Simulation der Blutströmung
Eintauchen in die Aorta
1. @roentgen-Preis für Ulmer Radiologen
Der technologische Fortschritt im Bereich der bildgebenden Verfahren in der Radiologie hat sich während der letzten Jahre erneut deutlich beschleunigt. Insbesondere die Schnittbildverfahren produzieren eine Flut von Bildern, deren Informationsgehalt teilweise nur noch mit Computerunterstützung ausgewertet werden kann. Dies verlangt die Entwicklung neuer Methoden und die Integration fortgeschrittener Analyseverfahren. Die Arbeitsgruppe RaVis (Radiologische Visualisierung und Simulation) in der Abteilung Röntgendiagnostik der Universität Ulm (Dr. Thorsten Fleiter, Biomed.-Ing. (FH) Daniela Pless, AiP Daniela Boll, Arzt Florian Schmid, PD Dr. Johannes Görich, Dr. Reinhard Scharrer-Pamler und Abteilungsleiter Prof. Dr. Hans-Jürgen Brambs) versucht in Zusammenarbeit mit der Abteilung Gefäß- und Thoraxchirurgie die Blutströmungen der großen Arterien zu visualisieren und zu analysieren. Das Ergebnis ihrer bisherigen Arbeit, die Simulation der Strömungsvorgänge in den Arterien mit Hilfe der Multislice-CT und einer aus technischen Anwendungen übernommenen Fluss-Simulation, wurde anlässlich des diesjährigen Röntgenkongresses in Wiesbaden mit dem 1. @roentgen-Preis ausgezeichnet. Am Beispiel der Blutfluss-Simulation im abdominellen Aortenaneurysma, einer Erkrankung, die in den USA jährlich ca. 15.000 Menschen das Leben kostet, lassen sich die Prinzipien des Verfahrens erläutern.
Das abdominelle Aortenaneurysma ist eine sackartige Erweiterung der Hauptschlagader (Aorta), die unbehandelt zum Reißen des Gefäßes (Ruptur) führen kann. Die genauen Ursachen sind noch weitgehend unbekannt; als Risikofaktoren gelten fortgeschrittenes Alter, Bluthochdruck und Arteriosklerose. Neben der konventionellen chirurgischen Behandlung kommt zur Therapie eine vergleichsweise neue Methode in Betracht: die endovaskuläre Stentimplantation, eine minimalinvasive Technik, die für den Patienten ein geringeres Operationsrisiko birgt und wesentlich schnellere Rekonvaleszenz verspricht. Hierbei wird der Blutfluß durch eine Prothese, den sogenannten Stentgraft, umgeleitet und von der geschädigten Gefäßwand ferngehalten. Dadurch verringert sich der Druck auf die Gefäßwand, das Rupturrisiko sinkt. Der Stentgraft besteht aus zwei Teilen und wird jeweils über einen kleinen Schnitt auf beiden Seiten der Leistengegend mittels eines Katheters eingeführt.
Der Implantation des Stentgrafts geht eine Computertomographie (CT) des Bauchraums voraus. Danach erfolgt eine weitere CT zur Lagekontrolle der Prothese. Kontrolluntersuchungen in Zeitabständen von einigen Monaten sollen etwaige Komplikationen ausschließen. Die Aufnahmen aus diesen Routine-Untersuchungen bilden zugleich die Grundlage der Blutfluss-Simulation. Dafür werden aus den einzelnen Bildern mit Hilfe einer speziellen Software Schicht für Schicht die Konturen der Aorta markiert. Durch ein »Übereinanderstapeln« dieser Konturen lässt sich anschließend eine räumliches Bild des Gefäßes erzeugen. Indem man die virtuelle Wand dieses Gefäßes in bis zu 150.000 geometrische »Flicken« (Drei- und Vierecke) aufteilt, kann man sehr genaue Modellrechnungen zum Blutfluss durchführen.
Die Aufgabe, das virtuelle Blut zum Fließen zu bringen, übernimmt die ursprünglich für Strömungssimulationen in technischen Anwendungen konzipierte Software »Fluent«, die Berechnung der Blutströmung ein leistungsfähiger Rechner. Für jede einzelne der »Flicken« werden vorherrschende Geschwindigkeit, Druck und Wandscherspannung bestimmt. Anschließend werden die einzelnen Ergebnisse für das gesamte Gefäß zusammengesetzt. Zur klinischen Einsatzfähigkeit ausgereift, soll die Methode nun die Therapie optimieren, indem für den jeweiligen Patienten das Rupturrisiko ermittelt, die Wahrscheinlichkeit von Komplikationen aufgrund der Lage und Form der Prothese berechnet und die Möglichkeiten einer Prävention dieser Komplikationen kalkuliert werden.
In Zusammenarbeit mit dem Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) der Universität Stuttgart können die Ergebnisse der Blutfluss-Simulation in einer Virtual-Reality-Umgebung (Cave Automatic Virtual Environment, CAVE) in 3D-Bilder umgesetzt werden. So soll es künftig möglich sein, die Operation im voraus interaktiv durchzuspielen. Der Betrachter trägt eine stereoskopische Brille, die einen dreidimensionalen Eindruck des Objekts erzeugt, und ein Headtracking-System, das seine Position im Raum erfasst und bei Bewegungen die Darstellung des Objekts entsprechend verändert. Die Interaktion erfolgt über eine 3D-Maus. Die CAVE ermöglicht es dem Betrachter, völlig in das Objekt »einzutauchen« und die dynamischen Vorgänge von einem in der bildgebenden Diagnostik bisher unbekannten Standpunkt aus zu betrachten. Dies eröffnet eine völlig neue Betrachtungsweise, die im Augenblick noch futuristisch anmutet, in naher Zukunft aber vielleicht schon zum Alltag gehören wird.
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