"Revolution" in der Endokarditis-Prophylaxe

Das Ruder wurde radikal herumgeworfen – für die Endokarditis-Prophylaxe gilt auch in Deutschland ab sofort: Nur noch Patienten mit hohem Risiko werden bei bestimmten medizinischen Eingriffen mit Antibiotika versorgt, um einer Entzündung der Herzinnenhaut vorzubeugen.

Der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) verabschiedete jetzt das Positionspapier „Prophylaxe der infektiösen Endokarditis“, das gemeinsam mit der Paul-Ehrlich-Gesellschaft und in Kooperation mit 16 weiteren medizinischen Fachgesellschaften aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie der Deutschen Herzstiftung erarbeitet wurde. Grundlage waren neue Leitlinien der American Heart Association, die im April 2007 für Aufsehen gesorgt hatten. Das deutsche Positionspapier entspricht den Qualitätskriterien einer S2-Leitlinie, ersetzt die bisherige Stellung der beteiligten Fachgesellschaften und trägt somit zu einer internationalen Harmonisierung bei.

Bisher gehörte es zum medizinischen Goldstandard, einer großen Zahl von Patienten vor allem bei zahnärztlichen – aber auch bei urologischen, gynäkologischen, internistischen, dermatologischen, orthopädischen oder herzchirurgischen – Eingriffen 30 bis 60 Minuten zuvor Antibiotika zu verabreichen. Damit sollte einer Endokarditis vorgebeugt werden, die bei Menschen mit entsprechenden Risikofaktoren dadurch entsteht, dass Bakterien in das Blut eindringen. Nicht rechtzeitig behandelt, verläuft eine Endokarditis meist tödlich. Das neue Positionspapier empfiehlt eine Prophylaxe nur noch bei Hochrisiko-Patienten, das heißt bei Patienten mit künstlichen Herzklappen oder mit einer Endokarditis in der Vorgeschichte, bei Patienten mit bestimmten angeborenen Herzfehlern oder bei Patienten nach einer Herztransplantation, die Klappenfehler entwickeln.

„Unser Positionspapier stellt einen dramatischen Paradigmen-Wechsel im Vergleich zu den Leitlinien der letzten 50 Jahre dar“, erläutert die Kardiologin und Mitautorin Dr. Christa Gohlke-Bärwolf vom Herzzentrum Bad Krozingen. „Die Indikation für eine Endokarditis-Prophylaxe wird auf einen wesentlich engeren Patientenkreis eingegrenzt. Das mag bei Patienten und Ärzten zunächst für Verwirrung sorgen, vor allem, weil diese Änderungen nicht auf neuen Studien beruhen, sondern auf einer Neubewertung bisheriger Studien nach den Kriterien der Evidenz-basierten Medizin.“ Das Prinzip der Prophylaxe konnte bisher lediglich in Tierexperimenten belegt werden.

Auch Privatdozent Dr. Christoph Naber vom Westdeutschen Herzzentrum Essen, der federführend für das neue Positionspapier verantwortlich ist, spricht von einer „Revolution in der Endokarditis-Prophylaxe“. Diese Veränderung kommt für ihn allerdings nicht überraschend, sondern spiegelt einen sich bereits länger entwickelnden Prozess im Rahmen einer umfangreichen internationalen Diskussion wider. Bereits vor dem deutschen Positionspapier und den Empfehlungen der Amerikaner haben Expertenkommissionen 2002 in Frankreich und 2006 in Großbritannien ähnliche Empfehlungen veröffentlicht. „Es handelt sich hier um eine sinnvolle Neubewertung der existierenden Daten“, sagt der Essener Kardiologe. Schon länger hätten Fachleute aussagekräftige Studien gefordert. Diese seien aber auch vor dem Hintergrund der existierenden Empfehlungen nur sehr schwer möglich gewesen.

Der Bedeutung der Mundhygiene zur Vorbeugung einer infektiösen Endokarditis kommt im neuen Positionspapier eine besondere Bedeutung zu. „Aus unseren Re-gistern wissen wir, dass 80 Prozent der Patienten mit einer Endokarditis keinen Eingriff vor dem Auftreten der Erkrankung haben. Die Bakterien müssen also auf andere Weise ins Blut gelangt sein“, erläutert Naber. „Eine Möglichkeit ist, dass die Bakterien aufgrund eines schlechten Zahnstatus bereits bei alltäglichen Aktivitäten wie dem Kauen ins Blut gelangen. Davor können wir nicht mit Medikamenten schützen. Es macht daher Sinn, kranke Zähne rechtzeitig solide zu sanieren und Karies und Parodontose effektiv zu behandeln.“

Die Autoren des Positionspapiers bemängeln das Fehlen prospektiver randomisierter und Placebo-kontrollierter Studien zur Effektivität der medikamentösen Endokarditis-Prophylaxe. Sie fordern die beteiligten Fachgesellschaften auf mitzuhelfen, ein entsprechendes Studienprojekt auf den Weg zu bringen. „Dies gäbe auch den Kostenträgern, Krankenkassen und staatlichen Institutionen die Möglichkeit, sich an einem praxisorientierten wichtigen Forschungsgebiet zu beteiligen“, glaubt Gohlke-Bärwolf. „Dies kann ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Evidenz-basierten Endokarditis-Prophylaxe sein.“

Den vollständigen Text des Positionspapiers „Prophylaxe der infektiösen Endokarditis“ finden Sie in Kürze im Internet auf der Homepage der DGK www.dgk.org unter „Leitlinien“.

Kontakt:
Deutsche Gesellschaft für Kardiologie (DGK)
Pressestelle
Prof. Dr. Eckart Fleck / Christiane Limberg
Achenbachstr. 43
40237 Düsseldorf
Tel.: 0211 / 600 692 – 61
E-Mail: limberg@dgk.org
Die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz und Kreislaufforschung e.V. (DGK) mit Sitz in Düssel-dorf ist eine wissenschaftlich medizinische Fachgesellschaft mit heute mehr als 6300 Mitgliedern. Ihr Ziel ist die Förderung der Wissenschaft auf dem Gebiet der kardiovaskulären Erkrankungen, die Ausrichtung von Tagungen und die Aus-, Weiter- und Fortbildung ihrer Mitglieder. 1927 in Bad Nauheim gegründet, ist die DGK die älteste kardiologische Gesellschaft in Europa.

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Weitere Informationen:

http://www.dgk.org

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