Forschung im Orbit: FU-Mediziner im Höhenflug
Das Zentrum für Weltraummedizin am Fachbereich Humanmedizin der FU / UKBF
Weitere Förderung über fast 3 Millionen vom Bund
UKBF-Mediendienst Nr. 93 vom 23. Oktober 2000
Die Luft- und Raumfahrtmediziner der Freien Universität mit ihrer langen Tradition befinden sich im Höhenflug:
Erst im Juli dieses Jahres war in Berlin-Dahlem das Zentrum für Weltraummedizin (ZWMB) gegründet worden, um die Aktivitäten verschiedener Institute in der Hauptstadt auf dem Gebiet der Weltraummedizin zu bündeln.
Jetzt bewilligte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR, Bonn) als Projektträger des Bundesforschungsministeriums dem ZWMB fast drei Millionen Mark für das Forschungsvorhaben „NEUROLAB 2000 für die Internationale Raumstation“.
Schon in den nächsten Tagen wird die erste permanente Besatzung zur Internationalen Raumstation (ISS) starten. Verschiedene Forschungsprojekte der im ZWMB zusammengefassten Arbeitsgruppen für Anatomie, Biochemie, Physiologie, Toxikologie und Osteoporose – alle am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) – sowie einer Gruppe vom Klinischen Forschungszentrum der Franz-Vollhardt-Klinik der HU werden in diesem „realen humanphysiologischen Labor“ vorangetrieben.
Sprecher des Zentrums für Weltraummedizin ist PD Dr.med. Dipl. geol. Hanns-Christian GUNGA vom Institut für Physiologie der FU/UKBF.
Forschungsfragen
Isolation, enge Räume, hohes Arbeitspensum – unter diesen Bedingungen werden die Astronauten in der ISS arbeiten. Die Schwerelosigkeit („Mikrogravitation“) bedeutet dabei eine große Belastung für den menschlichen Organismus. Zwar sind die damit verbundenen Phänomene wie die „Raumfahrerkrankheit“ oder die rasche Abnahme roter Blutzellen bereits seit den ersten Raumflügen bekannt. Doch sind sie immer noch nicht im Detail aufgeklärt. Der weiteren Erforschung dieser und anderer Fragen dienen auch die für die nächsten drei Jahre zur Verfügung gestellten Mittel aus dem Bundeshaushalt.
* Für die Raumfahrerkrankheit, also die negativen Wirkungen der Schwerelosigkeit auf den Gleichgewichtssinn, gab es bisher keine ausreichend objektiven Untersuchungstechniken. Jetzt wurde im Auftrag des DLR und der NASA im Labor für experimentelle Gleichgewichtsforschung (PD Dr. Andrew Clarke und Prof. Hans Scherer, UKBF, Abteilung HNO) ein System zur 3D-Messung von Augen- und Kopfbewegungen entwickelt. Dieses Gerät ermöglicht es anhand der Analyse der Augen- und Kopfbewegungen, Aussagen zur Funktion und Anpassung des Gleichgewichtsorgans an die Mikrogravitations-Bedingungen zu treffen. Diese Untersuchungen sind wichtig, um die Funktionsweise des Gleichgewichtsorgans unter physiologischen wie pathophysiologischen Bedingungen besser zu verstehen.
* Welche Auswirkungen haben die Stressfaktoren an Bord der ISS auf das autonome, also das nicht bewusst beeinflussbare Nervensystem der Astronauten? Hierfür steht nun ein mobiles Aufzeichnungsgerät zur Verfügung, das von Prof. Karl Kirsch, Dr. Hanns-Christian Gunga und Dr. Bernd Johannes am Institut für Physiologie der FU entwickelt wurde. Auf der Erde kann diese Studie in den Simulationsanlagen des Instituts für Physiologie ständig begleitet werden.
Drei der Schwerpunkte bei kommenden Raumfahrtprojekten:
– Schwerelosigkeit kann zum Abbau von Muskel- und Knochenmasse führen. Prof. Dieter Felsenberg und Dr. Jörn Rittweger vom Zentrum für Muskel- und Knochenforschung am UKBF wollen gemeinsam mit europäischen Partnern und der Europäischen Weltraumbehörde ESA Methoden entwickeln, um solche Prozesse aufzuhalten.
Das Beispiel macht deutlich, das solche Forschungen nicht nur unmittelbar der Raumfahrtmedizin dienen: Untersuchungen unter den Bedingungen der Schwerelosigkeit versprechen grundlegende Erkenntnisse über die Krankheit Osteoporose (Abbau der Knochendichte).
– Im Rahmen einer Langzeit-Bettruhe-Studie in Toulouse untersucht Prof. Dr. Dieter Blottner (Institut für Anatomie, UKBF) die Veränderungen zellmolekularer Strukturen im Skelettmuskelgewebe von Probanden mit und ohne Trainingsbedingungen. Die Resultate dienen zur weiteren Aufklärung zellulärer Mechanismen des zu beobachtenden Muskelschwunds nach Immobilisation.
Die Resultate sind Voraussetzung für weiterführende Therapiestudien zur Vermeidung des Muskelschwunds nicht nur bei bemannten Raumfahrtprojekten, sondern auch bei längerer Bettruhe in der Klinik.
– Verstärkt untersucht werden soll auch die biochemische Regulation der Gefäße unter Mikrogravitationsbedingungen. Hierfür werden neue, am Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der FU/UKBF (Dr. Gabriele Grimm, Prof. Dr. Martin Paul) entwickelte zellphysiologische Methoden eingesetzt.
Berlin und die Raumfahrtmedizin
Der Forschungsstandort Berlin hat eine große Tradition in der Luft- und Raumfahrtmedizin. Bereits im 19. Jahrhundert wurden erste Untersuchungen von dem Berliner Physiologen Nathan Zuntz vorgenommen. 1950 veröffentlichten Otto H. Gauer und Hans Haber die erste wissenschaftliche Arbeit zum Einfluss der Schwerelosigkeit auf den Menschen. Gauer war von 1963-1979 Lehrstuhlinhaber für Physiologie an der FU Berlin. Sein Schüler und jetziger Leiter des Instituts für Physiologie, Karl Kirsch, entwickelte die Weltraummedizin weiter. In den vergangenen 20 Jahren war das Institut an knapp 20 simulierten und realen weltraummedizinischen Studien beteiligt. Die Arbeiten im Orbit fanden an Bord des Spaceshuttles und der Raumstation MIR statt.
Prof. Kirsch und Dr. Gunga haben in den letzten Jahren – zusätzlich zu den jetzt bewilligten DLR-Geldern – annähernd zehn Millionen Mark an Drittmitteln eingeworben.
Ansprechpartner:
° PD Dr. med. Dipl. geol. Hanns-Christian Gunga
Sprecher des Zentrums für Weltraummedizin Berlin (ZWMB)
Institut für Physiologie
Universitätsklinikum Benjamin Franklin
Fachbereich Humanmedizin der Freien Universität Berlin
Arnimallee 22, 14195 Berlin
Tel.: (030) 8445-1656, Fax: -1658
E-Mail: Gunga@zedat.fu-berlin.de
° Prof. Karl Kirsch, Tel.: (030) 8445-1654
° Prof. Hans Scherer, Tel.: (030) 8445-2431
° Prof. Dieter Felsenberg, Tel.: (030) 8445-3046
° Prof. Dieter Blottner, Tel.: (030) 8445-1903
° Dr. Gabriele Grimm, Tel.: (030) 8445-1702
Abdruck bzw. Verwendung frei
Belegexemplar erbeten an:
UKBF-Pressestelle/MWM-Vermittlung
Kirchweg 3 B, 14129 Berlin
Tel.: (030) 803 96 86; Fax: 803 96 87
E-Mail: ukbf@mwm-vermittlung.de
Auch bei Interviewwünschen wenden Sie sich gerne direkt an Dr. Gunga
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