Selbstmordgene als Therapeutikum
Forscher entwickeln neue Behandlungsform bei Leberkrebs
Die Heilungschancen bei der Diagnose „Leberkrebs“ sind nicht gut: Nach fünf Jahren sind nur noch ungefähr 50 Prozent der Patienten, deren Tumor entfernt wurde, am Leben. Doch nur weniger als 30 Prozent der Betroffenen kommen überhaupt für einen operativen Eingriff in Frage. Gute Alternativen zur Operation gibt es nicht, auch neue lokale Behandlungsmethoden blieben bislang meist erfolglos. Zwei Arbeitsgruppen in Berlin und in Tübingen versuchen jetzt ein fremdes Gen in Leberkrebszellen einzubringen, das zum Absterben der Tumorzellen führen soll. Die Deutsche Krebshilfe fördert die Entwicklung der so genannten Suizidgen-Therapie über einen Zeitraum von zwei Jahren mit knapp 340.000 Mark.
Jährlich erkranken weltweit eine Million Menschen an Leberkrebs. In Deutschland sind jedes Jahr 5.200 Menschen betroffen, knapp 2.700 sterben daran. Chronische Hepatitis-Infektionen vom Typ B oder C und starker, regelmäßiger Alkoholkonsum scheinen die bösartigen Veränderungen der Leberzellen zu begünstigen. Oftmals diagnostizieren die Ärzte Lebertumoren erst im fortgeschrittenen Stadium. Allein ein chirurgischer Eingriff verspricht Besserung. Doch mehr als 30 Prozent der Patienten können nicht mehr operiert werden: Oftmals ist die Krankheit bereits so weit fortgeschritten, dass mit einer operativen Entfernung des Tumors die Leber nicht mehr voll funktionsfähig wäre. Eine Lebertransplantation kommt häufig wegen einer zu geringen Anzahl von Spenderorganen nicht in Frage. Chemo- und Strahlentherapie stellen ebenfalls keine Alternative dar, da auch sie die natürlichen Leberfunktionen zu sehr hemmen. Neue lokale Therapiekonzepte blieben bislang meist ohne Erfolg. Patienten, die mit der Diagnose Leberkrebs konfrontiert werden, haben daher derzeit keine guten Heilungschancen.
In der Hoffnung, die Heilungschancen zukünftig verbessern zu können, entwickelt eine Arbeitsgruppe vom Robert Koch Institut in Berlin unter der Leitung von Dr. Eberhard Hildt in Kooperation mit Dr. Ulrich Lauer vom Universitätsklinikum Tübingen eine neue Behandlungsstrategie: die Suizidgen-Therapie. Die Wissenschaftler wollen in die bösartigen Leberzellen ein Bakterien-Gen einbringen. Dieses Gen liefert die Information für ein bestimmtes Protein, die so genannte Cytosindeaminase. Dieses Eiweiß wandelt einen ungiftigen Stoff, der zuvor verabreicht werden muss, in ein hochgiftiges Chemotherapeutikum (5-Fluoruracil) um. Das Zellgift lässt die Tumorzellen schließlich zugrunde gehen.
Die Berliner und Tübinger Wissenschaftler benutzen bestimmte Viren als Fährschiffe, die ihre Fracht – die Fremdgene – in den Leberzellen abliefern sollen. Mittlerweile haben die Forscher zwar erreicht, dass die Viren an ihrem Ziel – dem Tumorgewebe – ankommen. Ihr Gut liefern sie bislang jedoch nur unzuverlässig in den Krebszellen ab. Somit wird die Cytosindeaminase nur in sehr wenigen Krebszellen produziert.
Um die Wirkung der Cytosindeaminase trotzdem in möglichst vielen bösartigen Zellen zu nutzen, bedienen sich die Forscher eines besonderen Kniffs: Sie versuchen dem Protein Eigenschaften zu verleihen, die es ihm ermöglichen, Zellmembranen zu durchqueren. Normalerweise stellt die Zellwand eine unüberwindliche Barriere für das Bakterien-Protein dar. Kürzlich entdeckte die Berliner Arbeitsgruppe jedoch einen kleinen Eiweißstoff, der die Zellmembran durchdringen kann. Koppelten die Wissenschaftler die Cytosindeaminase und das kleine Eiweiß aneinander, so durchquerten beide gemeinsam die Membran. Projektleiter Dr. Hildt fasst die Bedeutung dieser Versuche zusammen: „Die veränderte Cytosindeaminase könnte sich auf diesem Weg über viele Leberkrebszellen, ja vielleicht über das ganze Tumorgewebe, ausbreiten. Dort könnte das Protein die Zellen zum Absterben bringen. Wir hätten damit eine deutliche Verbesserung gegenüber dem vergleichsweise ineffizienten Virentransfer.“ In Zukunft wollen die Wissenschaftler verschiedene Varianten aus Bakterien-Protein und kleinem Eiweißstoff herstellen und ihre Fähigkeit die Zellmembran zu durchdringen testen. Darauf aufbauend soll gezeigt werden, dass die beste Variante die Leberkrebszellen auch effizient zerstören kann.
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