"Ecstasy" schädigt die Hirnfunktion – Neurotoxische Wirkung erstmals beim Menschen nachgewiesen
Die synthetische Droge "Ecstasy" schädigt eindeutig die Hirnfunktion. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die eine Arbeitsgruppe um Privatdozent Dr. Rainer Thomasius aus der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) durchgeführt hat. In der Studie wurde erstmals eine repräsentative Stichprobe von "Ecstasy"-Konsumenten erreicht. Bislang hatten Wissenschaftler nur kleine Gruppen untersucht, oder Einzelfall-Beschreibungen, so genannte Kasuistiken, zu den Folgen der Einnahme von "Ecstasy" veröffentlicht.
Privatdozent Dr. Rainer Thomasius untersuchte mit seinen Mitarbeitern in einem Zeitraum von 21 Monaten 107 „Ecstasy“-Konsumenten und 52 Probanden in zwei Kontrollgruppen. Die Probanden wurden direkt bei „Techno“-Veranstaltungen und in Diskotheken angesprochen und für die Studie gewonnen. Die Untersuchung sollte zwei Fragen beantworten:
1. Welche psychiatrischen, neurologischen und internistischen Gesundheitsschäden ruft die synthetische Droge „Ecstasy“ am Menschen hervor?
2. Hängen diese Schäden mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen und Neurosenstrukturen der Konsumenten zusammen?
Im Rahmen einer kontrollierten Querschnittsstudie setzten die Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftler psychiatrische, psychologische, neurologische, internistische und nuklearmedizinische Untersuchungs-verfahren ein.
Psychische Störungen
Ein Ergebnis der Studie: Das Ausmaß von psychischen Störungen, die durch verschiedene Drogen bei „Ecstasy“-Konsumenten verursacht werden, ist außerordentlich hoch. Mehr als ein Viertel der „Ecstasy“-Konsumenten wies in den vergangenen zwölf Monaten mindestens eine durch so genannte psychotrope Substanzen bedingte psychotische Störung auf. Zu diesem Krankheitsbild gehören Halluzinationen, Personenverkennungen (zum Beispiel: Der Arzt wird als Onkel wahrgenommen) oder Wahnvorstellungen. Hinzu kommen Beziehungsideen, in denen Beziehungen zu Personen oder Gegenständen wahrgenommen werden, die nicht real sind.
Bei acht Prozent der „Ecstasy“-Konsumenten ließen sich die Phänomene auf „Ecstasy“ zurückführen, bei weiteren acht Prozent auf den Gebrauch von Halluzinogenen und bei 14 Prozent auf den Gebrauch mehrerer Substanzen. Dauerkonsumenten von „Ecstasy“ sind im Vergleich häufiger durch psychotische Störungen beeinträchtigt (49 Prozent) als Gelegenheits-konsumenten (22 Prozent) und Probierkonsumenten (0 Prozent).
Neben diesen sofort auftretenden psychotischen Störungen gibt es auch so genannte Restzustände nach „Ecstasy“-Konsum oder verzögert auftretende psychische Störungen. Dazu gehören Störungen der Denkleistung oder depressive und manische Verstimmungen. Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen treten ebenso auf wie Nachhallzustände, bei denen die Konsumenten einen erneuten Rausch erleben, obwohl sie kein „Ecstasy“ eingenommen haben.
Der Anteil der Dauerkonsumenten mit diesen Störungen ist ebenfalls besonders hoch: Drei Viertel aller Dauerkonsumenten haben mindestens eine Diagnose aus der Kategorie „Restzustände“, bei 76 Prozent der Konsumenten war hierfür „Ecstasy“ die Ursache. Auch die Gelegenheitskonsumenten wiesen zu 68 Prozent eine Störung aus dieser Kategorie auf, bei 40 Prozent dieser Gruppe war „Ecstasy“ die Ursache, gefolgt vom Gebrauch mehrerer Substanzen (18 Prozent) oder Cannabis-Konsum (7 Prozent).
Hirnfunktions-Schäden durch „Ecstasy“
Die Studienergebnisse ergaben vielfältige Hinweise auf ein neurotoxisches Potenzial der Droge „Ecstasy“. 37 Prozent der „Ecstasy“-Konsumenten hatten ein so genanntes amnestisches Syndrom. Dabei wird das Kurzzeit-Gedächtnis so stark gestört, dass das alltägliche Leben beeinträchtigt wird. In der Gruppe der schweren „Ecstasy“-Konsumenten mit einer Gesamtdosis von 500 bis 2500 Tabletten litten 60 Prozent an einem amnestischen Syndrom.
Die neuropsychologische Untersuchung bestätigte diesen Trend. Sowohl das Arbeitsgedächtnis als auch das Kurzzeit- und das mittelfristige Gedächtnis sind bei „Ecstasy“-Konsumenten in Mitleidenschaft gezogen – linear abhängig von der Gesamtdosis. „Ecstasy“ schränkt aber auch die Leistungen in den Handlungs-Funktionen ein; die psychomotorische Geschwindigkeit ist vermindert. In der statistischen Auswertung ließ sich dieser Einfluss von „Ecstasy“ deutlich gegen die Wirkung anderer Drogen absichern.
In der Elektro-Enzephalo-Grafie (EEG) zeigten sich bei „Ecstasy“-Konsumenten gehäuft Zeichen einer deutlich verminderten Wachsamkeit. Die Positronen-Emissions-Tomografie (PET) dokumentierte, dass die Hirnaktivität bei „Ecstasy“-Konsumenten in bestimmten Hirnarealen ebenfalls vermindert ist.
Vor dem Hintergrund der Studienergebnisse kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Gehirn durch „Ecstasy“-Konsum auf Dauer geschädigt wird. Hierzu sind jedoch Untersuchungen notwendig, die „Ecstasy“-Konsumenten über einen längeren Zeitraum (Längsschnitt) beobachten. Eine solche Studie wird derzeit im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf durchgeführt.
Internistische und neurologische Komplikationen
Artikel in der Fachliteratur berichteten in Einzelfällen über internistische und neurologische Komplikationen oder Folgeerkrankungen des „Ecstasy“-Konsums. Dazu gehörte eine Erhöhung der Körpertemperatur (bis auf 43 Grad Celsius), Nieren- und Leberfunktionsstörungen oder Krampfanfälle und Hirninfarkte. Diese Befunde ließen sich durch die Studie nicht bestätigen, sicherlich auch, weil Konsumenten mit akuten Störungen aufgrund des Studiendesigns nicht untersucht werden konnten. Auch hierzu könnte die laufende Längsschnitt-Untersuchung nähere Auskunft liefern.
Persönlichkeitspsychologie und Psychodynamik
Bei schweren „Ecstasy“-Konsumenten fanden sich gehäuft Entwicklungs- und Identitätsstörungen, die mit einem Mangel an Selbstwahrnehmung, Mangel an Freundschaften und an sozialer Unterstützung einhergehen. Als besonderes Persönlichkeitsmerkmal zeigt sich in vielen Fällen ein eher empfindlich reagierender Charakter. Diese Konsumenten mit einer so genannten Ich-Schwäche neigen zu einem hohen „Ecstasy“-Konsum und sind deshalb besonders stark von Hirnfunktions-Schäden betroffen. Ein direkter Zusammenhang zwischen Persönlichkeitsstruktur und „Ecstasy“-Konsum ist nach diesen Ergebnissen wahrscheinlich.
Schlussfolgerung
„Ecstasy“-Abhängige mit schweren Konsumformen wiesen eine starken Leidensdruck auf. Sie schätzen den Stellenwert psychotherapeutischer Behandlungen vergleichsweise hoch ein. Da diese Konsumenten zudem gute Voraussetzungen hinsichtlich ihrer Mitarbeit und ihrer Einsichtsfähigkeit in psychodynamische Zusammenhänge mitbringen, sollte bei „Ecstasy“-Abhängigen viel öfter als bisher geprüft werden, ob die Indikation für eine Psychotherapie vorliegt.
Im Rahmen der Studie wurden pro Teilnehmer (Konsumenten und Kontrollgruppe) folgende Untersuchungen durchgeführt:
ein Erstgespräch und drei Folgegespräche (psychiatrische und psychologische Diagnostik),
körperliche internistische und neurologische Untersuchung,
neuropsychologische Testdiagnostik,
Blut- und Urinuntersuchungen verschiedener Stoffwechselparameter,
EEG-Untersuchung (Messung der Hirnströme),
VEP-Untersuchung (Messung visuell evozierter Potenziale),
Dopplersonografie (Ultraschall der hirnversorgenden Blutgefäße),
PET-Untersuchung (Messung der Gehirnaktivität),
Haaranalyse auf Drogenbestandteile.
An der Studie arbeiteten 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des UKE sowie 10 Doktoranden mit.
Der vollständige Studienbericht erscheint als Buchveröffentlichung am 14. Juli 2000 bei der Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
Bei weiteren Fragen wenden Sie sich bitte an Privatdozent Dr. Rainer Thomasius, Tel. (040) 428 03 – 42 17, oder an die Pressestelle des UKE, Tel. (040) 428 03 – 47 47.
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