Medikamente außerhalb der Indikation verschreiben

Ärzte müssen aus der Zwickmühle herauskommen
Medikamente außerhalb der Indikation verschreiben
Ergebnisse aus medizin-juristischem RUB-Symposion

Bei Krebs oder auch Aids müssen Medikamente in einer Weise angewendet werden, für die sie nicht zugelassen sind. Die Kassen drohen immer öfter, die Kosten für derartige Therapien nicht zu übernehmen. Nach Ansicht von Medizinern behindert das nicht nur die Therapie, es treibt auch Ärzte in den wirtschaftlichen Ruin. Die Problematik dieses sogenannten „nicht bestimmungsgemäßen Gebrauchs“ („Off-Label Use“) stand im Mittelpunkt der Veranstaltung „Arzneimittelverordnung außerhalb der zugelassenen Indikation“ am 27. Oktober in Bochum. Veranstalter waren Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer (Dermatologische RUB-Klinik im St. Josef Hospital Bochum und Vorsitzender der Deutschen AIDS-Gesellschaft), Prof. Dr. Dr. Hans-Ludwig Schreiber (Juristische Fakultät Göttingen) und Rechtsanwalt Herbert Wartensleben (Stolberg).

Wenn vielversprechende Behandlungen unterbleiben …

Das Nierenzellenkarzinom ist eine eher seltene Krankheit. Beginnt der Krebs zu metastasieren, verläuft sie in vielen Fällen tödlich. Laut einer Untersuchung von Prof. Edith Huland (Hamburg) ist die Immuntherapie mit einer Kombination aus Interferon alpha und Interleukin-2 die derzeit vielversprechendste Behandlung. Sie ist Standard. Doch ihre Untersuchung zeigte auch: „Mehr als 90 Prozent der Zentren, die Interleukin-2 einsetzen, verwenden es nicht wie in der Zulassung beschrieben.“ Interleukin-2 darf nur intravenös verabreicht werden. Im klinischen Alltag sind jedoch die Nebenwirkungen „unzumutbar“. Die Ärzte fanden heraus, dass die Substanz subkutan (unter die Haut gespritzt) verabreicht, erheblich besser verträglich ist. Prof. Huland berichtete, dass sich die Nebenwirkungen bei einzelnen Patienten noch einmal deutlich reduzieren lassen, indem die Substanz bei Lungenmetastasen inhaliert wird. „Die Patienten können dann auch während der Therapie wieder am Alltagsleben teilnehmen.“ Trotz solcher Erfolge, die auch international von Ärzten dokumentiert wurden, sieht sich auch Prof. Huland mit Regressforderungen durch Krankenkassen konfrontiert. Die Kosten für den „Off-Label Use“ werden nicht übernommen.

In den USA wird 40 bis 60 Prozent „Off-Label“ verschrieben

Dass dies nur ein Beispiel aus einer ganzen Reihe von ähnlich gelagerten Fällen ist, bewies das Bochumer Symposion. Prof. Brockmeyer berichtete von einem Aids-Fall, bei dem ein erlaubtes Medikament in einer nicht zugelassenen höheren Dosis verabreicht worden war. Prof. Huland verwies darauf, dass in den USA nach Angaben der American Medical Association 40 bis 60 Prozent aller Verordnungen „Off-Label“ sind: „Zahlen, die auf Deutschland vergleichbar zutreffen.“ Warum werden Medikamente überhaupt „Off-Label“ genutzt? Eine Antwort findet sich unter anderem in der Kinderheilkunde, in der der „nicht bestimmungsgemäße“ Gebrauch besonders stark auffällt. Prof. Dr. Alfred Hildebrandt vom Bundesministerium für Gesundheit in Berlin: „Im Januar 2000 waren 49 von 110 in der Europäischen Union gemeinschaftlich zugelassene neue Arzneimittel sowohl für Erwachsene als auch für Kinder geeignet, aber nur 15 enthielten Angaben zur Anwendung bei Kindern und Heranwachsenden.

Warum Pharmaunternehmen weitere Tests scheuen

Der Zulassungsbereich für ein Medikament wird grundlegend von dem Pharmaunternehmen bestimmt, das es auf den Markt bringt, erklärte Rechtsanwalt Wartensleben. Die Unternehmen schränken in ihren Zulassungsanträgen bereits den Verwendungszweck und die Verabreichungsform ein, um eine schnellere und kostengünstigere Zulassung zu erhalten. Dass Medikamente aber auch bei ganz anderen Indikationen oder in anderen Verabreichungsformen wirksam sein können, machte das Symposion deutlich. Nur in ganz seltenen Fällen sind die Pharmaunternehmen bereit, mit Anträgen das aufwändige und zeitintensive Zulassungsverfahren erneut zu durchlaufen, um den Anwendungsbereich zu erweitern.

Ärzte müssen mit geeigneten Methoden behandeln können …

Gerade in der Krebstherapie aber auch in anderen Bereichen wie etwa bei der HIV-Behandlung sind bislang in vielen Fällen keine Medikamente vorhanden, die eine Heilung ermöglichen. Die Ärzte versuchen, zumindest das Überleben zu verlängern oder eine bessere Lebensqualität zu schaffen. Dazu sind sie sogar verpflichtet. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Ludwig Schreiber (Uni Göttingen) verwies auf die Musterberufsordnung der Ärzte (MBO), die „gewissenhafte Versorgung mit geeigneten Methoden“ vorschreibe. Die Pflicht des Arztes sei es, sich an dem verfügbaren „Stand der medizinischen Wissenschaft“ zu orientieren. Schreiber kommt zu dem Schluss: Unter dieser Voraussetzung sei eine medizinisch anerkannte Arzneimittelverordnung, auch außerhalb der zugelassenen Indikationsgebiete berufsrechtlich zulässig, „solange sie freilich zu anderen existierenden Möglichkeiten kein Risikogefälle aufweist.“

… und die Krankenkassen müssen sparen

Die Kassen sehen das offenbar anders und weigern sich immer öfter, solche Therapien zu bezahlen. Das Symposion sah dringenden Handlungsbedarf, weil nicht nur engagierte niedergelassene Ärzte durch Regressforderungen in den wirtschaftlichen Ruin gedrängt werden, sondern weil auch klinische Ärzte mit komplizierten juristischen Schwierigkeiten konfrontiert werden, die sie in ihrer Arbeit behindern.

Weitere Informationen

Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer, Klinik für Dermatologie und Allergologie, Ruhr-Universität Bochum, Gudrunstr. 56, 44791 Bochum, Tel.: 0234/509-3471, -3474; Fax: 0234/509-3472

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Dr. Josef König idw

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