Metalle ohne Fehler wären unbrauchbar
Egal ob Zahnrad, Walzlager oder Hüftgelenk: Verschleiß lässt sich nicht vermeiden. Überall, wo Materialien in direkten Kontakt geraten, wo Druck und Reibung auftritt, kommt es irgendwann zum Materialversagen: Kleine Risse können unter bestimmten Bedingungen wachsen, vielleicht bricht dann ein Zahn aus einem Zahnrad heraus und muss ausgetauscht werden.
Die Tribologie, die Wissenschaft von Reibung und Verschleiß, analysiert solche Vorgänge seit vielen Jahrzehnten. „Es gibt viele alte Erfahrungswerte, die uns bis heute helfen, Materialverschleiß sinnvoll vorherzusagen“, sagt Prof. Carsten Gachot vom Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung der TU Wien.
„Aber diese empirischen Gesetze reichen nicht aus. Wir müssen verstehen, was bei Reibung und Verschleiß auf mikroskopischer Ebene geschieht. Erst dann können wir beispielsweise sagen, welche Metalle oder Legierungen bei welchem Einsatzzweck möglichst lange haltbar sein werden.“
Carsten Gachot und seinem Mitarbeiter aus der von ihm geleiteten Tribologie-Forschungsgruppe, Dr. Stefan Eder, gelingt es, mit Hilfe von Computersimulationen, wichtige Details von Verschleiß-Effekten zu erklären. Dabei zeigt sich auch: Nicht jeder Fehler ist unerwünscht. Im Gegenteil. Viele Unregelmäßigkeiten, die man als „Materialfehler“ bezeichnet, sind sogar unverzichtbar und verbessern die Eigenschaften des Materials ganz enorm.
Kein Material ist perfekt
„Wenn in Lehrbüchern ein Metall auf atomarer Skala dargestellt wird, dann sieht man meistens perfekt regelmäßig angeordnete Atome, eines neben dem anderen“, sagt Carsten Gachot. „Die Wirklichkeit sieht aber völlig anders aus.“ Überall gibt es winzige Fehler, manchmal fehlt ein Atom, oder ganze Atomebenen verschieben sich stellenweise gegeneinander. Wenn die Oberfläche belastet wird, dann wird die Kornstruktur des Materials je nach Last und Ausgangsmikrostruktur feiner und erduldet damit die äußere Belastung besser.
Lange Zeit hatte man nur die Möglichkeit, Werkstoffe auf makroskopischer Ebene zu überprüfen – etwa indem man versuchte, den charakteristischen Zusammenhang zwischen Belastung und Verformung zu messen: Kleine Belastungen verformen das Werkstück geringfügig, eine doppelt so große Belastung verformt es ungefähr doppelt so stark.
Bei stärkeren Belastungen ist dieser Zusammenhang nicht mehr ganz linear, und irgendwann gelangt man in einen Bereich, in dem die Verformung bestehen bleibt, auch wenn keine belastende Kraft mehr einwirkt. Wenn man die Belastungsrichtung umdreht, dann „erinnert“ sich das Material in gewissem Sinn wieder an seine ursprüngliche Mikrostruktur und stellt diesen Zustand wieder her.
„Wir können solche Dinge nun aber am Computer berechnen und für makroskopische Effekte, die längst bekannt sind, völlig neue mikroskopische Erklärungen finden“, sagt Carsten Gachot. „Das gelingt uns mit Hilfe von Molekulardynamik-Simulationen auf atomarer Ebene, die mit heutigen Supercomputern durchführbar sind. Vor einigen Jahren waren die technischen Möglichkeiten dafür einfach noch nicht gegeben.“
Fehler sind gut!
Das Ziel von Carsten Gachots Forschung ist es nicht, Fehler im Material möglichst vollständig zu beseitigen. Im Gegenteil: „Viele wichtige Eigenschaften von Materialien kommen erst durch diese vermeintlichen Fehler zustande“, erklärt Gachot. „Wenn wir in ein Flugzeug steigen, wünschen wir uns, dass die Flugzeughülle nicht spröde und zerbrechlich, sondern biegsam und elastisch ist.“ Genau das wird aber erst durch mikroskopische Unregelmäßigkeiten auf atomarer Skala ermöglicht: Wenn Fehler im Metall eingebaut sind, können diese Fehler wandern, das Material kann sich verformen, und dadurch kann es auf äußeren Druck reagieren, ohne gleich zu versagen. Ein Metall ganz ohne Fehler wäre unbrauchbar.
Auch wenn zwei Materialien aneinander reiben spielen Materialfehler eine wichtige Rolle: Carsten Gachots Team untersucht am Computer, welche Effekte dabei auftreten – und die Ergebnisse passen ausgezeichnet zu experimentellen Befunden, die oft ebenfalls an der TU Wien durchgeführt werden. „Experimente bleiben unverzichtbar, aber am Computer haben wir mehr Freiheiten“, sagt Gachot. „Da können wir die Eigenschaften des Materials ganz frei wählen – eine Materialprobe mit genau diesen spezifischen Eigenschaften gezielt herzustellen, wäre oft kaum möglich.“
So kann das Tribologie-Team genau angeben, welche Materialparameter welche Verschleiß-Effekte mit sich bringen. Abhängig von der Art der Belastung, der Temperatur oder anderen Größen können unterschiedliche Metalllegierungen die beste Lösung sein. „Niemand kann im Experiment alle Varianten durchprobieren“, sagt Carsten Gachot. „Doch mit Computer-Unterstützung hat nun für die Tribologie ein ganz neues, spannendes Kapitel begonnen.“
Prof. Carsten Gachot
Institut für Konstruktionswissenschaften und Produktentwicklung
Technische Universität Wien
Getreidemarkt 9, 1060 Wien
T: +43-1-58801-30763
carsten.gachot@tuwien.ac.at
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Weitere Informationen:
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