Neue Rezeptur für Gleistragplatten

Späne von glasfaserverstärkten Kunststoffen. Aus solchen glasfaserverstärkten Kunststoffen bestehen zum Beispiel die Rotorblätter von Windkraftanlagen.
(c) TU Berlin / Kevin Fuchs

Mit einem Material aus recycelten Kunststoffen und alten Rotorblättern soll die betonlastige Eisenbahninfrastruktur in Deutschland modernisiert werden.

Sie unterhalten sich über Mischungen, Mischungsverhältnisse und Zusatzstoffe und es klingt, als seien Lasse Hansen und Jonathan Gerstel in einer Küche und redeten über die Zutaten für ein neues Gericht. Aber die Ingenieure stehen im Technikum, einer riesigen Versuchshalle der TU Berlin, an einer Spritzgussmaschine. Dort experimentieren sie mit recycelten Kunststoffabfällen, Quarzsand und Glasfaserresten von Rotorblättern ausrangierter Windräder. „Naja“, sagt Lasse Hansen und lacht, „in gewisser Weise tüfteln wir schon an einem Rezept. Nur ist es ein Rezept für Gleistragplatten aus recycelten Kunststoffen.“

Prüfstäbe zur Prüfung von Materialkennwerten verschiedener Materialmischungen, die aus recycelten Kunststoffen bestehen.
(c) TU Berlin / Kevin Fuchs

Diese Tragplatten, auf die die Bahngleise montiert werden, sollen die seit den 1970er-Jahren bei der Deutschen Bahn im Einsatz befindlichen Tragplatten aus Beton ersetzen. Ein Grund: Beton ist ein Klimakiller und schwer recyclebar. „Etwa acht Prozent des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes gehen auf das Konto der Betonproduktion“, sagt Lasse Hansen, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Bahnbetrieb und Infrastruktur der TU Berlin. Dabei galten die Beton-Gleistragplatten einst als Lösung für ein Problem, das mit den Hochgeschwindigkeiten aufgetreten ist: Den mit bis zu 330 Kilometern pro Stunde über die Gleise rasenden Zügen hält der Schotteroberbau nicht mehr dauerhaft stand. Messungen ergaben dann wiederum, dass Betonplatten lauter und durch eine höhere Steifigkeit reparaturanfälliger sind als der Schotteroberbau. Nur ein flächendeckendes Zurück zum Schotteroberbau ist vor allem wegen der Hochgeschwindigkeitszüge ausgeschlossen.

Kaum nachhaltige Wiederverwertung

Um die Nachteile der festen Fahrbahn aus Beton – CO2-intensiv, laut, reparaturanfällig – zu beheben, entwickelte Lasse Hansen die Idee, den Beton durch ein leistungsfähiges Material aus recycelten „Zutaten“ zu ersetzen, „zum Beispiel aus alten Rotorblättern von Windkraftanlagen und aus Plastikverpackungen. Vor allem die nach etwa 25 Jahren an ihr Lebensende kommenden Rotorblätter werden bislang kaum nachhaltig wiederverwertet“, sagt Jonathan Gerstel, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Polymerwerkstoffe und -technologien.

Aus der Idee wurde das Projekt „Feste Fahrbahn (FF) aus recycelten Kunststoffen als innovativer Oberbau der Eisenbahninfrastruktur“, an dem neben den TU-Fachgebieten von Lasse Hansen und Jonathan Gerstel auch die TU-Fachgebiete Strukturmechanik und Strukturberechnung, Schienenfahrzeuge, Technische Akustik sowie die Technische Universität Graz und die zwei Industriepartner „RECON-T“ und „NOVO-TECH“ beteiligt sind. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert.

Entwicklung eines Prototyps

Das Ziel der Wissenschaftler ist ambitioniert: „Wir wollen mit unseren Forschungen zum Einsatz von recycelten Materialien in der Bahninfrastruktur dazu beitragen, dass bei der Modernisierung der Bahninfrastruktur in Deutschland ein neues Denken einzieht – konsequent geleitet von den Prinzipien der Klima- und Umweltfreundlichkeit, der Ressourceneffizienz und Kreislaufwirtschaft.“, sagt Lasse Hansen. Im Klartext: Das Forschungsteam will einen Prototyp entwickeln, dessen Material – bestehend aus recycelten und neuen Anteilen – selbst wieder recyclebar sein soll und dabei alle sicherheitstechnischen Anforderungen erfüllt.

Kontakte:

Lasse Hansen
TU Berlin
Fachgebiet Bahnbetrieb und Infrastruktur
Tel.: +49 30 314-27 860
E-Mail: l.hansen@tu-berlin.de

Jonathan Gerstel
TU Berlin
Fachgebiet Polymerwerkstoffe und -technologien
Tel.: +49 30 314-70679
E-Mail: gerstel@tu-berlin.de

https://www.tu.berlin/news/pressemitteilung/neue-rezeptur-fuer-gleistragplatten

Media Contact

Stefanie Terp Stabsstelle Kommunikation, Events und Alumni
Technische Universität Berlin

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften

Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.

Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Ist der Abrieb von Offshore-Windfarmen schädlich für Miesmuscheln?

Rotorblätter von Offshore-Windparkanlagen unterliegen nach mehrjährigem Betrieb unter rauen Wetterbedingungen einer Degradation und Oberflächenerosion, was zu erheblichen Partikelemissionen in die Umwelt führt. Ein Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts hat jetzt…

Per Tierwohl-Tracker auf der Spur von Krankheiten und Katastrophen

DBU-Förderung für Münchner Startup Talos… Aus dem Verhalten der Tiere können Menschen vieles lernen – um diese Daten optimal auslesen zu können, hat das Münchner Startup Talos GmbH wenige Zentimeter…

Mit Wearables die Gesundheit immer im Blick

Wearables wie Smartwatches oder Sensorringe sind bereits fester Bestandteil unseres Alltags und beliebte Geschenke zu Weihnachten. Sie tracken unseren Puls, unsere Schrittzahl oder auch unseren Schlafrhythmus. Auf welche Weise können…