Vorsicht, Glatteis!
Wintersportarten wie Skifahren, Eisschnelllauf, Eiskunstlauf und Eisstockschießen erfordern die rutschigen Oberflächen von Eis und Schnee. Während die Tatsache, dass die Eisoberfläche rutschig ist, allgemein bekannt ist, ist sie bei weitem noch nicht vollständig verstanden.
Im Jahr 1886 bot John Joly, ein irischer Physiker, die erste wissenschaftliche Erklärung für die geringe Reibung auf Eis: Wenn ein Objekt – z. B. ein Schlittschuh – die Eisfläche berührt, ist der lokale Druck durch die Kufen so hoch, dass das Eis schmilzt, wodurch eine flüssige Wasserschicht erzeugt wird, die das Gleiten ermöglicht.
Der aktuelle Stand der Forschung ist jedoch, dass diese oberste Eisschicht nicht durch Druck, sondern durch Reibungswärme, die während des Gleitens erzeugt wird, geschmolzen wird.
Ein durch die beiden Brüder Prof. Daniel Bonn von der Universität Amsterdam und Prof. Mischa Bonn vom MPI-P geleitetes Forscherteam hat nun gezeigt, dass Reibung auf Eis komplexer ist als bisher angenommen.
Durch makroskopische Reibungsexperimente bei Temperaturen zwischen 0 °C und -100 °C konnten die Forscher zeigen, dass sich die Eisoberfläche bei typischen Wintersporttemperaturen von einer extrem rutschigen Oberfläche zu einer Oberfläche mit hoher Reibung bei -100 °C verwandelt.
Um den Ursprung dieser temperaturabhängigen Gleitfähigkeit zu untersuchen, führten die Forscher spektroskopische Messungen des Zustands von Wassermolekülen an der Oberfläche durch und verglichen diese mit theoretischen Berechnungen (Moleküldynamik-Simulationen).
Diese Kombination von Experiment und Theorie zeigt, dass zwei Arten von Wassermolekülen an der Eisoberfläche existieren: Wassermoleküle, die an das darunter liegende Eis gebunden sind (gebunden durch drei Wasserstoffbrückenbindungen) und mobile Wassermoleküle, die nur durch zwei Wasserstoffbrückenbindungen angebunden sind. Diese mobilen Wassermoleküle rollen wie kleine Kugeln über die Eisoberfläche. Hierbei werden sie von thermischen Schwingungen angetrieben.
Wenn die Temperatur steigt, werden die beiden Arten von Oberflächenmolekülen ineinander umgewandelt: Die Anzahl der mobilen Wassermoleküle erhöht sich mit zunehmender Temperatur, während die fixierten sich verringern. Bemerkenswerterweise stimmt diese Beweglichkeit mit der Temperaturabhängigkeit der gemessenen Reibungskraft perfekt überein:
Je größer die Beweglichkeit der Wassermoleküle an der Oberfläche, desto geringer die Reibung und umgekehrt. Die Forscher kommen daher zu dem Schluss, dass die hohe Mobilität der Oberflächenwassermoleküle für die Glätte von Eis verantwortlich ist, und nicht eine dünne Schicht flüssigen Wassers auf dem Eis.
Obwohl die Oberflächenmobilität bis zu einer Temperatur von 0 °C weiter ansteigt, ist 0 °C nicht die ideale Temperatur für das Gleiten auf Eis. Die Experimente zeigen, dass die Reibung bei -7 °C tatsächlich am geringsten ist. Genau die gleiche Temperatur wird bei der Präparation von Eisschnelllaufbahnen verwendet. Die Forscher konnten zeigen, dass bei Temperaturen zwischen -7 °C und 0 °C das Gleiten schwieriger wird, da das Eis weicher ist und das Gleitobjekt somit tiefer in das Eis eindringt.
Die Ergebnisse sind im „Journal of Physical Chemistry Letters“ veröffentlicht.
Kontakt:
Prof. Mischa Bonn
Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Ackermannweg 10
D-55128 Mainz
eMail: bonn@mpip-mainz.mpg.de
Tel.: +49 (0)6131 379 161
Prof. Daniel Bonn
Postbus 94485
1090 GL Amsterdam
eMail: d.bonn@uva.nl
Tel.: +31 (0)205255887
Link zur Originalpublikation:
https://pubs.acs.org/doi/10.1021/acs.jpclett.8b01188
Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung:
https://www.mpip-mainz.mpg.de/5333971/PM2018-12
Media Contact
Alle Nachrichten aus der Kategorie: Materialwissenschaften
Die Materialwissenschaft bezeichnet eine Wissenschaft, die sich mit der Erforschung – d. h. der Entwicklung, der Herstellung und Verarbeitung – von Materialien und Werkstoffen beschäftigt. Biologische oder medizinische Facetten gewinnen in der modernen Ausrichtung zunehmend an Gewicht.
Der innovations report bietet Ihnen hierzu interessante Artikel über die Materialentwicklung und deren Anwendungen, sowie über die Struktur und Eigenschaften neuer Werkstoffe.
Neueste Beiträge
Die Roboterhand lernt zu fühlen
Fraunhofer IWS kombiniert Konzepte aus der Natur mit Sensorik und 3D-Druck. Damit Ernteroboter, U-Boot-Greifer und autonome Rover auf fernen Planeten künftig universeller einsetzbar und selbstständiger werden, bringen Forschende des Fraunhofer-Instituts…
Regenschutz für Rotorblätter
Kleine Tropfen, große Wirkung: Regen kann auf Dauer die Oberflächen von Rotorblättern beschädigen, die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen können sinken, vor allem auf See. Durch die Entwicklung innovativer Reparaturlösungen…
Materialforschung: Überraschung an der Korngrenze
Mithilfe modernster Mikroskopie- und Simulationstechniken konnte ein internationales Forschungsteam erstmals beobachten, wie gelöste Elemente neue Korngrenzphasen bilden. Mit modernsten Mikroskopie- und Simulationstechniken hat ein internationales Forscherteam systematisch beobachtet, wie Eisenatome…