Botulinumtoxin kann Operationen ersparen

Bei schmerzhaften Kiefergelenksverrenkungen und nächtlichem Zähneknirschen kann eine Injektion von Botulinumtoxin den betroffenen Patienten eine Operation ersparen. Bei Kieferverlagerungen sichert diese Therapie das angestrebte Behandlungsergebnis. Dies berichten Experten auf dem 51. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am 13. Juni in Marburg.

Wenn Menschen sich immer wieder ihr Kiefergelenk ausrenken ­ betroffen sind vor allem Ältere und junge Frauen ­ war eine Operation in den meisten Fällen bislang unausweichlich. „Es gibt Patienten“, weiß Dr. Dr. Horst Umstadt von der Klinik für MKG-Chirurgie der Universität Marburg, „denen passiert dies mindestens einmal pro Woche, manchen sogar täglich.“

Wenn beim morgendlichen Biss ins Frühstücksbrötchen der Mund plötzlich, begleitet von starken Schmerzen, nicht mehr geschlossen werden kann und wenn dies immer wieder geschieht, entstehen langfristig auch Schäden am betroffenen Gelenk. Dieses wurde darum operiert, obwohl die eigentliche Ursache der schmerzhaften „Maulsperre“ eine andere ist: „Auslöser der Kiefergelenks-Luxation ist eine Muskelverkrampfung oder eine zu starke Spannung jenes Muskels, der unser Kiefergelenk beim Öffnen des Mundes bewegt“, erklärt Umstadt.

Um das Übel an der Wurzel zu behandeln, erproben die Marbuger MKG-Chirurgen zusammen mit ihren Kollegen in anderen Kliniken darum seit einiger Zeit im Rahmen einer klinischen Studie eine andere Strategie: Die Ärzte injizieren den Patienten das Bakteriengift Botulinumtoxin in geringen Mengen in den betroffenen seitlichen Flügelmuskel des Gesichts. Überwacht wird dies durch eine so genannte Elektromyographie, bei der die elektrische Aktivität des Muskels gemessen wird. Botulinumtoxin blockiert die Weiterleitung elektrischer Impulse von Nerven auf Muskelzellen. Konsequenz: Der Muskel erschlafft und entkrampft sich.

Bislang haben Umstadt und seine Kollegen bundesweit 20 Patienten behandelt ­ wiederkehrende Kiefergelenksverrenkungen sind selten. „In allen Fällen sind

die Verrenkungen nach der Injektion, deren Wirkung etwa vier Monate anhält, entweder ganz ausgeblieben oder zumindest deutlich zurück gegangen, zusätzliche Operationen waren bislang nicht erforderlich“, resümiert Umstadt die bisherigen Ergebnisse. Allerdings können die Patienten ihren Mund um ein Drittel weniger weit öffnen und ihren Kiefer nicht mehr so gut nach vorne schieben. Dies kann gelegentlich Probleme bereiten, etwa wenn die Betroffenen in einen Apfel beißen.

Eine Botulinumtoxin-Injektion setzen die Marburger MKG-Chirurgen auch nach einer operativen Verlagerung des Unterkiefers nach vorne ein. Muss der Kiefer um mehr als acht bis zehn Millimeter nach vorne verschoben werden,
können Muskeln am Mundboden in der Heilungsphase den Kiefer zumindest teilweise wieder zurückschieben. Darum wurde der betreffende Muskel beim Eingriff entweder durchtrennt oder Chirurg und Patient mussten eventuell in Kauf nehmen, dass das Operationsergebnis weniger gut ausfiel als geplant. „Wir haben nun bei einigen Patienten damit begonnen“, erklärt Umstadt, „diesen Muskel am Mundboden während der Heilungsphase zu lähmen. Ist der Kiefer eingeheilt, kann er der Muskelspannung widerstehen und vermutlich passt sich der Muskel während dieser Zeit auch den neuen Verhältnissen an.“

Auch Menschen, die im Schlaf heftig mit den Zähnen knirschen können von dem Bakteriengift profitieren. Das Knirschen ruiniert nicht nur die Zähne, sondern verdickt auch die Kaumuskulatur ­ ähnlich wie einen hochtrainierten
Bizeps. Unschöne „Hamsterbacken“ sind die Folge. Auch in diesem Fall ersetzt die Injektion das Skalpell: „Früher wurde der hypertrophe Muskel chirurgisch verkleinert“, berichtet Umstadt, „heute können wir die Muskelaktivität gezielt hemmen und gleichzeitig das starke nächtliche Knirschen mindern, weil die Kaumuskulatur dazu nicht mehr fähig ist.

Kritisch steht der Marbuger Experte der Bakteriengift-Spritze zur Faltenbehandlung gegenüber: „Da wird viel gespritzt ohne ausreichende Kenntnisse der feinen und komplizierten Anatomie des Gesichtes“, moniert er. Man müsse, so Umstadt weiter, sehr genau wissen, welcher Muskel im Einzelfall für tiefe Mimikfalten verantwortlich ist ­ denn nur bei diesen ist eine solche Behandlung überhaupt sinnvoll. Eine alleinige Behandlung mit Botulinumtoxin ist darüber hinaus in vielen Fällen nicht ausreichend. Oft bringt erst eine Kombinationsbehandlung mit einer Kollagen-Unterspritzung einen deutlich sichtbaren Erfolg oder andere plastisch-ästhetische Eingriffe, auf die MKG-Chirurgen durch ihre Ausbildung spezialisiert sind,
führen zu einem natürlicheren Ergebnis.

Rückfragen an:
Dr. Dr. Horst E. Umstadt (OA)
Klinik für MKG-Chirurgie
Philipps-Universität Marburg
Georg-Voigt-Straße 3
35033 Marburg/Lahn
Tel.:06421-286-3209
E-Mail: umstadt@mailer.uni-marburg.de

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