem einzigartigen Verhalten bisher ungeklärt.
Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Eisenforschung (MPIE) in Düsseldorf haben einen neuen Phasenübergang in einer Titanlegierung beobachtet, der genau dieses Verhalten erklären könnte. Dabei ist eine Phase eine Kristallstruktur, in der die Atome in einem Metall angeordnet sind.
Die Materialwissenschaftler vom MPIE untersuchten mittels Röntgenlicht die innere Struktur einer speziellen Materialkombination aus Titan, Niob, Tantal und Zirconium. Diese Titanlegierung zeigt bei mechanischen Belastungen ein interessantes Verhalten: „Bei Verformung wird sie nicht, wie sonst bei Metallen üblich, härter oder bricht, sondern verbiegt sich fast schon honigartig. Wissenschaftlich ausgedrückt hat sie eine sehr niedrige elastische Steifigkeit und eine hohe plastische Formbarkeit“, erklärt Dierk Raabe, Direktor am MPIE.
Das macht die Legierung attraktiv für verschiedene industrielle Anwendungen. In der Luftfahrt beispielsweise kann sie als eine Art Crashabsorber verwendet werden. „Wenn eine Flugzeugturbine durch Hagel- oder Vogelschlag beschädigt wird, besteht die Gefahr, dass einzelne Bauteile zersplittern und in der Folge auch den Flugzeugrumpf beschädigen könnten. Wenn Teile der Schutzhülle einer Turbine beispielsweise aus einem solchen ,gum metal‘ bestehen würden, könnten sie umherfliegende Splitter abfangen, da sie durch die Belastung nicht zerstört werden, sondern sich nur verformen“, sagt Raabe
Die Forscher haben mit verschiedenen Untersuchungsmethoden wie Röntgenstrahlung, Transmissionselektronenmikroskopie und Atomsondentomographie die Besonderheiten in der Nanostruktur zeigen können. Titanlegierungen kommen normalerweise in zwei verschiedenen Phasen vor. Bei Raumtemperatur sind die Atome meist in der sogenannten Alpha-Phase angeordnet, bei hohen Temperaturen in der Beta-Phase. Je nach Phase zeigen die Metalle unterschiedliche Eigenschaften. Die Gummimetalle bestehen vor allem aus der Beta-Phase, die in diesen Legierungen auch bei Raumtemperatur stabil ist.
Mittels Röntgenstrahlung im Teilchenbeschleuniger DESY konnten die Wissenschaftler die Kristallstruktur der Legierung während des Übergangs genau untersuchen. „Wenn man eine Probe mit Röntgenstrahlung beschießt, wird die Strahlung durch das Kristallgitter abgelenkt. Dadurch ergibt sich ein bestimmtes Muster, ein sogenanntes Diffraktogramm, aus dem wir dann ableiten können, wie die Atome positioniert sind, also welche Kristallstruktur sie einnehmen“, erklärt DESY-Forscherin Ann-Christin Dippel, die die Untersuchungen mit Röntgenstrahlung an der DESY-Messstation betreut hat.
Die Forscher des MPIE haben so einen neuen Mechanismus beim Phasenübergang entdeckt. Das Team um den Ingenieur Jian Zhang vom MPIE hat eine neue Struktur beobachtet, die bei der Transformation von Beta- zu Alpha-Phase entsteht: die Omega-Phase. Wenn die Beta-Phase von einer hohen Temperatur schnell abgekühlt wird, ändert ein Teil der Atome die Position und geht in die energetisch günstigere Alpha-Phase über. Durch die Bewegung der Atome entsteht eine mechanische Spannung an der Phasengrenze, die verschiedenen Phasen zerren sozusagen aneinander. Wenn diese Spannung einen kritischen Wert übersteigt, entsteht eine neue Anordnung, genannt Omega-Phase.
„Diese neu entdeckte Struktur entsteht nur durch die Scherspannung, die beim Phasenübergang aufgebaut wird, und erleichtert die Umwandlung von Alpha- zu Beta-Phase. Sie kann nur zwischen zwei anderen Phasen bestehen, da sie durch diese stabilisiert wird“, berichtet Raabe. Wenn die Spannung durch die neue Schicht wieder unter den kritischen Wert fällt, entsteht aufs Neue eine Schicht Alpha-Phase, an die sich dann wieder eine Omega-Phase anschließt.
So entsteht eine Mikrostruktur aus vielen, zum Teil atomar schmalen Schichten mit jeweils anderer Struktur. Der Übergang findet auch bei statischen Belastungen statt und ist vollständig umkehrbar. Die Forscher hoffen jetzt, dass die neu entdeckte Struktur dabei helfen könnte, die Eigenschaften des Werkstoffs noch genauer zu verstehen und später neue, verbesserte Varianten der Titanlegierung zu entwickeln.
Das Team um Hauptautor Jian Zhang vom MPIE stellt seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ vor. An der Arbeit waren auch die Xi'an-Jiaotong-Universität in China sowie das Massachusetts Institute of Technology in den USA beteiligt.
Originalpublikation:
J. Zhang, C.C. Tasan, M.J. Lai, A-C. Dippel, D. Raabe: Complexion-mediated martensitic phase transformation in Titanium. Nature Communications, 8, 2017; DOI: 10.1038/ncomms14210
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