Neuer Wirkstoff gegen Erbrechen durch Kohlenstoff-Silicium-Tausch

Manche Krebspatienten wissen es aus eigener Erfahrung: Eine Chemotherapie kann heftige Übelkeit und Erbrechen nach sich ziehen. Zwar gibt es gegen diese Nebenwirkung Medikamente, doch ist deren Erfolg nicht immer ausreichend. Die britische Firma Amedis Pharmaceuticals (Cambridge) hat nun einen neuen Wirkstoff gegen Erbrechen vorgestellt. Synthetisiert wurde er in den Chemielabors der Uni Würzburg.

Vor fünf Jahren klingelte im Büro von Reinhold Tacke das Telefon. Das kommt bei dem Inhaber des Lehrstuhls für Anorganische Chemie I häufiger vor, doch an diesen Anruf erinnert sich der Würzburger Wissenschaftler besonders gut: Am anderen Ende war das Risikokapital-Unternehmen Merlin Bioscience und fragte, ob Tacke an einer Kooperation mit einer kurz vor der Gründung stehenden Pharmafirma interessiert sei. Der Grund für den Annäherungsversuch der Briten war das Spezialgebiet des Würzburger Forschers, die Silicium-Chemie.

Seit über 25 Jahren treibt Tacke in seinen Labors ein „Atömchen-wechsel-dich-Spiel“: Dabei werden in organischen Molekülen einzelne Kohlenstoff- durch Silicium-Atome ersetzt. Das hört sich sehr einfach an, ist es aber nicht: Die siliciumhaltigen Moleküle werden durch vielstufige Synthesen erzeugt, und oft müssen dabei ganz andere Wege beschritten werden als bei der Herstellung der kohlenstoffhaltigen Ausgangssubstanzen.

Anschließend prüfen die Chemiker in Kooperation mit Pharmakologen, wie sich die Eigenschaften der Moleküle durch den Kohlenstoff-Silicium-Tausch verändert haben. „Diese Art von Atomtausch ist machbar, weil Kohlenstoff und Silicium einander sehr ähnlich sind“, wie Tacke sagt.

Das haben die Forscher aus Würzburg und Cambridge nun mit einem Anti-Emetikum vorexerziert, also mit einem Arzneimittel gegen Erbrechen. In einem bekannten Wirkstoff tauschten sie ein Kohlenstoff- durch ein Silicium-Atom aus und erhielten dadurch einen neuen Wirkstoff, der viel zielgenauer als sein Vorgänger arbeite, so die Firma Amedis in einer Mitteilung: Er habe weniger Nebenwirkungen und sei gegen Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapien und operativen Eingriffen geeignet. Das hätten erste umfangreiche biologische Tests ergeben. Nun sei der Stoff namens SI-162 reif für die Erprobung an Patienten im Rahmen von klinischen Studien. Synthetisiert wurde SI-162 vom Würzburger Diplom-Chemiker Jürgen Daiß, einem Doktoranden in Tackes Forschungsgruppe.

Dass für verbesserte Anti-Emetika großer Bedarf vorhanden ist, bestätigt Florian Weissinger von der Medizinischen Poliklinik der Uni Würzburg: „Seit der Einführung der Medikamente aus der Gruppe der 5-HT3-Rezeptor-Antagonisten kann das chemotherapiebedingte Erbrechen häufig vermieden werden. Jedoch stellt die Therapie des verzögerten Erbrechens bei einigen Patienten noch ein großes Problem dar.“

Nach Darstellung von Amedis können zurzeit 30 Prozent der Fälle von akutem Erbrechen (innerhalb von 24 Stunden nach der Chemotherapie) nicht ausreichend behandelt werden. Beim verzögerten Erbrechen, das erst bis zu 144 Stunden nach der Chemotherapie einsetzt, sei es dagegen wesentlich schlechter um wirksame Therapiemöglichkeiten bestellt. Das sagt auch Weissinger.

In der Würzburger Chemie ist man stolz auf das Erreichte: „Für uns ist das ein großer Erfolg“, freuen sich Tacke und seine Mitarbeiter, „schließlich werden Arzneistoff-Kandidaten für klinische Entwicklungen in der Regel nicht in Universitätslabors erzeugt, sondern in der Pharma-Industrie.“ Zusätzlich sieht der Professor in dieser Erfolgsgeschichte ein starkes Argument für die Bedeutung der Grundlagenforschung. Als er und sein Team mit dem Kohlenstoff-Silicium-Tausch anfingen, hatten sie zunächst keine handfeste Anwendungsmöglichkeit vor Augen, sondern taten es aus rein akademischem Interesse: „Dieses ’Ausprobierenkönnen’, die Erforschung von Grundlagen, muss eine zentrale Aufgabe der Universität bleiben, denn nur eine exzellente Grundlagenforschung schafft die Basis für spätere Anwendungen.“

Diesen Standpunkt teilen die Forscher von Amedis. Auch sie meinen, dass die Kombination aus universitärer Spitzenforschung und industrieller Anwendung für die Arzneistoff-Forschung jede Menge wirtschaftlich interessante Möglichkeiten eröffnet. Amedis-Geschäftsführer John Montana: „Reinhold Tacke und sein Team haben eine hervorragende wissenschaftliche Grundlage geschaffen, die unsere aus der Pharma-Industrie kommenden Medizinischen Chemiker erweitert und für ihre Projekte genutzt haben. SI-162 ist nur der erste aus einer Reihe von siliciumhaltigen Wirkstoffen, die noch aus unserer Firma hervorgehen werden.“

Amedis Pharmaceuticals wurde vor drei Jahren gegründet und beschäftigt sich ausschließlich mit der Entwicklung von neuen Arzneimitteln auf Silicium-Basis. Tackes Gruppe ist der wichtigste Kooperationspartner des Unternehmens.

Weitere Informationen:

Reinhold Tacke, T (0931) 888-5250, Fax (0931) 888-4609, E-Mail: r.tacke@mail.uni-wuerzburg.de
John Montana, T +44 1223 477910, Fax +44 1223 477911, E-Mail: john.montana@amedis-pharma.com

Media Contact

Robert Emmerich idw

Alle Nachrichten aus der Kategorie: Medizin Gesundheit

Dieser Fachbereich fasst die Vielzahl der medizinischen Fachrichtungen aus dem Bereich der Humanmedizin zusammen.

Unter anderem finden Sie hier Berichte aus den Teilbereichen: Anästhesiologie, Anatomie, Chirurgie, Humangenetik, Hygiene und Umweltmedizin, Innere Medizin, Neurologie, Pharmakologie, Physiologie, Urologie oder Zahnmedizin.

Zurück zur Startseite

Kommentare (0)

Schreiben Sie einen Kommentar

Neueste Beiträge

Größte bisher bekannte magnetische Anisotropie eines Moleküls gemessen

An der Berliner Synchrotronstrahlungsquelle BESSY II ist es gelungen, die größte magnetische Anisotropie eines einzelnen Moleküls zu bestimmen, die jemals experimentell gemessen wurde. Je größer diese Anisotropie ist, desto besser…

Tsunami-Frühwarnsystem im Indischen Ozean

20 Jahre nach der Tsunami-Katastrophe… Dank des unter Federführung des GFZ von 2005 bis 2008 entwickelten Frühwarnsystems GITEWS ist heute nicht nur der Indische Ozean besser auf solche Naturgefahren vorbereitet….

Resistente Bakterien in der Ostsee

Greifswalder Publikation in npj Clean Water. Ein Forschungsteam des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) hat die Verbreitung und Eigenschaften von antibiotikaresistenten Bakterien in der Ostsee untersucht. Die Ergebnisse ihrer Arbeit…