Bauchspeicheldrüsenkrebs: Verdopplung von Genen macht Tumore so aggressiv

Roland Rad und sein Team beschäftigen sich mit der Untersuchung molekularer und translationaler Aspekte der Krebsentstehung. A. Heddergott / Technische Universität München

Bisher scheiterten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler daran, Eigenschaften des Bauchspeicheldrüsenkrebses, wie dessen Aggressivität, mit Veränderungen im Erbgut des Tumors, so genannten Mutationen, in Zusammenhang zu bringen. Zudem bildet Bauchspeicheldrüsenkrebs sehr viel schneller Metastasen als andere Krebsarten. Auch hier sind die genetischen Ursachen bisher unklar.

Ein Team um Prof. Roland Rad und Prof. Dieter Saur am TUM Universitätsklinikum rechts der Isar und dem Deutschen Krebskonsortium ist beiden Problemen einen entscheidenden Schritt nähergekommen. Mit Hilfe verschiedener Mausmodelle zur Erforschung des Bauchspeicheldrüsenkrebses gelang es ihnen, molekulare Wege der Tumorentstehung im Detail aufzudecken. Sie können so nachvollziehen, wie unterschiedliche Eigenschaften der Erkrankung entstehen. Die Studie wurde im Fachjournal Nature veröffentlicht.

Tumorzellen besitzen mehrere fehlerhafte Kopien eines Krebsgens

Gesunde Zellen in Menschen haben von jedem Gen zwei Kopien. Für ihre Experimente mutierten die Forscherinnen und Forscher eine der beiden Kopien des Kras-Gens in Mäusen. Das Gen spielt bei der Zellvermehrung eine wichtige Rolle und ist in 90% aller menschlichen Bauchspeicheldrüsentumore aktiviert.

Solche Gene werden auch als Krebsgene oder Onkogene bezeichnet. Dabei machte das Team um Roland Rad eine überraschende Entdeckung: Das mutierte Gen wurde häufig bereits in sehr frühen Vorstufen des Krebses vervielfältigt. Hatte ein Tumor die mutierte Kras-Genkopie nicht verdoppelt, entdeckten die Forscher Vervielfältigungen in anderen Krebsgenen.

„Es scheint so als müsste die Zelle das Wachstumssignal durch die zusätzlichen Gen-Kopien erhöhen. Dieses Modell der Dosisverstärkung während der Tumorentwicklung wurde bisher nicht berücksichtigt.“ sagt Sebastian Müller, Erstautor der Studie, und fügt hinzu: “Wir konnten zusätzlich zeigen, dass bei erhöhter Zahl der mutierten Kras-Kopien die Aggressivität und die Fähigkeit zur Metastasierung zunahmen.“

Störung körpereigener Schutzmechanismen bestimmt die Evolution des Krebses

Normalerweise haben gesunde Zellen eigene Schutzmechanismen, damit sich Mutationen nicht anhäufen. Warum konnten die Zellen also diese Dosisverstärkung überhaupt schaffen, ohne daran gehindert zu werden?

„Hier zeigt sich die Bedeutung von Mausmodellen. Sie ermöglichen uns, die außerordentlich komplexen Prozesse der molekularen Krebsentwicklung umfassend zu beobachten und experimentell zu überprüfen: von der gesunden Zelle über Krebsvorläufer bis hin zum aggressiven Tumor und dessen Ausbreitung in verschiedene Organe.“ erklärt Prof. Dieter Saur.

Nach der durch die Forscher verursachten Kras-Mutation entstanden zunächst weitere Mutationen in so genannten Tumorsuppressorgenen. Damit die Entwicklung einer Tumorzelle verhindert wird, besitzt eine gesunde Zelle eine ganze Reihe solcher schützender Gene. Eine grundlegende Erkenntnis der Forscher war: Je nachdem welches Tumorsuppressorgen betroffen war und wie stark dessen Funktion beeinträchtigt wurde, wird entweder das mutierte Kras-Gen oder ein anderes Krebsgen vervielfältigt.

Die Wichtigsten Entwicklungsschritte aufgeklärt

Erst durch das Ausschalten der zelleigenen Schutzmechanismen und die darauffolgende ‚Dosisverstärkung‘ kann am Ende ein Tumor entstehen. Welchen Weg die Zelle dabei einschlägt und welche Gene beteiligt sind, bestimmte dann maßgeblich die Eigenschaften des Bauchspeicheldrüsentumors.

Durch das Modell der ‚Dosisverstärkung‘ lassen sich erstmals genetische Muster festlegen, die dessen Aggressivität und Metastasierung erklären. „Wir haben Hinweise darauf, dass unsere Entdeckung ein grundlegendes Prinzip bei der Entstehung von Tumoren darstellt und auch bei anderen Krebsarten von Bedeutung ist. Wir gehen nun der Frage nach, inwieweit diese neuen Einblicke in die Tumorbiologie für die Entwicklung neuer Therapiestrategien genutzt werden können.“, erklärt Prof. Roland Rad die nächsten Forschungsziele.

Folgende Institutionen waren ebenfalls an der Studie beteiligt: The Wellcome Trust Sanger Institute, Ludwig-Maximilians Universität (Anthropologie und Humangenetik), Helmholtz Zentrum München, (Forschungsabteilung Strahlenzytogenetik), Universidad de Oviedo (Institute of Oncology of Asturias, Departamento de Bioquímica y Biología Molecular, Facultad de Medicina, Instituto Universitario de Oncología, Nanomaterials and Nanotechnology Research Center), University of Cambridge (Department of Veterinary Medicine), Instituto de Medicina Oncológica y Molecular de Asturias, Klinikum der LMU München-Grosshadern (Medizinische Klinik und Poliklinik II), Instituto de Biomedicina y Biotecnología de Cantabria

Originalpublikation
S. Mueller, T. Engleitner, R. Maresch, M. Zukowska, S. Lange, T. Kaltenbacher, B. Konukiewitz, R. Öllinger, M. Zwiebel, A. Strong, H.-Y. Yen, R. Banerjee, S. Louzada, B. Fu, B. Seidler, J. Götzfried, K. Schuck, Z. Hassan, A. Arbeiter, N. Schönhuber, S. Klein, C. Veltkamp, M. Friedrich, L. Rad, M. Barenboim, C. Ziegenhain, J. Hess, O. M. Dovey, S. Eser, S. Parekh, F. Constantino-Casas, J. de la Rosa, M. I. Sierra, M. Fraga, J. Mayerle, G. Klöppel, J. Cadiñanos, P. Liu, G. Vassiliou, W. Weichert, K. Steiger, W. Enard, R. M. Schmid, F. Yang, K. Unger, G. Schneider, I. Varela, A. Bradley, D. Saur, R. Rad, Evolutionary routes and KRAS dosage define pancreatic cancer phenotypes, Nature, 2018, DOI: 10.1038/nature25459
https://www.nature.com/articles/nature25459

Kontakt
Prof. Dr. med. Roland Rad
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin II
Universitätklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München
Tel.: (089) 4140 – 4374
E-Mail: roland.rad@tum.de

www.tum.de

http://www.tum.de/nc/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/detail/article/34426/ – Diese Pressemeldung im Web
https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/ – Alles Pressemeldungen der Technischen Universität München
https://www.med2.mri.tum.de/de/forschung/grundlagenforschung/ag-rad.php – Forschungsgruppe von Roland Rad
https://www.med2.mri.tum.de/de/forschung/grundlagenforschung/ag-saur.php – Forschungsgruppe von Dieter Saur

Media Contact

Dr. Ulrich Marsch Technische Universität München

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit

Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.

Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Überlebenskünstler im extremen Klima der Atacama-Wüste

Welche Mikroorganismen es schaffen, in den extrem trockenen Böden der Atacama-Wüste zu überleben, und welche wichtigen Funktionen sie in diesem extremen Ökosystem übernehmen – zum Beispiel bei der Bodenbildung –,…

Hoffnung für Behandlung von Menschen mit schweren Verbrennungen

MHH-Forschende entwickeln innovatives Medikament, um die Abstoßung von Spenderhaut-Transplantaten zu verhindern. Wenn Menschen schwere Verbrennungen erleiden, besteht nicht nur die Gefahr, dass sich die Wunde infiziert. Der hohe Flüssigkeitsverlust kann…

Neue Erkenntnisse zur Blütezeit-Regulation

Einfluss von Kohlenstoff- und Stickstoff-Signalwegen auf Blütenrepressoren bei Arabidopsis. In einer aktuellen Publikation in der Fachzeitschrift Plant Physiology hat ein internationales Forschungsteam, dem unter anderem Dr. Justyna Olas als eine…