Moderne Unterrichtsprogramme zur Persönlichkeitsstärkung

Bielefelder Gesundheitswissenschaftler geben seit Jahren Impulse für neue Generation von Lehrmaterialien

Seit ihrer Gründung hat sich Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld intensiv um die Gesundheitserziehung und die Entwicklung moderner Lehrpläne bemüht. Unter maßgeblichem Einfluss der Arbeitsgruppe „Prävention und Gesundheitsförderung“ von Professor Dr. Klaus Hurrelmann ist inzwischen ein Bestseller für den Unterricht an allen weiterführenden Schulen der Jahrgänge 6 bis 9 auf dem Markt: Das soziale Lernprogramm „Erwachsen werden“. Die in den letzten Jahren erstellte deutschsprachige Fassung dieses ursprünglich in den USA eingesetzten, von der gemeinnützigen Lehrplanorganisation „Quest“ entwickelten Programms wurde inzwischen über 12.000 Mal von Lehrern aus ganz Deutschland angefordert. „Hier handelt es sich wohl um den ersten Lehrplan in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschlands, der nicht von den Kultusministerien initiiert wurde und trotzdem eine flächendeckende Verbreitung an insgesamt schon etwa 5.000 Schulen in Deutschland gefunden hat“, sagt Prof. Dr. Klaus Hurrelmann.

Unter Leitung von Professor Hurrelmann wurde mit Unterstützung von NRW-Schulministerin Gabriele Behler nach einer Erprobungsphase die erste deutsche Fassung des Unterrichtsprogramms an mehreren Schulen im Bielefelder Raum erprobt. Anfang 1997 lag dann die vollständige deutsche Ausgabe vor. Sie wurde von der Wohltätigkeitsorganisation „Lions Club Germany“ tatkräftig unterstützt und trägt deswegen in den Schulen auch den Kurznamen „Lions-Quest-Programm“. Seit voriger Woche ist eine völlig überarbeitete Auflage des Unterrichtsprogramms fertiggestellt, die auf die Anregungen von vielen Lehrern und Eltern eingeht.

Ziel der Unterrichtsmaterialien Ziel ist es, Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 15 Jahren auf die selbstständige Bewältigung der Aufgaben ihrer Lebensphase vorzubereiten. „Die Philosophie des Programms ist, Jugendliche mit samt den Problemen ihres Alters und ihres Alltags ernst zu nehmen, auf ihre Gefühle einzugehen und ihnen den Wert gesellschaftlicher Werte zu verdeutlichen. Dazu gehören Toleranz und Achtung anderen Menschen gegenüber, Verantwortung für sich und andere und Engagement in sozialen Angelegenheiten. Das Programm setzt also in erster Linie auf die Stärkung des jugendlichen Selbstvertrauens“, so Professor Hurrelmann.

Die Vermittlung von sozialen Kompetenzen ist nach seinen Worten das wirkungsvollste Instrument, um Jugendliche vor Drogen- und Suchtgefahren, Gewalt, Kriminalität, psychischer Überlastung und Hektik zu bewahren. Die einzelnen Bausteine des Programms zielen auf die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls, die Wahrnehmung und Auseinandersetzung mit eigenen Gefühlen und denen der anderen, die Fähigkeit, Kontakte aufzunehmen und Freundschaften aufzubauen.

Im Unterschied zu deutschen Unterrichtsmaterialien kann das Programm „Erwachsen werden“ nur von Lehrerinnen und Lehrer eingesetzt werden, die an einem dreitägigen Vorbereitungsseminar teilnehmen. Seit 1994 sind von der Lions-Quest-Dachorganisation in Wiesbaden schon 400 solche Seminare durchgeführt worden, meist mit 25 Lehrkräften. Die 12.000 in Deutschland ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer wurden von elf erfahrenen Fachtrainern gecoacht. Aufbau und Koordination der Lehrerseminare werden im „Hilfswerk der Deutschen Lions“ in Wiesbaden vom früheren Schulamtsdirektor Gerhard Knoblauch durchgeführt. Er bemüht sich auch darum, die Kosten für die Seminare von den örtlichen Lions-Clubs einzuwerben.

„Der Erfolg dieses Programms zeigt, dass bürgerschaftliche, private Initiativen im deutschen Schulsystem inzwischen auf ein breite Resonanz stoßen. Als 1994 mit der Arbeit an den Unterrichtsmaterialien begannen, schlugen uns massive Vorurteile entgegen. Nicht nur die amerikanischer Herkunft, sondern auch die soziale Orientierung des Programms erschien vielen Lehrkräften und vielen Elternorganisationen suspekt. Keiner konnte sich damals vorstellen, dass Lehrpläne von unabhängigen Organisationen erstellt werden, weil alle nur an die von oben angeordneten Curricula durch die Kultusministerien dachten“, erinnert sich Professor Hurrelmann.

Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass gerade die Privatinitiative, die hinter der Entwicklung des Programms steht, für die Originalität der Unterrichtsmaterialien spricht. Das Material kostet 70,- DM für jeden Lehrer und 10,- DM für jeden Schüler, und dieses Geld muss von den Elternvereinen, von anderen Sponsoren oder den örtlichen Lions-Clubs eingeworben werden. Dasselbe gilt für die Fortbildungsseminare der Lehrerinnen und Lehrer, die pro Person etwa 500,- DM kosten. Alle Beteiligten sehen in dieser finanziellen Beteiligung kein Hindernis, sondern vielmehr einen Ausdruck der Wertschätzung und des eigenen Engagements für das Programm.

An der Universität Bielefeld sind noch weitere Unterrichtsprogramme entstanden, die zusammen mit Lehrkräften und anderen Fachleuten erprobt und umgesetzt wurden. Dazu gehört das „Bielefelder Suchtpräventionsprogramm“ für fünfte bis siebte Klassen, das aus dem Programm des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung in Soest weiterentwickelt wurde und das „Anti-Ecstasy-Programm“, das aus einer Arbeitsmappe für Lehrerinnen und Lehrer mit vielen Vorschlägen besteht. Alle diese Programme wurden inzwischen wissenschaftlich überprüft. Für das bundesweit verbreitete Programm „Erwachsen werden“ führt die Universität Bielefeld unter Leitung der Diplom-Gesundheitswissenschaftlerin Heike Kähnert gerade eine systematische Erhebung durch, mit der die Verbreitung und Resonanz des Programms in den Schulen sorgfältig erfasst werden soll.

Inzwischen finden die von den Bielefelder Gesundheitswissenschaftlern mitinitiierten Unterrichtsprogramme bei den Kultus- und Schulministerien aller Bundesländer große Unterstützung. Im niedersächsischen Landtag wurde vor wenigen Wochen erörtert, die Programme in den regulären Unterricht einzubeziehen, weil sowohl die Lehrerinnen und Lehrer als auch die Schülerinnen und Schüler von der Arbeit mit „Erwachsen werden“ überzeugt sind. Die Lehrer berichten, sie bekämen einen völlig neuen Zugang zu ihrer Klasse und könnten jetzt Themen ansprechen, die die Schülerinnen und Schüler wirklich interessieren. Hierdurch werde die Lernlust der Schülerinnen und Schüler geweckt. Die Schülerinnen und Schüler stimmen darin überein, dass die Klassengemeinschaft und die Beziehung zu ihren Lehrern selbstsicherer und stabiler geworden sind.

In einer der letzten Ausgaben der Zeitschrift „Test“ der Stiftung Warentest wurden die neuen Unterrichtsprodukte zusammen mit anderen in Deutschland entwickelten Programmen zur Stärkung der Lebenskompetenz von Schülerinnen und Schülern positiv bewertet. „Darüber haben wir uns natürlich besonders gefreut. Die Stiftung Warentest hat damit zum Ausdruck gebracht, dass auch Unterrichtsmaterialien einer ganz normalen öffentlichen Qualitätskontrolle unterliegen sollten. So gesehen befinden wir uns nun auch in Deutschland endlich auf dem Weg, die unterrichtliche Arbeit in den Schulen nicht mehr als einen staatlichen Hoheitsakt zu verstehen, sondern als ein gemeinsames Engagement von Lehrern, Eltern und Schülern“, so Professor Hurrelmann.

Kontakt: Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Prof. Dr. Klaus Hurrelmann, Telefon 0521/106-3834/4380.

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Dr. Gerhard Trott idw

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