Migräne: in Deutschland nicht effektiv behandelt
Migräne-Patienten sind in Deutschland medizinisch deutlich schlechter versorgt als in anderen EU-Ländern. Dies belegen aktuelle Daten der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG). Die mangelhafte Therapie beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen. Sie belastet auch die Volkswirtschaft mit jährlich acht Milliarden Mark durch Arbeitsunfähigkeit und eingeschränkte Produktivität der Patienten.
„Seit einigen Jahren leide ich unter Migräne. Es wurden mehrere Mittel ausgetestet. Den besten Erfolg habe ich mit einem Triptan. Monatlich habe ich mit einer, manchmal auch mit zwei Migräneattacken zu kämpfen, die zumeist drei Tage dauern. Die Wirkung des Medikamentes setzt innerhalb einer Stunde ein. Ich kann also problemlos arbeiten gehen. Eine Internistin, die mein Rheuma behandelt, hat mir das Medikament bislang problemlos verschrieben. Nun eröffnete sie mir, dass sie zukünftig nur noch die Mittel für Rheuma verschreibt und ich mich mit allem anderen an meinen Hausarzt zu wenden hätte. Dieser verweigerte mir die Verordnung mit der Begründung, er hätte im Quartal nur 60 Mark für mich und könnte die Tabletten daher nicht verschreiben. Gibt es für mich irgendeine Möglichkeit auch weiterhin an mein Medikament zu kommen oder bleiben für mich am Ende nur jeweils drei Tage, an denen ich arbeitsunfähig bin und mich mit Schmerzen zu Hause herumquäle?“
Solche Zuschriften erhält die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) immer wieder. Zwar raten die DMKG-Experten in ihren aktuellen Therapie-Empfehlungen, dass mittelstarke bis starke Migräne-Attacken mit modernen Migräne-Mitteln, den Triptanen, behandelt werden sollten. Doch offenkundig erhalten nicht alle Patienten, die Triptane benötigen, auch tatsächlich diese effektive Therapie.
Neue Untersuchungen belegen, dass Migräne-Patienten in Deutschland deutlich schlechter versorgt sind als ihre Leidensgenossen in anderen EU-Ländern. So verordnen etwa skandinavische Ärzte sechs mal mehr Triptane als ihre deutschen Kollegen. Insgesamt liegt der durchschnittliche Triptan-Verbrauch in der Bundesrepublik um 50 Prozent unter dem EU-Durchschnitt, obwohl in Deutschland nicht weniger Menschen unter Migräne leiden als in Frankreich oder Groß Britannien. Rund zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung, also acht bis zehn Millionen Menschen, sind betroffen. Nur die Hälfte befindet sich jedoch in ärztlicher Behandlung.
Doch selbst wenn Migräne-Patienten zum Arzt gehen, können sie keineswegs sicher sein, dass sie nach dem neuesten Stand der Wissenschaft behandelt werden: Drei Viertel der ärztlichen Verordnungen stimmen nicht mit den Empfehlungen der Experten überein – so das Ergebnis einer Untersuchung der DMKG im Jahr 1999.
Dass sich daran nur wenig geändert hat, belegen Daten aus dem vergangenen Jahr: Die Hälfte der Migräne-Kranken, die sich in ärztlicher Behandlung befinden, erhalten freiverkäufliche Analgetika, die allerdings nur bei leichten Migräne-Attacken wirksam sind. Nur 14 Prozent der Patienten bekommen Triptane verordnet. Demgegenüber nehmen 36 Prozent der Betroffenen nach wie vor so genannte Ergotamine ein, ältere Migräne-Mittel, die aufgrund ihres Wirkungs- und Nebenwirkungsprofils von der DMKG nur noch in bestimmten Fällen empfohlen werden.
Da ohnehin nur die Hälfte der Migräne-Patienten zum Arzt geht, bedeutet dies bezogen auf die Gesamtzahl aller Patienten, dass schätzungsweise 75 Prozent aller Migräniker freiverkäufliche Analgetika nehmen, 18 Prozent werden mit Ergotaminen und nur sieben Prozent mit Triptanen behandelt. Die DMKG-Experten gehen jedoch davon aus, dass mindestens zehn Prozent aller Migräner, also rund eine Million Patienten, aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung zwingend mit Triptanen behandelt werden müssten. „Würden unsere Therapie-Empfehlungen von den Ärzten umgesetzt“, klagt Dr. Volker Pfaffenrath, Vizepräsident der DMKG, „könnten sehr viel mehr Patienten von einer effektiven Behandlung profitieren.“
Im Gegensatz zu den Experten sehen viele Ärzte – das zeigen Umfragen – in den Triptanen jedoch eher Mittel der „letzten“ („wenn gar nichts mehr hilft“) als Mittel der „ersten“ Wahl bei mittelschweren bis starken Migräneattacken. Auch Unsicherheit bei der Diagnosestellung spielt eine Rolle – und vor allem die Furcht, das Arzneimittel-Budget zu überschreiten.
Die Folgen dieser ungenügenden Therapie sind nicht nur schmerzhaft für die Betroffenen, sondern belasten auch die Volkswirtschaft: Die Kosten durch Fehltage am Arbeitsplatz und eingeschränkte Produktivität betragen zusammen über acht Milliarden Mark. „Ein erheblicher Teil dieser indirekten Kosten wird durch unzureichende und falsche Therapien verursacht“, so die DMKG-Experten.
Auf der Homepage der DMKG wird darum eine Rubrik eingerichtet, in der die betroffenen Patienten über ihre persönlichen Erfahrungen berichten können und Empfehlungen von Experten für solche Fälle finden.
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