Alzheimer: Zellulärer Mechanismus liefert Erklärungsmodell für den Abbau der Gedächtnisleistung
Bei Alzheimer kommt es zu Gedächtnisstörungen und Lernschwierigkeiten. Die Ursachen dafür sind bislang nur grob verstanden. Nun präsentieren Forscher des DZNE im Fachjournal „Neuron“ einen möglichen Mechanismus: Demnach werden durch den Verlust von Zellkontakten, die den Botenstoff Acetylcholin ausschütten, Nervenzellen in ihrer regulierenden Funktion beeinträchtigt.
Die betroffenen Interneurone wirken auf die Aktivität des Hippocampus – ein Hirnareal, das als Schaltzentrale des Gedächtnisses gilt. Die Studienergebnisse könnten den Weg bereiten für Medikamente, die alzheimertypische Gedächtnisstörungen besser als bisher behandeln.
Die Zellen des Gehirns sind zu einem Netzwerk verknüpft, über das unablässig Nervenimpulse zirkulieren. Unterschiedliche Hirnzellen müssen dafür in harmonischer Weise zusammenspielen. Denn während manche Hirnzellen Signale so weiterleiten, dass nachgeschaltete Zellen ebenfalls feuern, bremsen andere Zellen die Signalübertragung aus.
„Für gewöhnlich besteht eine fein austarierte Balance zwischen Erregung und Hemmung. Man vermutet, dass dieses Gleichgewicht bei Alzheimer aus dem Lot gerät“, sagt DZNE-Forscher Dr. Martin Fuhrmann. „Infolgedessen können Nervenzellen hyperaktiv werden. Dabei kommt es zu Entladungen, die epileptischen Zuständen ähneln. Der Hippocampus zählt zu den ersten Hirnregionen, die bei Alzheimer davon betroffen sind. Dort finden Lern- und Gedächtnisvorgänge statt.“
Inhibierende Zellen unter der Lupe
Für die aktuelle Studie untersuchten der Bonner Neurobiologe und seine Teamkollegen daher eine bestimmte Klasse von Nervenzellen – sogenannte O-LM Interneurone. Sie wirken regulierend auf andere Zellen des Hippocampus und sorgen dafür, die zelluläre Aktivität im Zaum zu halten. Diese hemmende Wirkung wird auch „Inhibition“ genannt.
Über die Rolle dieser Interneurone bei Alzheimer war bisher wenig bekannt. Die Forscher trainierten daher Mäuse – gesunde und solche, die alzheimertypische Symptome aufwiesen – darauf, eine bestimmte Umgebung wiederzuerkennen. Überdies untersuchten Fuhrmann und seine Kollegen, wie sich die Interneurone infolge der Lernaufgabe auf mikroskopischer Ebene veränderten.
Für gewöhnlich werden beim Lernen bestehende Verbindungen zwischen Nervenzellen angepasst und neue geknüpft. Solche Veränderungen beobachteten die Wissenschaftler auch an den Interneuronen der gesunden Mäuse. Bei den Tieren mit Merkmalen von Alzheimer war die zelluläre Verschaltung jedoch gestört, teils waren Nervenverbindungen verkümmert. Außerdem hatten sie Schwierigkeiten, ihre Trainingsumgebung zu erkennen.
Was war die Ursache der gestörten Verschaltung? Die Forscher fanden heraus, dass dieser Effekt durch den Verlust besonderer Zellkontakte ausgelöst wurde, die normalerweise bis an die Interneurone heranreichen. „Schon im Frühstadium von Alzheimer gehen sogenannte cholinerge Verbindungen zugrunde. Ihr Name rührt daher, dass sie für gewöhnlich den Botenstoff Acetylcholin freisetzen“, so Fuhrmann. „Manche dieser Verbindungen sind mit den Interneuronen verknüpft, die wir untersucht haben. Der Verlust dieser Kontakte wirkt sich unmittelbar auf die Interneurone aus. Ihre zelluläre Verdrahtung nimmt Schaden, was ihre Fähigkeit beeinträchtigt, andere Zellen zu inhibieren.“
Ergebnisse stützen die „cholinerge Hypothese“
Schon lange besteht die Vermutung, dass Gedächtnisstörungen bei Alzheimer auf den Verlust cholinerger Verbindungen zurückzuführen sind. Der Abbau dieser Zellkontakte führt zu einem Mangel an Acetylcholin. In der Therapie wird daher versucht, den Schwund des Botenstoffes mit Medikamenten aufzuhalten. Es hat sich jedoch herausgestellt, dass dieser Ansatz auf lange Sicht nicht erfolgreich ist. Nun könnte die aktuelle Studie dazu beitragen, den Zusammenhang von Acetylcholin und Gedächtnisleistung auf zellulärer Ebene genauer aufzuklären.
„Unsere Studie weist auf einen Mechanismus hin, der beim Menschen relevant sein könnte. Demnach beeinträchtigt der Verlust cholinerger Verbindungen die regulierende Wirkung von Interneuronen des Hippocampus. Und das geht zu Lasten der Gedächtnisleistung“, sagt Fuhrmann. „Wenn man in die Zukunft denkt, dann könnten diese Erkenntnisse vielleicht dazu beitragen, Medikamente zu entwickeln, mit denen sich durch Alzheimer hervorgerufene Gedächtnisstörungen effektiver behandeln lassen, als es heute möglich ist.“
Originalveröffentlichung
Dysfunction of somatostatin positive interneurons associated with memory deficits in an Alzheimer’s disease model.
Lena C. Schmid, Manuel Mittag, Stefanie Poll, Julia Steffen, Jens Wagner, Hans-Rüdiger Geis, Inna Schwarz, Boris Schmidt, Martin K. Schwarz, Stefan Remy und Martin Fuhrmann.
Neuron, DOI: 10.1016/j.neuron.2016.08.034
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DZNE, Wissenschaftsredakteur
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