Erforschung genetischer Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems

Fast eine halbe Million Mikrospiegel trägt dieses mechatronische Bauteil, das seit längerem für Videoprojektionen eingesetzt wird. In einem neuen Messgerät tasten feine Lichtstrahlen Oberflächen berührungslos ab.&nbsp;<br> ©Fraunhofer IPT


Bundesministerium für Bildung und Forschung bewilligte 4,5 Millionen Mark für interdisziplinäres Verbundprojekt Marburger Wissenschaftler

Rund 4,5 Millionen Mark hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung einer Gruppe von Wissenschaftlern der Philipps-Universität Marburg für die Erforschung so genannter frühmanifester Regulations- und Entwicklungsstörungen bewilligt. Unter dieser Thematik kooperieren elf Abteilungen aus dem Marburg-Gießener Raum mit drei externen Partnern. Die Förderung erfolgt im Rahmen des "Nationalen Genomforschungsnetzes", für das aus den UMTS-Erlösen in den nächsten drei Jahren bundesweit insgesamt 350 Millionen Mark für die krankheitsbezogene genetische Forschung zur Verfügung stehen.

Von Marburg aus sollen in einem interdisziplinären Ansatz dabei zwei Bereiche von Erkrankungen des Nervensystems eingehend untersucht werden:
· Störungen der Gewichtsregulation (frühmanifeste Adipositas, Anorexia nervosa und konstitutionelle Entwicklungsverzögerungen von Wachstum und Pubertät). Damit befassen sich vier der fünf genehmigten Projekte unter genetischen, epidemiologischen und sozio-ökonomischen Gesichtspunkten.
· Frühmanifeste motorische Störungen (hyperkinetisches Syndrom, Gilles de la Tourette-Syndrom und frühmanifeste Dystonien).
In beiden Projektbereichen geht es – so Professor Helmut Remschmidt, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, als Sprecher des Verbundprojekts – um die Erforschung der molekulargenetischen Grundlagen, ihre funktionellen Auswirkungen, ihre klinischen Manifestationen und, darauf basierend, in der Folge auch um Behandlungsmöglichkeiten.

Die Erforschung frühmanifester Regulations- und Entwicklungsstörungen ist nach den Worten von Professor Remschmidt von großer allgemeinmedizinischer und auch volkswirtschaftlicher Bedeutung:

Adipositas ist ein zunehmendes Problem aller industrialisierten Länder. In Deutschland sind davon rund 20 Prozent der Allgemeinbevölkerung betroffen. Die Folgen der Adipositas zeigen sich in vielen Bereichen (z.B. Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, orthopädische Erkrankungen, Frühinvalidität).
Auch Essstörungen (Anorexia nervosa und Bulimia nervosa) erreichen in industrialisierten Ländern eine Verbreitung von rund 1 Prozent (Anorexia nervosa) und bis zu 3 Prozent (Bulimia nervosa) bei 15- bis 24-jährigen Mädchen. Die häufig auftretende Chronifizierung dieser Störungen stellt auch für die Gesellschaft ein großes Problem dar, weil im Verlaufe der Erkrankung häufig andere Störungen hinzutreten wie Depressionen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen und Angststörungen.
Das hyperkinetische Syndrom (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, ADHD) betrifft bis zu 5 Prozent der Schulkinder, hat schwerwiegende Auswirkungen auf ihre schulische Karriere (erhebliche Verhaltensauffälligkeiten, die häufig zum Schulausschluss führen), und langfristige Folgen: dissoziales Verhalten, Alkohol- und Drogenabhängigkeit, Kriminalität.
Ticstörungen und das Gilles de la Tourette-Syndrom (gemeinsames Auftreten von motorischen und vokalen Tics) sind von großer sozialer Bedeutung, nicht zuletzt wegen der Chronifizierungstendenz und aufgrund der Tatsache, dass sich im Langzeitverlauf häufig Zwangsstörungen hinzugesellen, die mit erheblichen Einschränkungen im alltäglichen Leben einhergehen und nicht selten zur Frühberentung führen. Chronische Ticstörungen treten in einer Häufigkeit von etwa 2 bis 3 Prozent der Allgemeinbevölkerung auf.

Der gesamte Projektbereich konzentriert sich schwerpunktmäßig auf Kinder und Jugendliche. "Wenn es gelingt, die grundlegenden Mechanismen all dieser Störungen in einem frühen Stadium und in einer frühen Altersgruppe aufzudecken, verspricht die Marburger Forschungsinitiative auch einen wirksamen Einsatz präventiver Maßnahmen nach dem altbekannten Motto ’Vorbeugen ist besser als heilen’", hebt Professor Remschmidt hervor.

Folgende Institutionen sind an dem Marburger Verbundprojekt beteiligt:
1. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters (Professor Remschmidt, Professor Hebebrand),
2. Neurologische Klinik (Professor Oertel, PD Dr. Bandmann),
3. Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Professor Krieg, Dr. Vedder),
4. Institut für Pharmakologie und Toxikologie (Professor Gudermann),
5. Institut für Physiologie (Professor Voigt), Abteilung für Immunphysiologie (Professor Besedovsky, Dr. del Rey),
6. Arbeitsgruppe für molekulare Neurowissenschaften (Prof. Weihe) am Institut für Anatomie und Zellbiologie,
7. Abteilung für Neuropathologie (Professor Mennel),
8. Institut für Biometrie und Epidemiologie (Professor Schäfer),
9. Fachgebiet Tierphysiologie, FB Biologie (Professor Heldmaier, Dr. Klingenspor),
10. Universitäts-Kinderklinik Gießen (Professor Gortner), Pädiatrische Endokrinologie (PD Dr. Wudy),
11. Max-Planck-Institut für physiologische und klinische Forschung Bad Nauheim (Professor Schmidt)
Externe Partner sind:
12. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der RWTH Aachen (Professorin Herpertz-Dahlmann),
13. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Würzburg (Professor Warnke),
14. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Regensburg (Dr. Linder).

Kontakt: Prof. Dr. Dr. Helmut Remschmidt
Tel.: 06421/2866260
E-Mail: remschm@med.uni-marburg.de

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Klaus Walter idw

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