Taubsche Trainingstherapie: Wirksame Hilfe nach dem Schlaganfall
Die Lähmung nach einem Schlaganfall ist kein unabänderliches Schicksal. Selbst Jahre nach dem Ereignis lernen Patienten wieder, „mit den Muskeln zu spielen“. Dank des Taubschen Bewegungstrainings, das Jenaer Psychologen um Prof. Dr. Wolfgang H. R. Miltner gemeinsam mit amerikanischen Kollegen entwickelt haben, kehrt Leben zurück in die matten Gliedmaßen. Rund die Hälfte der Schlaganfallopfer in Deutschland hält Miltner noch für therapierbar – selbst Jahre nach dem Ereignis. Morgen fliegt er in die USA und stellt die Behandlungsmethode samt ihren wissenschaftlichen Grundlagen bei einem Fachkongress in Birmingham/Alabama ausführlich vor. Seit wenigen Tagen liegt auch ein Therapie-Handbuch für das Taubsche Bewegungstraining in deutscher Sprache vor.
„Nach einem Schlaganfall sind ja keineswegs die Muskeln und Sehnen geschädigt, sondern die Steuerungs- und Empfindungszentrale im Gehirn“, erklärt Professor Miltner. Natürlich können die Wissenschaftler einmal abgestorbene Gehirnareale nicht wieder zu Leben erwecken, aber ihr Trainingsprogramm sorgt dafür, dass deren Funktionen teilweise von benachbarten Gehirnregionen mit übernommen werden.
Dahinter steckt die Erkenntnis, dass sich unser Gehirn über die gesamte Lebensspanne hinweg in dynamischen Lernprozessen befindet. Neurowissenschaftler sprechen von der „Plastizität“ des Gehirns. Rund 100 Kranke hat Miltners Team allein in Jena therapiert. „Unsere beste Patientin war 84 Jahre alt und kam 17 Jahre nach dem Ereignis zu uns“, berichtet der Psychologe stolz, „anfangs hat sie ihren Arm überhaupt nicht benutzt, durch die Therapie bei uns hat sie wieder einen beinahe normalen Zustand erreicht.“
Zuerst behandelten die Wissenschaftler nur relativ leichte Fälle, inzwischen helfen sie auch Schlaganfall-Geschädigten mit schweren Einschränkungen. „Entscheidend ist, dass noch eine geringe Restbewegungsfähigkeit in der betroffenen Hand vorhanden ist“, weiß Miltner. Wer vor dem Training zumindest unter Mühen noch seine Fingern leicht bewegen kann, bewältigt hinterher teilweise auch anspruchsvolle motorische Aufgaben: etwa den Schraubverschluss einer Flasche zu öffnen oder die Knöpfe am Hemd zu schließen.
Seit Herbst 1995 haben Miltner und seine Mitarbeiter im Auftrag des Kuratoriums ZNS ihr Behandlungsprogramm für Schlaganfallpatienten und Unfallopfer mit traumatischen Schäden erarbeitet. „Der Erfolg des Taubschen Bewegungstrainings ist nachweisbar“, erläutert der Psychologe. „Mit Hilfe bildgebender Verfahren, etwa der funktionellen Magnetresonanztomographie, können wir sehen, wie sich allmählich die aktiven Areale im Gehirn vergrößern.
Das geschieht in unmittelbarer Nachbarschaft des geschädigten Bereichs, manchmal auch zusätzlich in gegenüberliegenden Regionen.“ Grundsätzlich gilt die einfache Regel: Je komplexer die Bewegungsabläufe, desto größer ihre Repräsentationsebene im Gehirn. Ein Geiger hat zum Beispiel für seine Griffhand ein relativ großes Gehirnareal präsent. Diese neuronale Ausstattung haben Virtuosen aber nicht von Geburt an, sondern im Laufe eines jahrelangen mühsamen Trainings erworben.
Nach diesem Prinzip arbeiten auch die Jenaer Klinischen Psychologen bei ihrem Bewegungstraining: Ihre Schlaganfall-Patienten müssen den gesunden Arm festgebunden in einer Schlinge tragen und mit dem kranken über eine Woche hinweg Tag für Tag von morgens bis abends ein grob- und feinmotorisches Training absolvieren, bis sie große und kleine Schrauben in Gewinde drehen oder – ein Kinderspiel – winzige farbige Pins in ein Lochbrett stecken können. Bei diesem massiven Training bilden sich um das abgestorbene Gehirnareal neue Neuronenverschaltungen heraus. „Unser Training ist für manchen Patienten sicher eine Art Folter“, gesteht Miltner, „aber die Ergebnisse rechtfertigen alle Anstrengungen.“
Der logische nächste Schritt wäre die Einrichtung eines Rehabilitationszentrums an der Uni Jena. Miltners entsprechender Antrag befindet sich seit einiger Zeit beim Ministerium. Sein amerikanischer Forschungspartner Prof. Edward Taub, der in den 70-er Jahren in Tierversuchen an Affen die experimentellen Grundlagen für die Behandlungsmethode entdeckte, war da schneller: An seiner Heimatuniversität in Birmingham/Alabama gründete er nun eine solche Therapieeinrichtung. „Binnen zweier Wochen war die Entscheidung gefallen und die Finanzierung gesichert“, erzählt Miltner. „Schön zu sehen, wie diese neuen Ideen wenigstens in den USA auf fruchtbaren Boden fallen.“
Überhaupt kommentiert der Jenaer Wissenschaftler seine Arbeitsbedingungen in Deutschland fast nur noch sarkastisch. „Wir könnten viel schneller vorankommen, wenn wir nicht diese grotesken Nachwuchsprobleme hätten.“ Mehrere seiner Mitarbeiter haben inzwischen das Institut verlassen und erheblich besser bezahlte Jobs in der klinischen Praxis angetreten. Neue Forschungsprogramme für die Arbeit mit hirnverletzten Kindern und – nach Schlaganfall – sprachgestörten Patienten sind zwar offiziell genehmigt, liegen aber weitgehend brach, weil die Mitarbeiter fehlen.
Der größte Hemmschuh für die Wissenschaft ist offenbar der unattraktive Bundesangestelltentarif-Ost. „Wir wüssten auch gern, ob unseren Patienten nicht schon in der subakuten Phase direkt nach dem Ereignis noch besser zu helfen wäre als erst Monate oder Jahre später und wie man den Trainingserfolg mit Medikamenten unterstützen kann“, klagt Miltner. Aber auch für diese Forschung fehlt ihm derzeit das Personal.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Wolfgang H. R. Miltner
Institut für Psychologie der Universität Jena
Tel.: 03641/945141, Fax: 945142
E-Mail: miltner@biopsy.uni-jena.de
Literatur:
Heike Bauder, Edward Taub, Wolfgang H. R. Miltner: Behandlung motorischer Störungen nach Schlaganfall. Die Taubsche Bewegungsinduktionstherapie.
Hogrefe-Verlag. Göttingen 2001.
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Dr. Wolfgang Hirsch
Referat Öffentlichkeitsarbeit
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D-07743 Jena
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