Erstaunliches Selbstheilungspotential der Bauchspeicheldrüse
In der Schweiz sind ungefähr 40'000 Personen von Typ-1-Diabetes betroffen. Die Krankheit ist auf den Ausfall von Betazellen zurückzuführen, die in der Bauchspeicheldrüse das für den Zuckerhaushalt des Körpers entscheidende Insulin produzieren.
Da sich Betazellen nicht erneuern, ging die Wissenschaft lange Zeit davon aus, dass der Verlust dieser Zellen unumkehrbar sei, und dass also Diabetikerinnen und Diabetiker ihr Leben lang auf Insulinspritzen angewiesen seien.
Bisher unbekannter Mechanismus
Vor vier Jahren haben Forschende um Pedro Herrera von der Universität Genf erstmals an dieser Überzeugung gerüttelt, als sie mit gentechnisch veränderten Mäusen nachwiesen, dass sich in der erkrankten Bauchspeicheldrüse einige wenige Alphazellen in Betazellen umwandeln und danach anstatt des blutzuckererhöhenden Glukagons das blutzuckersenkende Insulin herstellen.
Nun doppelt das Team um Herrera mit einer weiteren, in der Fachzeitschrift «Nature» veröffentlichten Entdeckung nach (*): Bei Mäusen vor der Pubertät ist die Bauchspeicheldrüse in der Lage, einen allfälligen Verlust von insulinproduzierenden Betazellen zu kompensieren.
„Und zwar mit einem neuen, bisher völlig unbekannten Mechanismus», sagt Herrera. Dabei entwickeln sich Deltazellen (die Somatostatin, ein weiteres Hormon der Bauchspeicheldrüse, produzieren) in Vorläuferzellen zurück, teilen sich und stellen schliesslich Beta- und Deltazellen her.
Im Gegensatz zur Umwandlung der Alphazellen, die nur in begrenztem Umfang stattfindet, erlaubt der neue Mechanismus mit den wandelbaren Deltazellen einen effizienteren Ausgleich des Verlusts der Betazellen und eine rasche Selbstheilung des Diabetes. Doch während sich Alphazellen bis ins hohe Alter umformen können, ist die Wandlungsfähigkeit der Deltazellen zeitlich beschränkt und nach der Pubertät nicht mehr möglich.
Menschliche Bauchspeicheldrüse ähnlich wandelbar
Zwar hat die Gruppe um Herrera die Vielseitigkeit von Bauchspeicheldrüsenzellen an Mäusen studiert, doch mehrere Beobachtungen an Patienten weisen darauf hin, dass auch die menschliche Bauchspeicheldrüse ähnlich wandelbar ist.
«Der neue Mechanismus zeigt uns, dass die Bauchspeicheldrüse viel plastischer ist und – zumindest in der Kindheit – über ein viel grösseres Selbstheilungspotential verfügt, als wir bisher angenommen hatten», sagt Herrera. Es sei noch ein langer Weg zurückzulegen, bevor Diabetes-Patienten von diesen Erkenntnissen direkt profitieren könnten, meint Herrera, aber die Entdeckung der anpassungsfähigen Deltazellen zeige eine bisher ungeahnte Möglichkeit für therapeutische Interventionen auf.
(*) S. Chera, D. Baronnier, L. Ghila, V. Cigliola, J. N. Jensen, G. Gu, K. Furuyama, F. Thorel, F. M. Gribble, F. Reimann and P. L. Herrera (2014). Diabetes Recovery By Age-Dependent Conversion of Pancreatic Delta-Cells Into Insulin Producers. Nature online: doi: 10.1038/nature13633
(Für Medienvertreter als PDF-Datei unter folgender E-Mail-Adresse beim SNF erhältlich: com@snf.ch)
Nationales Forschungsprogramm
„Stammzellen und regenerative Medizin“ (NFP 63)
Das NFP 63 hat zum Ziel, grundlegende Erkenntnisse über die Natur, Funktion und die Umwandlungsfähigkeit der Stammzellen zu gewinnen. Ausserdem möchte das NFP 63 die Schweizer Stammzellforschung stärken. Es ist 2010 angelaufen und umfasst 12 Projekte. Das NFP 63 verfügt über ein Budget von 10 Millionen Franken und läuft nächstes Jahr aus.
Kontakt
Prof. Dr. Pedro L. Herrera
Departement für Genetische Medizin
Universität Genf
Rue Michel-Servet, 1
CH-1211 Geneva
Tel.: +41 22 379 52 25
E-Mail: pedro.herrera@unige.ch
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