Neuheit begünstigt Lernen
Wissenschaftler vermuten seit längerem, dass das menschliche Gehirn und neue Informationen in einer besonderen Beziehung stehen und Neuheit ein entscheidender Faktor für Lernen und Gedächtnisbildung ist. Eine Region im Mittelhirn (Substantia nigra/ Area ventralis tegmentalis), die vor allem mit der Regulation von Motivation und der Verarbeitung von Belohnung in Zusammenhang gebracht wurde, bevorzugte in der Studie von Dr. Nico Bunzeck und Prof. Dr. Emrah Düzel neue Information gegenüber bekannter Information. Dieses System ist ebenfalls dafür bekannt, den Dopaminspiegel – ein für Lernen und Gedächtnisbildung entscheidender Neurotransmitter – zu regulieren. Das Verständnis der Beziehung zwischen Gedächtnisbildung, Neuheit, Motivation und Belohnung könnte somit eine wichtige Grundlage für die Behandlung von Gedächtnisproblemen darstellen.
Professor Emrah Düzel von der Universität Magdeburg, der gegenwärtig auch eine Arbeitsgruppe an der UCL leitet: „Wir hoffen, dass diese Ergebnisse einen Einfluss auf die Behandlung von Patienten mit Gedächtnisproblemen haben. Derzeit versuchen Neuropsychologen und Ärzte die Gedächtnisleistung therapeutisch durch Wiederholung von Information zu verbessern – ähnlich lernen die meisten Menschen für Prüfungen. Unsere Studie zeigt, dass sich wiederholtes Lernen effektiver gestaltet, wenn man neue Informationen oder Fakten mit den wiederholten bzw. bekannten Informationen mischt. Es scheint, dass man in diesem Fall besser lernt, obwohl das Gehirn mit neuer Information beschäftigt ist.“
„Unter Wissenschaftlern ist bekannt, dass das Mittelhirn Motivation reguliert und an der Vorhersage von Belohnung beteiligt ist, indem es Dopamin in frontale und temporale Regionen des Gehirns freisetzt. Wir konnten zeigen, dass Neuheit ebenfalls das Mittelhirn aktiviert. Wir glauben, dass die Wahrnehmung von
Neuheit per se den Dopaminspiegel beeinflusst. In zukünftigen Projekten werden wir untersuchen, in welchem Zusammenhang Dopamin und Lernen stehen. Die Ergebnisse dieser Studien könnten die zukünftige Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung von Gedächtnisproblemen beeinflussen.“
Die Probanden nahmen in einer Reihe von Experimenten teil. In einer ersten Untersuchung wurde getestet, ob das Gehirn neue Information gegenüber bekannter Information bevorzugt, selbst wenn die bekannte Information selten oder emotional negativ ist. Den Teilnehmern dieser Studie wurden Bilder von Außenaufnahmen und Bilder von männlichen Gesichtern dargeboten, während ihre Gehirnaktivität mittels funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT) gemessen wurde. Dabei wurden einige der Bilder, auf denen zum Beispiel ein erzürntes Gesicht oder ein Autounfall zu sehen war, selten wiederholt dargeboten und andere Bilder stellten jeweils neue neutrale Gesichter oder Szenen dar. Die Substantia nigra/ Area tegmantalis ventralis des Mittelhirns reagierte ausschließlich auf neue Bilder, jedoch nicht auf wiederholte seltene oder emotionale Bilder.
Im zweiten Experiment wurden bekannte Bilder entweder im Kontext mit neuen Bildern oder im Kontext mit sehr bekannten Bildern dargeboten. Ebenfalls mittels fMRT wurde dabei untersucht, wie relative Neuheit die Gehirnaktivität in der Substantia nigra/ Area tegmentalis ventralis beeinflusst. Es konnte gezeigt werden, dass die Aktivierungsstärke in dieser Region abnimmt, je bekannter die gezeigten Bilder sind, unabhängig davon, in welchem Kontext sie gezeigt wurden.
Prof. Düzel: „Wir vermuteten, dass bekannte Information zwischen sehr bekannter, d.h. sehr gut gelernter Information, hervorsticht und genauso zu einer Aktivierung in der Substantia nigra/Area ventralis tegmentalis des Mittelhirns führt wie neue Information. Das war nicht der Fall. Nur absolut neue Information führt zu einer starken Aktivierung in diesem Areal.“
In drei Verhaltensexperimenten wurde die Gedächtnisleistung der Probanden für die dargebotenen neuen, bekannten und sehr bekannten Bilder entweder nach 20min oder nach einem Tag untersucht. Bekannte Bilder wurden besser erinnert, wenn sie im Kontext mit neuen Bildern gezeigt wurden. In der Testung nach 20min ergab sich eine erhöhte Gedächtnisleistung um ca. 20 Prozent. Dieser Effekt war nach 24 Stunden verringert.
Prof. Düzel: „Wenn wir etwas Neues sehen, könnte es für uns potentiell belohnend sein. Dieses Potential motiviert uns, neue Umwelten zu explorieren. Ist ein Stimulus bekannt und nicht mit einer Belohnung assoziiert, verliert es dieses Potential. Daher aktivieren nur absolut, jedoch nicht bekannte oder relativ neue Stimuli die Substantia nigra/ Area ventralis tegmentalis des Mittelhirns und erhöhen den Dopaminspiegel.“
Ansprechpartner für Redaktionen:
Prof. Dr. med. Emrah Düzel
Arbeitsgruppenleiter „Kognitive Neurologie“
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Klinik für Neurologie II, Telefon: (0391) 67-15506 , -13426
Clinical Reader, Institute of Cognitive Neuroscience
Honorary Consultant Neurologist
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